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Wie sinnvoll sind kostenlose Persönlichkeitstests im Netz?

Persönlichkeitstests sollen beim Daten helfen, das richtige Match zu finden.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Bestimmend oder vermittelnd? Organisationstalent oder Unterhalter*in? Wer auf Dating-Apps unterwegs ist, findet auf den Profilen neben lustigen Sprüchen, Lieblingslied und Hobbys in letzter Zeit häufig auch eine Angabe zum Persönlichkeitstyp, zum Beispiel als Buchstabenkürzel. Gerade bei Dating Apps, die ohne persönliche Fragebögen funktionieren, kann man damit das Gegenüber leichter einordnen und bekommt das bessere Match – so die Idee. Die passenden Tests dafür kann man häufig kostenlos im Internet machen. Meist muss man dafür seine E-Mail-Adresse angeben oder einen Account erstellen. Das Ergebnis und die so gesammelten Daten geben die Anbieter nach eigenen Angaben zwar nicht an Dritte weiter. Sie können aber genutzt werden, um personalisierte Inhalte und Werbung zu erstellen. 

Was diese Persönlichkeitstests über uns aussagen, und was nicht, ob sie wissenschaftlich fundiert sind und inwiefern sie uns helfen können, das perfekte Match zu finden, erklärt Dr. Matthias Ziegler, Professor für psychologische Diagnostik an der Humboldt-Universität Berlin.

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Foto: Privat

jetzt: Herr Ziegler, wieso machen Menschen Persönlichkeitstests?

Matthias Ziegler: Menschen haben ein Interesse daran, vieles über sich zu erfahren. Also zu wissen, wie sie ticken und wie andere sie vielleicht sehen. Ein Persönlichkeitstest bietet hier einen einfachen Zugang. Man bekommt scheinbar relativ schnell Antworten auf Fragen wie: Wer bin ich eigentlich? Wie funktioniere ich? Je nach persönlicher Lebenssituation machen Menschen solche Tests zur Belustigung oder aber anlassbezogen, etwa weil sie etwas stört oder sie ein Ziel haben und wissen möchten, wie sie das anpacken können.

Oder eben für Dating-Apps. Dafür benutzen viele sogenannte Typen-Tests. Die gibt es von verschiedenen Anbietern im Internet. Sie basieren meistens auf dem Meyrs-Briggs-Typenindikator, der 16 Persönlichkeitstypen unterscheidet. Wie seriös sind diese Tests?

Die Typen-Tests sind sehr randständig in der heutigen Wissenschaft. Die Theorien, auf denen sie basieren, sind in der Regel überholt. Es wird stark daran gezweifelt, ob sie überhaupt wissenschaftlich fundiert sein können. 

„Wenn ich lauter Aussagen habe, wo jeder sagt: ‚Ja stimmt, das bin ich!‘ dann brauche ich auch keinen Test machen“

Was ist das Problem dieser Typen-Theorien?

Der Hauptunterschied zwischen dem Typen-Ansatz und einem modernen Ansatz ist, dass wir in der modernen Persönlichkeitspsychologie davon ausgehen, dass Persönlichkeitseigenschaften keine Schubladen, sondern Dimensionen sind. Ich bin nicht entweder introvertiert oder extravertiert. Das ist ein Kontinuum. Jeder von uns hat jede Persönlichkeitseigenschaft, aber mit einer unterschiedlichen Ausprägung. Ein Modell wie die Big Five berücksichtigt das. Es arbeitet mit fünf Kontinuen und kann so sehr viele verschiedene Abstufungen abbilden. Damit wird es den Unterschieden zwischen Menschen gerecht. Beim Typen-Ansatz hingegen gibt es nur 16 unterschiedliche Typen. Eine Persönlichkeitseigenschaft, die im Privat- und Berufsleben zum Beispiel wirklich wichtig ist, ist emotionale Stabilität. Sie beschreibt, wie man mit negativen Gefühlen wie Stress, Provokation oder Druck umgeht. Diese Eigenschaft gibt es bei den Big Five, in Typen-Tests taucht sie aber gar nicht auf. 

Was folgt daraus? 

Selbst bei der Forschung zur Persönlichkeit von Fischen findet man komplexere Modelle. Wenn man so einem Typen-Modell folgt, würden wir also davon ausgehen, dass die menschliche Persönlichkeit weniger komplex ist als die von Fischen. Das fände ich schon sehr dramatisch. Ein weiteres Problem ist die Instabilität der Messung. Die aktuelle Forschung zeigt, dass Menschen in ihrer Persönlichkeit relativ stabil sind. Bei einem Persönlichkeitstest müsste also bei einer Person bei einer erneuten Testung nach einigen Wochen etwas hochgradig Ähnliches rauskommen. Wenn ich aber einen Typen-Test mache, bin ich heute Typ A, mache ich den Test in sechs bis acht Wochen nochmal, bin ich dann oft Typ C oder E. Das heißt, die Ergebnisse sind nicht verlässlich, sondern viel eher Zufall und sagen somit nichts über meine Persönlichkeit aus. Das ist wirklich bedenklich. 

