- • Startseite
- • Gutes Leben
-
•
Trauer-Expertin Nora McInerny im Interview
Witwe, vaterlos, Fehlgeburt – Nora McInerny hatte 2014 ein ziemlich beschissenes Jahr. Sie war 31, als ihr Ehemann Aaron an einem Gehirntumor starb, da war der gemeinsame Sohn grade mal zwei Jahre alt. Wenige Tage vorher war ihr Vater gestorben. Außerdem hatte McInerny eine Fehlgeburt.
Sie schrieb darüber ein Buch, gründete ein Onlineforum für Witwen – und wurde zur Expertin für Trauer. Ihr Podcast „Terrible, thanks for asking“ („Beschissen, danke der Nachfrage“) wurde laut McInerny inzwischen 14 Millionen Mal runtergeladen. Darin redet sie über Trauer und den Umgang mit dem Schmerz – und hat in jeder Folge einen Gesprächspartner, der über die dunkelsten Momente seines Lebens spricht.
McInerny hat inzwischen wieder geheiratet und lebt mit ihrem Mann Matthew Hart, dem gemeinsamem Kind, ihrem Sohn aus ihrer Ehe mit Aaron und den beiden Kindern aus Matthews erster Ehe in Minneapolis, Minnesota.
jetzt: Wie gehst du damit um, dass du so vielen Menschen und ihren Problemen, Sorgen und ihrer Trauer zuhörst?
Nora McInerny: Manchmal nimmt mich das ziemlich mit und ich brauche auch Pausen. Wir produzieren 30 Folgen im Jahr. Das ist viel Arbeit für das ganze Team. Die guten Seiten der Arbeit überwiegen definitiv, aber auch ich würde an manchen Tagen lieber zu Hause bleiben, statt zur Arbeit zu gehen. Zu Hause fokussiere ich mich ganz auf meine Familie, wir lachen viel, reden über lustige Dinge und ich genieße diese guten Seiten meines Lebens.
Hast du das Gefühl, dass du Menschen mit deinem Podcast wirklich helfen kannst?
Ich weiß, dass wir Menschen die notwendigen Worte und so die Möglichkeit geben, über die schwierigen Dinge zu sprechen. Besonders hier in den USA lieben wir unser „Happy End“. Das ist fast schon eine unterdrückende Form von Optimismus: Sobald etwas Schlimmes passiert, muss es direkt wieder aufwärts gehen. Mach Limonade aus den Zitronen des Lebens! Und am Ende muss es dir noch besser gehen als vorher! Manchmal passiert das ja auch. Manchmal aber auch nicht. Und manchmal dauert es ein wenig, bis man soweit ist. Und das ist okay.
Als du mit dem Podcast angefangen hast, war dein Leben ja alles andere als perfekt: Du warst an einem schwierigen Punkt, hattest gerade deinen Mann verloren ...
Tatsächlich verarbeite ich einen großen Teil in der ersten Staffel des Podcasts. Aaron war zwei Jahre zuvor gestorben, ich hatte gerade ein Kind mit Matthew bekommen, der inzwischen mein zweiter Ehemann ist. Das war alles sehr viel auf einmal und schwierig in Einklang zu bringen, während mir auch noch diese Menschen ihre Geschichten erzählt haben und was sie durchgemacht haben. Aber ich habe mich dadurch sehr viel weniger einsam gefühlt.
„Niemand möchte anderen zur Last fallen“
Warum ist es denn so wichtig, auch mal zu sagen „Mir geht's scheiße“, statt nur „passt schon“?
Wenn wir unserer Familie und unseren Freunden genauso antworten wie Bekannten und Fremden, und das typisch-amerikanische „Gut, danke der Nachfrage“ antworten und in Small Talk verfallen, geben wir ihnen keine Chance, uns zu helfen. Wir machen es ihnen unmöglich, uns zu unterstützen. Wir machen uns unerkennbar – und damit auch sehr einsam.
Aber warum tun Menschen das?
Niemand möchte die Stimmung ruinieren, anderen zur Last fallen oder sie runterziehen.
Wie möchtest du das mit deinem Podcast verändern, was möchtest du erreichen?
Der Podcast soll dabei helfen, über die Dinge zu sprechen, mit denen wir alle hadern. Ich versuche, jede Folge so konkret zu gestalten, dass Zuhörer danach sagen können: „So, genau so hat es sich angefühlt. Auch wenn ich nicht genau das Gleiche durchgemacht habe, genau dieses Gefühl kann ich nachvollziehen.“
Jede der Geschichten in deinem Podcast ist anders, man kann den einen Schmerz nicht mit dem anderen vergleichen. Aber gibt es Folgen, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?
Es gab eine, aus dem Februar: „A Bailey Moment“. Darin ging es um eine Mutter und ihren Sohn, der Autismus hat und mit aggressivem Verhalten kämpft. Die Mutter spricht darüber, wie sie mit ihrem Kind mitleidet. Aber sie spricht auch über die Einsamkeit, unter der sie wegen ihres Kindes leidet. Das Besondere für mich: In dieser Folge kommt nicht nur die Mutter zu Wort, sondern auch ihr Sohn. Es ist selten, das mit einem Menschen mit Autismus geredet wird, statt nur über ihn. Aber es gibt noch eine besondere Folge über eine Frau, die stottert.
Was ist denn daran so besonders?
Wenn jemand stottert, sagen Leute häufig, das sei doch gar nicht so schlimm. Aber Stottern isoliert dich vom Rest der Welt. Du kannst nicht so in Kontakt treten mit Menschen, wie du es gerne möchtest und nicht das Leben führen, das du dir vorstellst. Wir haben sie in aller Ruhe interviewt, ohne Stress und mit ihrem Stottern. Damit unsere Zuhörer lernen, wie es klingt, wenn jemand anders spricht als sie.
Es geht auch um sehr schwierige Themen wie Depression und in einer Folge auch explizit um Suizid. Wie gehen du und dein Team diese Themen an – seid ihr manchmal besorgt, welchen Effekt sie auf eure Zuhörer haben könnten?
Wir gehen respektvoll und sanft an diese Themen heran und lassen sehr bewusst unsere Gesprächsgäste über ihre eigenen Erfahrungen reden. Viele Menschen wissen nämlich nicht, wie sie darüber reden sollten. Wir haben diese Folge extra produziert, um eine Diskussion darüber anzustoßen. Mit so viel Sorgfalt und Aufmerksamkeit, wie wir nur können.
Es wird viel darüber geredet, dass die sozialen Medien – und das perfekte Leben, das dort scheinbar alle führen – unseren Gemütszustand beeinflussen, und zwar negativ. Wie siehst du das?
Oh, total – wir vergleichen uns andauernd mit anderen Menschen, ob wir sie persönlich kennen oder nicht, und das hat Konsequenzen. Ich bin viel glücklicher, wenn ich nicht an meinem Smartphone hänge. Vor allem dürfen wir nicht vergessen: Alles, was wir in den sozialen Medien sehen, sind nur die Ausschnitte, die die Menschen uns zeigen wollen. Es ist nie die ganze Geschichte, immer nur ein Teil der Wahrheit.
Dieser Text erschien erstmals am 16.06.2019.