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Ich habe Angst vor den Eltern meiner Freunde!

Illustration: Daniela Rudolf

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie „Hilfe, Menschen!“ berichten wir ab sofort von unseren Sozialphobien. Heute: die Angst vor den Eltern der anderen.

Den Begriff „antiautoritäre Erziehung“ habe ich noch nie verstanden. Keine Erziehung ist jemals antiautoritär. Völlig egal mit welchen Easy-going-Strategien Eltern ihren Erziehungsauftrag zu verbergen suchen (überdurchschnittlich praktizierte In- und Outdoor-Nacktheit, sonntags mal mit den Kindern einen Joint rauchen, Sachbuch „gewaltfreie Kommunikation“ in der Küchentischschublade), er ist da. Und macht sie automatisch zu Kontrollinstanzen, Bedenkenträgern, Autoritäten. Das ist nicht schlimm, das ist sogar gut und wichtig, denn dieser Erziehungsauftrag bedeutet vor allem: Liebe!

Wohlgemerkt Liebe zum eigenen Kind. Zu keinem anderen. Und genau das ist das Problem. Man kennt das von Tieren, Reizwort „Schwan“ oder „Löwe“: Elternliebe kann tödlich enden für alle, die nicht das eigene Kind sind. Klar, Menscheneltern reißen nicht einfach das Maul auf und dem Feind blutrünstig den Kopf ab oder hacken ihm den Schnabel in die Hauptschlagader. Nein, so etwas läuft unter Menschen „gesitteter“ ab, „subtiler“, was, wie jeder weiß, niemals sanfter, sondern nur perfider bedeutet: Wenn schon keine Prügelei, dann eben Psychoterror. Der ist so angenehm leise, der frisst die Leute von innen auf statt von außen, den kann man so schön unter einem gnädigen Lächeln verbergen. 

Mama und Papa sind ständig damit beschäftigt, den Umgang, also: die Freunde ihrer Kinder zu bewerten. Und darunter leidet man zwangsläufig als Gast im Elternhaus von Freunden. Man muss sich ja nur vor Augen halten, was die eigenen Eltern von sich geben, sobald die Gäste weg sind. Es fängt, je nach Person, ganz harmlos an, mit Sätzen wie „Also diese Patrizia: naja!“ mit Betonung auf dem j, und endet bei „Also die kommt hier aber nicht mehr ins Haus, dass das klar ist.“ Natürlich gibt es Lieblinge, die werden gelobt, die tolle, brave Julia mit den vielen Einsen und Goldmedaillen, der höfliche Christoph, die lustige, blitzgescheite Linda. Doch auch sie stehen, da muss man sich nichts vormachen, stets auf dem Prüfstand. Ein paar Jahre später schon heißt es dann: „Die Linda, also, die war doch mal so proper, die ist aber dünn geworden, und redet so wirres Zeug! Nimmt die Drogen? Hat die Depressionen? Und was macht die jetzt? Immernoch da an dieser Kunstschule rumstudieren? Aha. Siehst du die oft?“   

So zweifelhaft soll nie und nimmer von anderen Eltern über einen selbst geredet werden!  Es gilt also, das Vertrauen fremder Eltern immer wieder neu zu gewinnen. Enorm anstrengend. Ich kriege Herzklopfen und Schweißausbrüche, wenn ich irgendwo klingele, anklopfe, zu Besuch bin, und die Eltern sind zufällig grade da. In ihrer Gegenwart werde ich zum schuldbewussten Teenie, der alles dafür geben muss, sich als guten Umgang zu inszenieren. Im Grunde ein endloses Bewerbungsgespräch. Erwachsenwerden ändert an der ganzen Bredouille rein gar nichts. Mit den Eltern anderer ist es wie mit Lehrern, die einen ab der 10. Klasse plötzlich siezen: haha, guter Witz. Keiner fühlt sich dadurch erwachsener oder anerkannter. Vor ihnen bleibt man immer zu Belehrende.

 

Irgendwo Eltern in Sicht, egal welche, heißt für mich deshalb immernoch: Stramm gestanden, brave Miene machen, Schönschriftfüller rausholen, nicht zur Mittagszeit anrufen, Schuhe ausziehen, nichts erzählen, was mit länger schlafen als erlaubt, unaufgeräumtes Zimmer, zuviel Game-Boy-spielen, Nutella-Essen und wenig Zähneputzen zu tun hat. Alkohol, Drogen, Arbeitslosengeld, viel zu schnell Autofahren? Nie gehört, wo gibt es denn sowas? 

 

Man weiß halt, welche Macht Eltern über das eigene Gehirn und die eigenen Selbstwertgefühle haben

 

Ich fürchte übrigens, ich möchte anderen Eltern gar nicht nur gefallen, um weiterhin sorgenfrei mit ihrem Kind rumhängen zu können. Ich möchte ihnen auch aus purem Selbstzweck gefallen. Ich falle in der Anwesenheit von Elternfiguren unbewusst zurück in die Rolle der Viertklässlerin, die sich völlig undifferenziert nach Lob sehnt. Vielleicht weil aus irgendwelchen bescheuerten Gründen Lob und Anerkennung von Autoritätsfiguren doppelt so viel zählen und von Elternautoritätsfiguren gleich dreimal. Rational betrachtet total armselig, möglicherweise einfach ein Trauma, das große Erziehungstrauma: Man weiß halt, welche Macht Eltern über das eigene Gehirn und die eigenen Selbstwertgefühle haben, wenn sie es drauf anlegen, man ist da einfach beschädigt. Deshalb ja auch die Erfindung Gottes, der ganze Religionswahnsinn der Menschheit: aus dem dringenden Bedarf an einer Ersatz-Eltern-Autoritätsfigur, die alles gütig vergibt und bedingungslos zu einem steht. 

 

Nichts gegen Eltern. Es gibt großartige Eltern, das weiß jeder. Gäbe es eine Eltern-Tauschbörse, sie wäre ultragut besucht. Aber am tollsten sind Eltern, wenn sie weit weg sind. Alle. Die eigenen, die fremden. Eigentlich wie Gott, der zeigt sich ja auch nie. Es reicht sich einzureden, dass er da ist, jaja, auf irgendeiner Wolke, man meldet sich dann schon, wenn man etwas braucht. 

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