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„Entschuldigung, wir würden gerne zahlen…“

Illustration: Daniela Rudolf

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie "Hilfe, Menschen!" berichten wir ab sofort von unseren Sozialphobien. Heute: den Kellner erwischen wollen.

Manchmal beginnt die Anspannung schon, wenn der Teller gerade erst leer ist und der Moment näherrückt, in dem gezahlt werden muss. Nicht, weil dann eine anstrengende „Ich zahle – nein, ich zahle – wer hatte was – lass uns alles teilen – aber ich hatte doch viel mehr/weniger als du – uswusf.“-Diskussion losgehen könnte (wobei, darum schon auch, aber das wäre Stoff für einen weiteren Text in dieser Reihe). Sondern, weil jemand dem Kellner Bescheid sagen muss. Im schlimmsten Falle: ich. 

Und ich kann das nicht. Oder ich kann schon, aber ich will nicht, weil es mir so unangenehm ist. Und weil es nie auf Anhieb funktioniert. Was dazu führt, dass ich auf meinem Platz sitze und Zuckungen im Arm habe. Da, er ist in der Nähe, schnell die Hand heben! Auffällig hingucken! Sich bisschen zurücklehnen! Mist, hat nicht geklappt, er redet am Nebentisch. Aber wenn er da wieder weggeht, dreht er sich sicher um. Jetzt! Arm hoch! „Entschuldigung, wir würden gerne zahlen!“ sagen. Aber es kommt viel zu leise raus. Und auch nur halb. Weil er dann eh gar nicht hinschaut. Etwa mit Absicht? Jetzt ist er verschwunden, aber sicher taucht er gleich wieder auf, also am besten die Tür im Auge behalten, durch die er verschwunden ist…

Währenddessen ist es natürlich nicht möglich, sich noch mit der Begleitung am Tisch zu unterhalten. In den Lücken, in denen der Kellner verschwunden ist, versuche ich mühsam, ein Gespräch weiterzuführen oder am Laufen zu halten, lege aber schon mal demonstrativ das Portemonnaie auf den Tisch und bin sowieso die ganze Zeit über abgelenkt. Gleich könnte er ja wieder auftauchen, den Moment darf ich nicht verpassen. Für alle anderen im Lokal bin ich derweil die verhuschte Sozialtölpeline, die es nicht schafft, die Stimme zu erheben und peinlich berührt ist, dass alle sie bemerken… alle, außer dem einen, der mich doch bitte bemerken soll.

Ich finde diese Situation so unangenehm, dass ich manchmal Vermeidungsstrategien anwende. Der Jackpot ist natürlich, wenn die Begleitung am strategisch besseren, weil sichtbareren Platz sitzt. Wenn ich also mit dem Rücken zum Raum sitze (was ich ansonsten eigentlich nicht mag) oder zufällig irgendeine Säule oder Pflanze mich aus allen großen Sichtachsen löscht, kann ich mit gutem Gewissen „Versuch du doch mal, den Kellner zu erwischen“ sagen. Oder ich führe den Toiletten-Trick durch: Ich sage ganz nebenbei, dass ich mal kurz müsse, „und falls du den Kellner siehst, während ich weg bin, kannst du ihm ja schon mal Bescheid sagen, dass wir zahlen wollen“. Wenn der Versuch, den Kellner einzufangen, schon vorher einige Minuten in Anspruch genommen hat, biete ich an, ihn anzusprechen, falls ich ihm auf dem Weg zu den Toiletten begegne – um dann mit Tunnelblick durchs Lokal zu rennen und später zu behaupten, ich habe ihn leider nirgends entdecken können.

Irgendjemand wird jetzt garantiert sagen: „Mach doch einfach das internationale Zeichen für ‚die Rechnung bitte‘!“ Damit könne ich ja zumindest vermeiden, den Kellner erst auf mich aufmerksam machen und dann auch noch ansprechen zu müssen. Ich soll also die Hand heben und so tun, als würde ich mit einem Stift in die Luft schreiben? Oder mit dem Daumen über Zeige- und Mittelfinger reiben? Oder beide Hände heben und mit dem Finger der einen auf der Handfläche der anderen eine Unterschrift simulieren? Woran man ja schon sieht: Es gibt kein „internationales Zeichen für ‚die Rechnung bitte‘“. Und es ist auch nicht gerade unpeinlich, irgendein kryptisches Zeichen in die Luft zu malen und dann schaut einen der Kellner mit gerunzelter Stirn an als wäre man verrückt. 

Meist endet es dann so, dass ich irgendeinem anderen Kellner Bescheid sage, der zufällig nah genug an mir vorbeigeht und dann verspricht, seinen Kollegen zu schicken (funktioniert etwa in siebzig Prozent der Fälle – in den restlichen dreißig kommt niemand und alles fängt von vorne an). Oder ich gehe zum eventuell vorhandenen Tresen und mache dort auf mich aufmerksam. Was mir ebenfalls unangenehm ist, aber nicht so sehr, wie dem spöttischen Mitleid der Menschen an den Nebentischen ausgesetzt zu sein, die meinen zuckenden Arm beobachten.

Die einfachste Lösung wäre womöglich, dass ich einfach die Zeche prelle. Aber es gibt etwas, das schnell noch größer wird als meine soziale Phobie: mein schlechtes Gewissen.

Hilfe, noch mehr Menschen-Probleme!

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