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Jüdische Weihnachten: Nachtschicht an Heiligabend
Mit seiner moldawisch-jüdischen Familie hat Comedian Natan Bilga nie Weihnachten gefeiert. Aber in Deutschland kommt er nicht darum herum. Hier erzählt er, was die Festzeit für ihn bedeutet und wie er sie verbringt. Diesmal: Arbeiten an Heiligabend.
Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Familie. Aber was ist wichtiger als Liebe? Richtig: Arbeit. In Deutschland gilt das vielleicht mehr als in anderen Ländern. Trotzdem sind der 25. und der 26. Dezember gesetzliche Feiertage, an denen in vielen Berufen niemand arbeitet. Gut so! Ich war drei Jahre lang Redakteur für eine Fernsehsendung, die über Weihnachten in der Winterpause ist. Da hatte ich zu der Zeit einfach frei. Dieses Jahr war es das erste Mal anders. Ich arbeite seit einigen Monaten in einem Kiosk, der 24 Stunden am Tag geöffnet hat. Auch über die Feiertage. Als ich da angefangen habe, habe ich groß angekündigt, dass ich als Jude auch an Weihnachten arbeiten kann. Und es kam, wie es kommen musste: Ich wurde über die Weihnachtsfeiertage in die Nachtschichten eingetragen. 23 Uhr abends bis sieben Uhr morgens am nächsten Tag. Vom 24. Dezember bis zum 27. Dezember sollte ich Alkohol und Zigaretten verkaufen. An verlorene Seelen, die über die Feiertage nicht bei ihrer Familie sind oder es über die Bescherung hinaus nicht zuhause aushalten. Und an diejenigen, die kein Weihnachten feiern oder arbeiten müssen.
Im Vorhinein hatte ich mich auf die Nachtschicht gefreut, sie mir als magische Nacht vorgestellt, mit aufregenden Charakteren und kleinen weihnachtlichen Momenten. Und mit feierwütigen Nachtschwärmer:innen, die nach Heiligabend eine unheilige Nacht brauchen. Mit dieser Kolumne im Hinterkopf habe ich auf dem Kurznachrichtendienst Threads meine Nachtschicht getickert, um die Stimmung so lebendig wie möglich einzufangen. Folgend ein paar Einträge aus dem Logbuch:
25.12.24 00:20 Uhr:
Super entspannte schicht bisher mache grad kaffeemaschine sauber
25.12.24 00:39 Uhr:
Die Kaffeemaschinenmission steht still: es ist kein Reinigungsmittel da und jetzt warte ich bis der eine Kollege, der eigentlich grad frei hat mir erklärt was ich zu tun hab
25.12.24 00:40 Uhr:
Wir haben übrigens jetzt eine Start Up Neuerung! Es gibt einen Obstkorb! Esse alle Trauben weg
25.12.24 00:44 Uhr:
Kundschaft super lieb und entspannt - keine besoffenen, außer der eine der eh immer kommt
25.12.24 00:48 Uhr:
Kaffeemaschine wird nun ordnungsgemäß durchgespült (mit Wasser statt mit Reinigungsmittel, naja)
25.12.24 01:30 Uhr:
Die beiden Kollegen sind wieder weg, ich bin jetzt erstmal alleine hier - jetzt wird in der Nase gepopelt
Zugegeben, bis dahin war es ziemlich langweilig. Bis auf ein Vierergrüppchen Ir:innen, das mit einer Gitarre bewaffnet unweit des Kiosks gemeinsam Wonderwall gesungen hat, ist auch nichts Weihnachtliches passiert. Ich wusste aber, dass einige meiner Freund:innen mich kurz besuchen wollten. Zwei von ihnen kamen von ihrer Familienweihnachtsfeier und waren gegen zwei Uhr morgens da, die anderen beiden eine gute halbe Stunde später. Hier enden die Einträge ins Logbuch, weil ich mit dem Kopf ganz woanders war.
Mehrmals musste ich kurz innehalten, um mich zu vergewissern, dass das gerade echt ist
Nämlich bei meinem eigenen kleinen Weihnachtsfest. Als wäre es nicht genug, mich an Weihnachten, bei der Kälte und um diese unchristliche Uhrzeit zu besuchen, hatten alle irgendwas für mich dabei: schlesischen Karpfen, selbstgemachte Vanillekipferl und vor allem Zeit! Es ist immer schön, wenn Freund:innen mir bei der Arbeit einen Besuch abstatten, aber normalerweise ist das ein eher kurzes Vergnügen. Weil ich zu tun habe, weil die Besucher:innen irgendwann weiter müssen oder es im Winter irgendwann einfach zu kalt wird. Diesmal war es anders. Es war kaum Kundschaft da und niemand musste dringend irgendwo hin. Richtig gute Voraussetzungen, um ein bisschen zu versacken. Bis um halb sechs morgens haben wir gemeinsam gefeiert, getrunken, Musik gehört und Plätzchen genascht. Ich habe vielleicht eine oder zwei Raucherpausen mehr gemacht als sonst. Irgendwann kamen noch Stammkunden dazu, die in den umliegenden Bars arbeiten und nach ihren Schichten immer zu uns an den Kiosk kommen.
Mehrmals musste ich kurz innehalten, um mich zu vergewissern, dass das gerade echt ist. Denn es hat sich stellenweise so angefühlt wie das kitschige Staffelfinale einer Workplace-Comedy. War es aber nicht. Es war einfach ein toller, weihnachtlicher Abend. Wöllte ich übertreiben, würde ich sagen: Es war ein kleines Weihnachtswunder, weil ich für diese Nacht mit allem gerechnet habe, aber nicht mit so einer besinnlichen Stimmung mitten in der Nacht vor einem Kiosk.
Die darauffolgenden zwei Schichten waren nicht weniger ruhig. Bis auf einen Mann, der behauptet hat, er sei Soldat und müsse dringend nach Hamburg, um komplett betrunken in den Krieg zu ziehen, hatte ich keine besonders spannende Kundschaft. Es war Dienst nach Vorschrift.
Heiligabend hingegen hat sich für mich wirklich explizit nach Weihnachten angefühlt. Und überraschenderweise auch nicht nach Chanukka (was ja am 25. Dezember gestartet hat) oder irgendetwas Anderem. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich sehr säkular aufgewachsen bin und Weihnachten mich einfach wegen seiner popkulturellen Bedeutung stärker geprägt hat, als es mir bisher bewusst war. Aber das ist so ein unromantisches Schlusswort. Deswegen sage ich, es liegt am Zauber der Weihnacht, der einfach alle überkommt. Unabhängig von Religion, Herkunft und Geschlecht.