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Kann denn Bio billig sein?

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Als ich aus Urlaub zurückkam, war der Kühlschrank extrem übersichtlich und mein Portemonnaie auch. Also bin ich zum Aldi und habe mich dort mit Obst und Gemüse eingedeckt, das mit dem sechseckigen Bio-Siegel gekennzeichnet ist. Beim Kochen beiße ich gewohnheitsmäßig in die erste Karotte, die ich schäle und denke mir: Schmeckt aber nicht so süß wie die vom Markt. Da blinkte es wieder, das Pop-up-Feld im Hirn: Kann denn Bio billig sein? Gibt’s überhaupt gutes und schlechtes Bio, erste und zweite Klasse? Ist Discounter-Bio besser als gar keins zu kaufen? Ehrlich gesagt habe ich darauf noch keine endgültige Antwort gefunden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Laut Greenpeace verkauft Aldi mittlerweile jede zweite Bio-Möhre und fünfmal soviel Bio-Kartoffeln wie der gesamte Naturkosthandel zusammen. Immerhin 46.154 Produkte tragen im März 2008 das sechseckige Siegel nach EG-Öko-Verordnung, also dem Mindeststandard in Sachen Bio. Ob ich eines davon jetzt im Bioladen kaufe oder im Discounter zu den meist günstigeren Bio-Handelsmarken von Plus, Aldi, Lidl, Plus, Rewe, Tengelmann, Edeka greife – wo ist der Unterschied, wenn Bioladen und Supermarkt das gleiche Siegel anbieten? Da die Waren ja die gleichen Standards erfüllen, ist das vielleicht der „gefühlte“ Unterschied. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Bio-Pioniere und Ur-Ökos ein gespaltenes Verhältnis zum Thema „Discounter und Bio“ haben, eine kleine Portion Neid inklusive. Denn die Discounter haben in kurzer Zeit geschafft, was sich die Biobranche seit Jahrzehnten wünscht: Biowaren basisdemokratischer zu machen. „Bio fürs Volk“ ist breit verfügbar, erschwinglich und darf auch ohne Gesinnungsbekenntnis erstanden werden. Viele können sich Bio als „Studentenfutter“ nur leisten, weil es auch preiswert im Supermarkt angeboten wird. Und Discounter sind auch ein prima Einstieg. Da der Preisunterschied zum „normalen“ Produkt hier am niedrigsten ist, probieren die meisten Leute eher mal ein Bio-Produkt aus und packen mit der Zeit immer mehr davon in den Einkaufskorb. Und das ist gut so. Nicht mehr gut ist nur das Extrem, wenn Leute dabei zwanghaft werden. Vor einiger Zeit wurde tatsächlich das erste Bio-Krankheitsbild entdeckt, die Orthorexia. Der Name ist von Magersucht (Anorexia nervosa) abgeleitet und beschreibt Menschen, die nur zu sich nehmen können, was gesund und bio ist. Hinter dem „billigen Bio“ lauert aber auch das „Zauberlehrling“-Syndrom: die Angst, der Geister, die man gerufen hat, nicht mehr Herr zu werden. Preisdumping und der Verlust der Glaubwürdigkeit, zum Beispiel wenn Qualitätsstandards aufgeweicht werden. Oder durch schwarze Schafe und längere Transportwege, weil nicht genug Bioware lokal verfügbar ist und mit steigenden Lebensmittelkilometern auch die Ökobilanz immer mehr versaut wird. Schon heute ist es beispielsweise so, dass Bio-Eier nicht gleich Bio-Eier sind. Bei Eiern mit dem sechseckigen Bio-Siegel muss das Futter für die Hühner nicht zu 100 Prozent bio sein, bei einem Ei mit Demeter-Siegel schon. Genau hier sitzen die Bioläden am Premium-Hebel, wenn sie Produkte verkaufen, die höhere Standards als das Biosiegel erfüllen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dass immer mehr Biogemüse aus dem Ausland herangekarrt werden muss, ist vor allem einigen kurzsichtigen Politikern zu verdanken (haben vielleicht zu wenig Bio-Möhren abgekriegt?). Wegen ihrer Politik stellen weniger Bauern auf Bio um, weil die Subventionen für die zirka vier Jahre dauernde Umstellung gestrichen wurde. Da die Ernten von Biobauern aber kleiner als die von konventionellen ausfallen und sie in der Umstellungsphase ihre Produkte nicht als 100 Prozent bio verkaufen dürfen, kann sich das kaum einer leisten. Extrem schade, denn deutsche Bioprodukte werden so noch weniger. Und spätestens wenn ab 1. Januar 2009 das deutsche sechseckige Biosiegel den europäischen Standards angepasst ist, die deutlich niedriger als die bisher geltenden sind, wird auch Zwei-Klassen-Bio nicht mehr nur gefühlt, sondern ziemlich echt da sein. Irgendwann gibt’s vielleicht nur noch teures Elite-Bio oder gar keins – ein Horror! Darum: Bioprodukte zu kaufen ist immer die richtige Entscheidung. Besser bio als konventionell. Besser regional vom Markt oder Bioladen. Und besser vom Discounter als gar nicht.

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