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Sollte ich meine Psychische Erkrankung im Job ansprechen?
Psychische Erkrankungen sind der dritthäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit – das stellte der Dachverband der Betriebskrankenkassen in seinem Gesundheitsreport 2019 fest. Laut der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung leiden mittlerweile mehr als ein Viertel aller Erwachsenen in Deutschland mindestens einmal im Leben an einer psychischen Erkrankung, am häufigsten sind Depressionen und Angststörungen. Insbesondere bei jungen Erwachsenen wird immer häufiger eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Um 38 Prozent hat die Zahl der psychisch erkrankten 18- bis 25-Jährigen zwischen 2005 und 2016 laut einem Report der Barmer Krankenkasse zugenommen, etwa jede*r sechste Studierende ist demnach betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, irgendwann einmal psychisch zu erkranken, ist also relativ hoch.
Ist man davon betroffen, kommt schnell die Frage auf, ob und wie man die psychische Erkrankung am Arbeitsplatz thematisieren soll. Nicole Scheibner ist Geschäftsführerin des EO Instituts und arbeitet mit Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen zusammen, um die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu verbessern. Im Interview erklärt sie, wann man der Chefin oder dem Chef von einer psychischen Erkrankung erzählen sollte und wann man es eher lassen sollte.
jetzt: Nicole Scheibner, wenn ich bemerke, dass es mir psychisch immer schlechter geht, was sollte ich dann als allererstes tun?
Nicole Scheibner: Grundsätzlich ist diese Selbsterkenntnis schon mal ein wichtiger Schritt. Menschen mit einer psychischen Erkrankung trauen oft ihrer eigenen Wahrnehmung gar nicht mehr und schieben das Problem weit vor sich her. Nach der Selbsterkenntnis, dass es einem psychisch nicht gut geht, ist aus meiner Sicht der nächste Schritt, erst mal mit einer Person aus dem privaten Umfeld, die gut zuhören kann, in ein persönliches Gespräch zu gehen. In einem solchen Gespräch kann man dann erst mal eine Spiegelung bekommen und sich darüber klar werden, ob es sich einfach um eine stressige Phase handelt oder ob da möglicherweise tatsächlich etwas Schwerwiegenderes wie eine Depression oder Angsterkrankung dahintersteckt. In letzterem Fall wäre der nächste Schritt, sich professionell beraten zu lassen, zum Beispiel von einen Arzt oder Psychotherapeuten.
Nicole Scheibner arbeitet mit Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen zusammen, um die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu verbessern.
Ab welchem Punkt sollte man es auch in der Arbeit thematisieren, wenn man psychisch erkrankt ist?
Da sollte man das individuelle Arbeitsverhältnis beachten. Wenn ich ein unbefristetes Arbeitsverhältnis habe und ich bemerke, dass die Erkrankung mich im Arbeitskontext beeinträchtigt, dann ist meiner Erfahrung nach der beste Weg, frühzeitig ins Gespräch zu gehen. Bei einer Depression ist es beispielsweise oft der Fall, dass ich unter Konzentrationsschwierigkeiten leide oder prokrastiniere und mir meinen tatsächlichen Fortschritt schönrede. Der Führungskraft dann mitzuteilen, dass ich psychische Probleme habe, ist auch für das Umfeld erleichternd – Denn das bemerkt häufig schon sehr früh, dass etwas nicht stimmt.
„Vorsichtig sollte man sein, wenn das Arbeitsverhältnis befristet ist“
In welchen Arbeitskonstellationen sollte man eine psychische Erkrankung Ihrer Meinung nach dann eher nicht offenlegen?
Generell muss man da immer die Gesamtsituation betrachten – es gibt nicht den einen Weg. Vorsichtig sollte man sein, wenn noch eine Probezeit besteht oder das Arbeitsverhältnis befristet ist. Hier geht man das Risiko ein, dass nach der Befristung kein neuer Vertrag ausgestellt wird. Ich möchte auf keinen Fall pauschal sagen, dass man das dann grundsätzlich nicht ansprechen sollte. Aber besonders wenn man die Aussicht auf eine unbefristete Stelle hat, muss man überlegen, wie vertrauensvoll das Verhältnis zur Führungskraft ist und dann individuell abwägen.
Kann man im schlimmsten Fall wegen einer psychischen Krankheit gekündigt werden?
Die Gefahr einer Kündigung besteht grundsätzlich erstmal nicht. Der Arbeitgeber kann nicht wahllos kündigen. Für eine krankheitsbedingte Kündigung müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein: Eine mögliche Genesung muss unwahrscheinlich sein und die erwartbaren Fehlzeiten müssen zu einer starken Beeinträchtigung des Unternehmens führen. Bei psychischen Erkrankungen ist das sehr unwahrscheinlich. Das wäre dann schon ein extremer Verlauf über viele Jahre, bei dem der Arbeitgeber auch erstmal nachweisen müsste, dass er verschiedene Maßnahmen angeboten hat, um den Betroffenen wieder einzugliedern.
