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Gurk macht mit. Heute: Keine Zeit für Gutes

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Keine Zeit, keine Zeit! In der letzten Woche war ich zwei Tage krank, Besuch ist da und ein grimmig-großer Haufen Uni Kram hockt in meinem Nacken. Zu allem Überfluss hatte dann auch noch die Mama Geburtstag, es lockte die Wiesn und die Tage werden ja nun auch schon kürzer. In solchen Zeiten trennt sich die faule Spreu vom prinzipientreuen Weizen: Während meine Topfpflanzen verdursten und das Ökogemüse in meinem Kühlschrank verschrumpelt, esse ich aus Zeitersparnis fettige Burger. Im Tierheim war ich die ganze Woche nicht und ich habe weder ein Gruppentreffen besucht, noch irgendeinen Infoabend.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zu Recht nagt nun das schlechte Gewissen. Und – oh Graus – sogar schlimmer als zuvor. Früher hab ich einfach für niemanden nichts gemacht. Heute weiß ich, wen und was ich momentan sträflich vernachlässige. Engagement braucht eben leider nicht nur Lust, sondern auch ein wenig Zeit. Eine Gewissenspolitur für Kurzangebundene tut Not. Das ist zwar nicht wirklich erfüllend, aber immerhin besser als gar nichts tun. Variante 1 – Der Pfadfinder: „Jeden Tag eine gute Tat“ ist sehr löblich. Leider hab ich eben dafür keine Zeit, außerdem warten nicht ständig hutzelige Großmütterchen an stark befahrenen Kreuzungen. Meine Mitbewohnerin meint, ich solle doch in meinem direkten Umfeld helfen. Zum Beispiel ihre Wäsche aufhängen. Na klar. Variante 2 – Almosen: Diese Variante mag in vielen Deutschen Großstädten und dem ganzen Rest der Welt hervorragend funktionieren – in München tut sie es nicht. Während man in anderen Metropolen kaum Cafetrinken oder U-Bahn fahren kann ohne angeschnorrt zu werden, muss man in der Weltstadt mit Herz schon extra zu zentralen Plätzen fahren, um einer Obdachlosen-Zeitung habhaft zu werden oder eine milde Gabe an den Mann zu bringen. Dass ich meistens Fahrrad fahre (die Umwelt!) kompliziert diese Variante obendrein. Also eher ungeeignet. Variante 3 – Virtuelles Engagement mit Onlinepetitionen: Die Homepages für Onlinepetitionen sind so was wie riesig, riesig große Fußgängerzonen, wo Myriaden kleiner Infostände um Unterschriften buhlen. Leider verstecken sich die wirklichen sinnvollen Themen zwischen einem Haufen Absonderlichkeiten und zwielichtigen Schmu. Ich resigniere bei der Unterschriftenliste gegen den sexuellen Missbrauch an Wombats in Afghanistan. Variante 4 – "Spenden – Klick – Seiten": Wunderbare Welt der Technik! Die Erde retten mit einem Mausklick - und das für lau! Ich entscheide mich dafür, 25 Kubikzentimeter Eiche zu pflanzen, die Waldvernichtung im Allgemeinen zu stoppen, hungernden Kindern Essen zu geben und Solaranlagen in Entwicklungsländer zu installieren. Der knauserige Weltverbesserer freut sich, denn zahlen werden den ganzen Spaß einige sozial engagierte Firmen. Trotzdem ein gutes Gefühl, wenn auch nur ganz kurz. Variante 5 – Klassisch Spenden: Von Millionen Deutschen kurz vor Weihnachten praktiziert, kann dieser Weg das schlechte Gewissen zu bekämpfen so falsch nicht sein. Dabei gilt scheinbar: Je mehr es weh tut, desto besser. Bei Bill Gates liegt die Schmerzgrenze bei satten 750 Millionen Dollar pro Jahr, bei armen Studenten wie mir schon bei 20 Euro für ein Kinderhilfswerk - vor allem in Zeiten des Oktoberfests. Aber egal: Auch Kleinvieh macht Mist und der Profi kann das Ganze noch mit gespielt-erzwungenen Verzicht a la „heut nur eine Maß weil kein Geld mehr wegen Spende “ kombinieren. Gesünder ist das auch. Bravo!

Text: christoph-gurk - Illustration: Katharina Bitzl

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