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Kleingeld macht mich krank

Illustration: Daniela Rudolf

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In einem Regal, weit unten hinter ein paar Büchern, lauert mein schmutziges Geheimnis. Eine Pappbox, ich weiß gar nicht mehr, wofür sie eigentlich mal gedacht war, sie wiegt mittlerweile jedenfalls mindestens fünf Kilo und riecht seltsam. Und in ihr steckt der Teufel: haufenweise Kleingeld, hauptsächlich Kupfermünzen. Fährt man mit der Hand durch, hat man danach einen mittelalterlichen Geruch und einen eigenartigen Film auf der Haut.

Die Box ist Symptom eines tiefer liegenden Problems, man könnte es eine Phobie nennen: Kleingeld macht mich fertig. Krank. Ich kann mit allem unter 20 Cent nicht umgehen. Es krabbelt aus meinen Hosentaschen, verkriecht sich in jeder verdammten Ritze, häuft sich an, frisst mich wahrscheinlich irgendwann auf. Das Geräusch von prasselnden Kupfermünzen auf Laminat löst spontane Aggressionsanfälle aus, die sich dann traurigerweise an liebgewonnenen Mitmenschen entladen. Aufheben kann man diese Miststücke auch nicht, sie scheinen sich am Boden festzusaugen, um sich hinter dem nächsten Schrank zu vermehren. Leider sind sie dabei im Gegensatz zu Pfandflaschen gerade noch zu klein, um sie gewissenhaft wegzubringen. Manchmal erwische ich mich deswegen dabei, wie ich Centmünzen mit anderem Hosentascheninhalt einfach wegwerfe.

Das Kleingeld schränkt nicht nur meinen Stauraum ein, sondern auch meinen Alltag

Wer nun mit diesem weltfremden „wer den Pfennig nicht ehrt, ist des...“-Nonsens daherkommt, hat den Ernst meiner Lage nicht verstanden. Wer denkt, ich wäre stinkreich, erst recht nicht. Denn das Kleingeld schränkt nicht nur meinen Stauraum ein, sondern auch meinen Alltag, meinen Umgang mit Menschen. 

Im Alltag ist Kleingeld nämlich selbstverständlicher, viel zu selten und anscheinend nur von mir hinterfragter Bestandteil sozialer Interaktion. Die restliche Menschheit scheint irgendwann ein verpflichtendes Wechselgeld-Seminar belegt zu haben, das ich verschlafen habe.

Typisches Trauma an der Supermarktkasse:

Kassierer: „Das macht dann 8,55 Euro!“

Langes Graben im Kleingeldfach führt erfahrungsgemäß zu lautstarken Kunden–Plädoyers für die Öffnung einer zweiten Kasse, meistens verzähle ich mich, was mir sicher sofort einen Betrugsvorwurf einbringt („Da fehlen jetzt aber noch 15 CENT, sie elendiger BETRÜGER!!!“). Also lieber gleich einen Zehner zücken. Bitteschön!

Kassierer: „Haben Sie vielleicht ein Fünferl? Oder 50 Cent?“

In meinem Kopf: Ein Affe, der mit Kleingeld jongliert. Null Verständnis, was der Kassierer jetzt mit fünf Cent anfangen soll, er hat doch schon genug. Minutenlanges Nachdenken.

Wie soll ich jetzt noch souverän reagieren? Das Hirn blockiert vollständig, der Affe grinst mich an

Kunden hinter mir: „Verdammte Scheiße, zweite Kaaaassse!“

Ich kratze mit schweißnassen Fingern in meinem gigantischen Kleingeldvorrat herum. Zwei 2-Cent-, eine 1-Cent-Münze. Müsste hinhauen.

Kassierer: „Das sind jetzt aber sechs Cent. Was soll ich mit sechs Cent?“

Vorwurfsvoller Blick. Es waren drei 2-Cent-Münzen. Ich murmle irgendwas wie „ oh ja, äh, anders nimm Geld jetzt“. Was das mit den fünf Cent sollte, ist mir ja eh nicht klar. Vielleicht doch lieber 50 Cent geben? Wie soll ich denn jetzt noch souverän reagieren? Das Hirn blockiert vollständig. Der Affe grinst mich an. Sein Gebiss: aus Kupfer.

Am Ende laufe ich zutiefst gedemütigt aus dem Supermarkt. Mit einem noch dickeren Kleingeldfach, das mir der Kassierer ja eigentlich ersparen wollte. Der Teufelskreis schließt sich: Wer mit Kleingeld nicht umgehen kann, bekommt ständig mehr davon. Und Aktionen wie „Deutschland rundet auf“, die Kleingeldverachtern wie mir eine Möglichkeit geben wollen, meine Unfähigkeit zu guten Taten führen zu lassen, akzeptieren höchstens zehn Cent pro Einkauf. Zehn Cent!

Als Ausweg aus dieser Tortur bleibt für mich eigentlich nur ein gangbarer Weg. Mögen mich Sparschwaben, „Bargeld-ist-Freiheit“-Aktivisten und sonstige Münzliebhaber grillen, ich jedenfalls fordere stellvertretend für alle Kupfergeknechteten, Kopfrechenversager und Kleingeldphobiker: Duldet die Schmach nun länger nicht, hinfort mit dem dem Kupfergeld!

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