Anders sieht es wie gesagt bei befristeten Verträgen aus. Gekündigt werden kann man hier zwar auch nicht ohne Weiteres, mir sind aber durchaus einige Fälle bekannt, bei denen sich Betroffene zu ihrer psychischen Erkrankung geäußert hatten und mit denen nach Ablauf der Befristung kein neuer Vertrag geschlossen wurde, obwohl das in dem jeweiligen Unternehmen durchaus in Aussicht stand.
Das ist sehr ernüchternd. Gerade junge Arbeitnehmer*innen haben häufig erstmal befristete Verträge.
Es ist leider immer noch Realität, dass trotz Fortschritten bei vielen Arbeitgebern immer noch Vorbehalte vorhanden sind. Ich würde es mir anders wünschen, aber man muss auch bei der Realität bleiben. Es gibt durchaus Führungskräfte, die da sehr offen sind, aber bei befristeten Verträgen würde ich im Allgemeinen leider raten, erst mal zurückhaltend zu sein – insbesondere wenn die Option einer Entfristung im Raume steht und der oder die Beschäftigte gerne im Unternehmen bleiben würde.
„Auch Führungskräfte entlastet es häufig, wenn Mitarbeiter das von sich aus ansprechen“
Wie reagieren Vorgesetzte und Kolleg*innen Ihrer Erfahrung nach, wenn man eine psychische Erkrankung offen anspricht?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Führungskräfte in den vergangenen Jahren deutlich für psychische Erkrankungen sensibilisiert wurden und in aller Regel auch dankbar sind, wenn der oder die Betroffene da ein Gespräch sucht. Mittlerweile ist da auch meistens das Wissen vorhanden, dass jemand mit einer psychischen Erkrankung nicht dauerhaft leistungsbeeinträchtigt ist, sodass mit einer gewissen Offenheit zu rechnen ist. Auch Führungskräfte entlastet es häufig, wenn Mitarbeiter das von sich aus ansprechen. Denn auch sie sind oft unsicher, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Viele fragen sich, ob es übergriffig wäre, einen Mitarbeiter auf die Situation anzusprechen.
Was, wenn man ein schlechtes oder sehr distanziertes Verhältnis zum oder zur Vorgesetzten hat?
Da wäre mein Rat, um ein formelles Gespräch zu bitten. Im Rahmen eines solchen Gesprächs würde ich dann offenlegen, dass ich ein gesundheitliches Thema habe, bei dem ich denke, dass es gut ist, dass mein Vorgesetzter weiß, wie es um mich steht. In einem solchen Gespräch sollte es dann darum gehen, wie die Tätigkeit so strukturiert werden kann, dass zum einen die Qualität der Arbeit nicht leidet, zum anderen aber auch, dass man selbst nicht durch die Arbeit leidet. Dabei sollte man dann auch relativ deutlich zum Punkt kommen und dabei auch ein klares Ziel formulieren, was man mit dem Gespräch erreichen möchte und wie man die Situation angehen könnte. Das können beispielsweise organisatorische Maßnahmen wie eine vorübergehende Reduzierung des Arbeitsumfanges sein.
Haben Sie einen Tipp, wie man sich am besten auf so ein Gespräch vorbereitet?
Zur Vorbereitung empfehle ich, das Gespräch einmal gedanklich durchzuspielen. Ich würde mir dabei überlegen, wie mein Gegenüber reagieren könnte und wie verschiedene Gesprächsstränge aussehen könnten. Außerdem würde ich mir eine Einleitung zurechtlegen und im Gespräch dann relativ schnell zum Punkt kommen. Was in solchen Gesprächen auch immer hilft, ist das Gespräch auf mögliche Lösungen zu fokussieren, anstatt die Historie der Erkrankung zu erläutern. Besser also: Was kann ich anbieten, um die Situation miteinander möglichst gut zu gestalten? Aber auch: Was brauche ich von euch? Das mache ich am besten in einem Gespräch mit festgelegtem Termin und mit großzügiger Zeitplanung.
Was raten Sie Selbstständigen, die gar nicht die Möglichkeit haben, sich mit psychischen Problemen an eine*n Vorgesetzte*n zu wenden?
In diesem Fall ist es natürlich umso wichtiger, sich selbst gut einschätzen zu können und sich nicht zu überlasten. Eine Möglichkeit ist, einige Kundenprojekte zu verschieben und sich so mehr Zeit einzuräumen. Gegenüber Kunden würde ich aber nicht empfehlen, die Krankheit zu thematisieren. Stattdessen ist es sinnvoll, den Kunden mitzuteilen, dass man gerade mehrere parallele Aufträge und neue Projekte hat. So kann man mehr Zeit für Aufträge einplanen und die Arbeit entzerren.