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"Alleine zu sein bereichert ungemein" - ein Interview über die Einsamkeit
Vor sechs Jahren postete die kanadische Künstlerin Tanya Davis ein Video, das sie zusammen mit ihrer Künstlerkollegin Andrea Dorfman aufgenommen hat. Das vertonte Gedicht war eine Anleitung zum Einsam sein – und traf offenbar einen Nerv. Denn es wurde nicht nur millionenfach geklickt und geteilt – Tanya hat inzwischen auch ein Buch dazu herausgebracht. Die perfekte Gesprächspartnerin also, die uns beibringen kann, wie wir besser damit klarkommen, alleine zu sein.
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jetzt: Vor sechs Jahren hast du auf Youtube ein Video mit dem Titel "How To Be Alone" gepostet. Das wurde Millionen Mal gesehen, und du hast daraufhin auch ein Buch mit gleichem Titel geschrieben. Was meinst du, warum war das Video so erfolgreich?
Tanya Davis: Weil es sich dabei um ein universelles Thema handelt. Wir alle waren irgendwann mal in unserem Leben schon mal alleine und wir wissen, wie sich das anfühlt. Es ist ein urmenschliches Erlebnis, unabhängig von Alter, Nationalität, oder Herkunft. Ich glaube nicht, dass ich in dem Video irgendwas Neues oder Tiefsinniges erzählt habe. Ich habe nur ausgesprochen, was viele denken und fühlen. Vielleicht haben deshalb so viele Menschen das Video geteilt.
Glaubst du, Menschen sollten versuchen, öfter alleine mit sich selbst zu sein?
Wir leben in einer komplett vernetzten Welt und verbringen die meiste Zeit an Computern oder mit unserem Handy. Ich mache mir Sorgen, dass wir die Fähigkeit verlieren, still zu sein, ganz ohne Ablenkungen. Gleichzeitig scheint es sehr viele unzufriedene Menschen zu geben und so viel Einsamkeit, obwohl wir alle miteinander vernetzt sind. Ich frage mich, ob unser Unwohlsein teilweise davon kommt, dass wir uns von uns selbst so sehr entfernt haben, dass wir gar nicht mehr an uns ran kommen.
Wie wird Einsamkeit in der Gesellschaft wahrgenommen?
Ich glaube, Einsamkeit wird manchmal als persönliches Versagen eines Menschen gesehen, als hätte derjenige Dinge nicht korrekt getan und deshalb sei es seine eigene Schuld, dass er einsam ist. Aber das muss nicht stimmen. Hier in Nordamerika wird zum Beispiel der Fokus sehr auf die Kernfamilie gelegt und auf den einen romantischen Partner, der uns alles geben soll, was wir emotional brauchen. Wenn das nicht klappt – und es klappt nie – dann bekommen wir das Gefühl, versagt zu haben oder in der falschen Beziehung zu sein. Aber ich glaube vielmehr, dass unsere Prioritäten falsch sind und wir vergessen haben, dass unsere verschiedenen Bedürfnisse von verschiedenen Menschen befriedigt werden können. Wir können von unserem Partner oder unserer unmittelbaren Familie nicht erwarten, dass sie alles für uns sind.
Erinnerst du dich an Situationen, in denen die Einsamkeit besonders gut war für dich?
Oh, es gibt so viele gute Momente, die ich alleine erlebt habe. Ich glaube, die besten waren immer dann, wenn ich geschwommen bin. Ich lebe in der Nähe des Ozeans und vieler Seen. Ich liebe es, alleine am oder im Wasser zu sein. Ich fühle mich dann immer so verbunden und als Teil des Ganzen.
Und gab es auch Situationen, die schrecklich waren?
Einmal war ich in Kanada mit ein paar Freunden beim Bergsteigen. Aber dann wollte ich eine Abkürzung nehmen, bin vom Weg abgebogen und war eine Weile ganz allein. Und dann habe ich Bärenspuren gesehen und richtig Angst bekommen. Ich dachte „das ist wirklich ein gefährlicher Platz, um alleine zu sein.“ Eine ähnlich schlimme Zeit hatte ich, als ich nach einem besonders schlimmen Beziehungsende nach Mexiko geflogen bin – alleine mit meinem gebrochenen Herzen. Ich spreche kein Spanisch und war weit entfernt von all meinen Freunden, die mir Unterstützung oder Trost hätten spenden können. Und ich war so schrecklich einsam. Das würde ich nie wieder machen.
Was würdest du Menschen empfehlen, die scheinbar nicht alleine sein können – und ständig in einer Beziehung sein müssen?