Dennoch sind Typen-Tests gerade sehr populär und erfolgreich. Warum? 

16 Typen, das ist auf den ersten Blick eingängiger als ein kontinuierliches Persönlichkeitsmodell. Für Laien ist zudem von außen nicht ersichtlich, ob ein Test wissenschaftlich fundiert ist. Außerdem arbeiten diese Tests mit dem sogenannten Barnum-Effekt. Barnum, so hieß ein Zirkus in den USA mit dem Werbespruch: „Für jeden etwas“. So ähnlich funktionieren die Typen-Tests. Die Ergebnisse sind sehr allgemeingültig formuliert, scheinen aber auf die eigene Persönlichkeit zuzutreffen. Man liest sich das durch und denkt: „Ja klar, das bin ich!“. Aber wenn ich lauter Aussagen habe, wo jeder sagt: „Ja stimmt, das bin ich!“ dann brauche ich auch keinen Test machen. Das nützt gar nichts, um Menschen voneinander zu unterscheiden.

„Wenn man Typen-Tests macht, dann kann gar nichts Schlechtes dabei rauskommen“

Warum ordnen sich viele trotzdem so gerne damit ein?

Die Ergebnisse sind immer positiv. Wenn man Typen-Tests macht, dann kann gar nichts Schlechtes dabei rauskommen. Abgesehen davon sind die Typen-Tests schon über 100 Jahre alt und damit viel länger einer breite Masse zugänglich als die Big Five etwa, die erst in den 1990er Jahren populär wurden. Die Typen-Tests werden in ganz vielen Unternehmen eingesetzt, es gibt viele Büchern dazu. Das alles hat dafür gesorgt, dass diese Tests eine ziemliche Marktmacht haben, auch wenn sie keine wissenschaftliche Fundierung nachweisen können.

Halten Sie diese Tests für gefährlich? 

Was heißt schon gefährlich in diesem Fall? Eine mögliche Verschwendung von Ressourcen? Sicherlich. Aber nimmt eine Person persönlich Schaden? Nun, wenn ich ein Horoskop lese, dann nehme ich auch keinen Schaden, solange ich den Inhalt nicht zu meiner Lebensmaxime erhebe. In der Vergangenheit gab es immer wieder Versuche vieler Kolleginnen und Kollegen, über Typentests aufzuklären. Ich denke, die meisten gut ausgebildeten Psychologinnen und Psychologen sind hier auch in der Lage, gute Einschätzungen zu geben. Allerdings ist es nach wie vor schwer, die gut gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich moderner Persönlichkeitsdiagnostik auch überzeugend an die breite Masse zu bringen. Beiträge wie dieser helfen hoffentlich.

„Man kann mit Hilfe von Persönlichkeitstests ein bisschen vorsortieren“

Inwiefern können Persönlichkeitstest trotzdem sinnvoll fürs Daten sein?

Bei Dating-Apps trifft man auf ganz viele andere Menschen, die man nicht kennt. Man muss also irgendwie eine Vorauswahl treffen und dafür können Persönlichkeitstests durchaus sinnvoll sein. Denn die Forschung zeigt, dass man mit Menschen, die so ähnlich ticken wie man selbst, durchaus besser zurecht kommt. Man kann mit Hilfe von Persönlichkeitstests also ein bisschen vorsortieren. Allerdings würde ich das mit einem Persönlichkeitsverfahren machen, das wissenschaftlich fundiert ist und eine verlässliche Aussage über die eigene Persönlichkeit und die der anderen Person erlaubt. Denn durch die unzuverlässigen Testergebnisse können auch falsche Erwartungshaltungen entstehen. Also: Wenn man solche Persönlichkeitstest nutzt und sei es nur zur Belustigung, würde ich definitiv auf ein Verfahren bauen, das wissenschaftlich fundiert ist – und nicht völlig unsinnig.  

Kann man solche wissenschaftlich fundierten Tests denn auch einfach so machen? 

Viele Forschungsgruppen suchen immer wieder nach Teilnehmerinnen und Teilnehmern an wissenschaftlichen Studien. Gerade in der Persönlichkeitspsychologie werden Big Five Verfahren oft routinemäßig miterhoben und allen Teilnehmern ein Feedback gegeben. Also ja, man kann durchaus kostenfrei auch an seriösen Verfahren teilnehmen. Allerdings gibt es auch Verfahren, die die Persönlichkeit sehr detailliert beleuchten und auch auf die Ebene unter den Big Five schauen. Hier würde ich eher empfehlen, solche Verfahren anlassbezogen und mit der Unterstützung von Test-Expertinnen durchzuführen.

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