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Mein erstes Weihnachten

Foto: Privat

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Mit seiner moldawisch-jüdischen Familie hat Comedian Natan Bilga nie Weihnachten gefeiert. Aber in Deutschland kommt er nicht darum herum. Hier erzählt er, was die Festzeit für ihn bedeutet und wie er sie verbringt. Diesmal: Ein jüdischer Survival Guide für die erste Weihnacht bei den Schwiegereltern.

Die Adventszeit war für mich immer sehr entspannt. Als Jude, der im christlich-orthodoxen Moldawien geboren ist, war das westliche Weihnachtsfest nie ein Thema für mich. Alle meine Freund:innen wussten, dass ich Jude bin. Und weil auch der Großteil meines Freundeskreises kein Weihnachten gefeiert hat, waren die Highlights der Weihnachtszeit für uns zwei Wochen Schulferien und Geböller an Silvester. Und Adventszeit hieß für mich nur: Alles ist dekoriert, bei Super RTL läuft endlich wieder „Weihnachtsmann und Co. KG“ und die Münchener Fußgängerzonen sind voll mit gestressten Almans.

2022 sollte sich das allerdings ändern. Ich war in meiner ersten ernsten Beziehung. Sie war zum Studieren nach München gezogen und hat dafür ihre Eltern im tristen Niedersachsen zurückgelassen. Als Weihnachten sich anbahnte, stand es außer Frage, dass ich über die Feiertage bei ihren Eltern eingeladen bin. Ich hatte sie schließlich schon kennengelernt. 

Ich kannte Weihnachtsfeiern nur aus EDEKA-Werbung

Ich wusste nicht, ob sie mich aus Herzlichkeit oder Pflichtbewusstsein eingeladen hatten; die Einladung hat mich aber sehr gefreut. Ich hatte mich schon immer gefragt, wie Weihnachten in Wahrheit gefeiert wird. Zuvor kannte ich das nur aus Weihnachtsfilmen und der alljährlichen EDEKA-Werbung. 

Und ich lernte schnell etwas kennen, auf das mich keine Supermarkt-Reklame vorbereitet hatte: Vorweihnachtsstress. Die Suche nach dem passenden Geschenk. Die Angst, Familiendrama zu erleben oder gar auszulösen. Die Frage, ob man sich an alle Namen erinnern kann. Was soll ich schenken? Was soll ich erzählen? Was soll ich anziehen? Wie komme ich da raus, wenn ich als Jude die Siedlungspolitik Israels rechtfertigen soll?

Ein aus Niedersachsen stammender Kumpel hat mich schon mal intensiv auf Gespräche mit Norddeutschen Eltern vorbereitet. Ich sollte wenig Emotion erwarten und einfach nett sein. So weit, so simpel. Das kannte ich ja auch von ihm. Meine damalige Freundin allerdings war extrem nervös. Sie hatte Angst, dass ihre Familie gemein oder unsensibel zu mir ist. Diese Sorge sollte nicht unbegründet bleiben.

Irgendwie hat sich das alles für mich auch wie ein Integrationstest angefühlt. Ich meine, was gibt es wichtigeres in einer Kultur als Feste und Bräuche? Wie ich mich an Weihnachten bei der Familie meiner Partnerin schlage, definiert auch ein bisschen, wie gut ich in diesem Land angekommen bin. Und es gibt da auch keine Grauzonen. Entweder ich reiße da richtig ab und darf bleiben oder ich versage kläglich und kann mir den deutschen Pass abschminken bevor ich „Die Weihnachtsgans schmeckt hervorragend“ sagen kann. Das habe ich mir zumindest so ausgemalt. 

Also durfte in Sachen Geschenke nichts schiefgehen. Als ich meine Freundin fragte, was ich ihren Eltern mitbringen sollte, bekam ich eine ernüchternde Antwort: „Ich weiß nicht, was ich ihnen schenken soll. Die haben schon alles“

Und jetzt? „First christmas as a jew what to get for girlfriends parents?“ bei YouTube einzugeben, war mir irgendwie peinlich.

Es war wie bei Kafkas Die Verwandlung. Nur, dass ich nicht zum Käfer wurde. Sondern ein Deutscher vor Weihnachten. „Als Natan Bilga eines morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem gestressten Alman verwandelt.“ So hätte das Buch bei mir begonnen. Und statt eines Prokuristen, der mich fragt, wann ich denn endlich auf Arbeit erscheine, hatte ich eine Freundin, die mich gefragt hat, ob ich denn schon ein Geschenk für ihre Eltern habe. Und ob ich an ihre Großeltern gedacht habe. Und an ihre Tante. 

Viel Brainstorming und Kopfzerbrechen später hatte ich doch noch eine Eingebung: Ich musste meine Schwäche zu meiner Stärke machen. Die Schwäche: Absolute Erfahrungslosigkeit beim Thema Weihnachten aufgrund meines kulturellen Hintergrunds. Wie ich daraus eine Stärke gemacht habe? Ich dachte: „Hey, die laden mich ein, ihre Kultur kennenzulernen und mir zu zeigen, wie sie dieses Fest feiern. Und sind dabei auch noch super gastfreundlich. Dann bringe ich als Ausgleich doch etwas aus meiner Kultur mit!“ Ich weiß, mega cheesy. Aber es schien, als könnte es funktionieren.

Würde ich in der norddeutschen Version von Get Out landen?

Also bin ich in den osteuropäischen Feinkostladen meines Vertrauens – dort gehe ich hin, wenn ich mein Russisch auffrischen will, aber meine Mutter nicht besuchen möchte – und habe mich eingedeckt. Mit moldawischen und ukrainischen Süßigkeiten, mit moldawischem Rot- und Weißwein. Irgendwie war ich stolz auf die Idee. Ich war mir sicher, sie sind die ersten in diesem niedersächsischen Dorf, die den Rotwein aus Purcari trinken. Meine damalige Freundin war auch überzeugt, dass es ein tolles Geschenk ist.

Ich war froh, als die stressige Adventszeit langsam in die richtige Weihnachtszeit mündete (ich weiß nicht, ob diese Analogie Sinn ergibt, weil ich bis heute nicht genau weiß, ob es zwischen Adventszeit und Weihnachtszeit einen Unterschied gibt oder es dasselbe ist und das eine nicht ins andere münden kann. Vielen Dank für euer Verständnis). Im ICE Richtung Norden entfaltete sich ein neues Mitgefühl mit meinen deutschen Freund:innen, die dieses Belastungs-EKG für die Nerven jedes Jahr mitmachen müssen. Und im Umkehrschluss eine Dankbarkeit, jüdisch zu sein. Norddeutschland war und ist für mich übrigens so weit weg, dass ich mir auch vorstellen konnte in der deutschen Version von Get Out zu landen.

So war es aber ganz und gar nicht. Es war so ein schönes erstes Weihnachten. Die Familie meiner Ex hat mich geliebt, das Geschenk ist mega gut angekommen und ich war perfekt auf die wortkarge norddeutsche Art vorbereitet. Natürlich sind wir nicht ohne die klassischen weirden Momente klargekommen, die es bei jeder Weihnachtsfeier gibt. Also, zumindest denke ich, dass es sie bei jeder Weihnachtsfeier gibt. Ich war seitdem auf keiner mehr. Aber dazu mehr in den nächsten Wochen.

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