Jeder soll sein Leben so führen, wie er möchte. Aber ich würde so jemanden einladen, mal in sich selbst hineinzuschauen und darüber nachzudenken, ob er vielleicht irgendetwas vermeidet, vor irgendwas wegläuft. Denn eine Weile alleine zu sein, bereichert einen ungemein! Die Unabhängigkeit, die man lernt, ist ein Geschenk. Klar gibt es schwierige Momente, aber man kann so viel gewinnen. Außerdem lohnt sich jede menschliche Erfahrung im Leben – unter anderem auch Einsamkeit. Und wenn wir eine Zeitlang alleine verbringen, nach innen schauen und unsere eigene Gesellschaft genießen, könnten wir theoretisch bessere Partner sein, wenn die nächste Gelegenheit vorbei schaut.
Was ist das Schwierigste, was man alleine tun kann? Essen gehen, tanzen gehen?
Hochzeiten können echt hart sein, weil das Feste sind, bei denen sich alles um Beziehung und Familie dreht. Und da kann es passieren, dass die Aufmerksamkeit stark darauf gelenkt wird, dass du alleine bist. Das kann schräg und unangenehm sein. Aber denk daran: Viele Leute fühlen sich schräg und unangenehm auf Hochzeiten! Auch die, die mit ihrer Familie oder ihrem Partner gekommen sind. Und du bist nie der einzige Mensch, der alleine ist.
Alleine Essen gehen kann am Anfang schwer sein, aber ich mag es inzwischen wahnsinnig gerne. Es ist unheimlich entspannend. Und man kann immer an der Bar eines Restaurants sitzen, das ist der perfekte Ort, um alleine unter Menschen zu sein.
Glaubst du, das Gefühl, alleine zu sein, hat sich mit der Erfindung des Smartphones geändert?
Absolut! Es ist natürlich eine wunderbare Sache, dass wir die Möglichkeit haben, schnell jemandem eine SMS schreiben zu können, oder per Skype in Kontakt zu bleiben. Das sind offensichtliche Vorteile. Aber ich glaube, echter zwischenmenschlicher Kontakt ist wichtiger. Und Smartphones und Social Media lenken uns davon ab. Wir verbringen mehr Zeit mit unseren Freunden auf Facebook als an einem Tisch. Und diese Interaktion ist sehr anders und meines Erachtens auch nicht so verbindend. Aber wir denken, dass wir verbunden sind und so merken wir nicht, dass wir einsam werden. Telefone sind keine Menschen, Social Media ist nicht die Natur. Wir müssen wirklich aufpassen, dass wir diese Dinge gut ausbalancieren.
Kannst du Menschen Mut machen, die besser damit klarkommen wollen, alleine zu sein?
Ich denke, es ist wie bei allem: man braucht Übung. Sei also nicht zu streng mit dir, wenn du denkst, du bist „nicht gut genug“ im Alleine sein. Wir gehen eh immer zu hart mit uns selbst um. Gleichzeitig solltest du Einsamkeit nicht um jeden Preis vermeiden. Und sei geduldig. Wenn du jetzt nicht besonders gut mit Einsamkeit umgehen kannst, bedeutet das nicht, dass du es nicht werden kannst. Menschen können sich ändern. Fang mit einfachen Übungen an, dort, wo du dich wohl fühlst. Rede darüber, lies darüber, denke darüber nach.
Mit welcher Übung in Einsamkeit würdest du zuerst anfangen?
Versuch mal ein paar Minuten alleine mit dir (und ohne Handy oder Internet) zu verbringen. Sitz einfach da oder geh rum oder schau aus dem Fenster. Versuch ein paar Minuten am Tag so zu verbringen, als hättest du eine kurze Verabredung mit dir selbst.
Außerdem: Mach dir keine Gedanken darüber, was andere Leute denken, wenn sie dich alleine in der Öffentlichkeit sehen. Das ist egal. Im Übrigen denkt niemand so viel über dich nach wie du selbst. Wir sind alle so damit beschäftigt, über uns selbst nachzudenken und uns über unser Leben, unsere Jobs, unsere Familien, unsere Klamotten, unser Geld und all diese Sachen Sorgen zu machen – wer hat denn bitte da noch Zeit und Lust, längere Zeit über irgendeine wildfremde Person nachzudenken, die neben einem alleine zu Mittag gegessen hat? Niemand. Es ist egal. Vielleicht haben sie eine Minute über dich nachgedacht, vielleicht haben sie auch über dich geurteilt. Aber dann sind sie weitergegangen, genauso wie du es tun würdest. Wir nehmen uns alle eindeutig viel zu ernst und machen uns zu viele Sorgen darüber, was andere Menschen von uns denken. Das Leben ist kurz. Also mach, was dich glücklich macht und vielleicht wirst du dann auch ein paar andere Menschen glücklich machen.