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Ich finde Frauenfußball wichtig

Illustration: Julia Schubert

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Fußball ist fester Bestandteil meines Lebens. Als ich 13 und leicht übergewichtig war, meldeten mich meine Eltern beim Fußballverein in meinem Heimatort an - zunächst eher zum Abnehmen als zum Spaß. Im Nachhinein bin ich ihnen dafür dankbar. Nicht, weil ich durch den Sport damals tatsächlich abgenommen habe, sondern weil er mich selbstbewusst gemacht hat. Ich fühlte mich zugehörig, hatte sportliche Erfolge und trug Verantwortung für eine Mannschaft. Und ich lernte, mich mit Männern zu messen. Die ersten zwei Jahre spielte ich in der D- und C-Jugend bei den Jungs. Damals klaute ich Kumpels den Stammplatz und animierte Freundinnen zum Schnuppertraining. Später wechselte ich dann in eine Frauenmannschaft.

Ich liebe diesen Sport noch immer, auch wenn ich seit Studienbeginn nicht mehr aktiv spiele. Ich gehe regelmäßig ins Stadion und schaue auch gern Fußball im Fernsehen, samstagabends die Sportschau und das Champions-League-Finale auch mal mit Freunden in einer Bar. Doch obwohl mir aus eigener Erfahrung die Relevanz von Frauenfußball bewusst ist, schaue ich doch nur eines an: Männer.

Es fragt eben keiner: „Hey, am Samstag spielt doch Deutschland, wo wollen wir schauen?“

Das ist zum Großteil Gewohnheit, in anderen Ländern ist Frauenfußball sehr viel populärer. Dieses Jahr nahm ich mir vor, zumindest die Spiele der deutschen Mannschaft zu verfolgen. Denn bei dem Werbespot der Commerzbank mit der Frauennationalmannschaft, der vor Beginn der Weltmeisterschaft ausgestrahlt wurde, fühlte ich mich ertappt. „Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt“, heißt es in dem Video. „Aber, dass wir drei Mal Europameisterinnen wurden, weißt du schon, oder? Nicht? Stimmt, es waren ja acht Mal.“ Mein Desinteresse ärgerte mich. Ich hatte das Gefühl, etwas ändern zu müssen.

Auf die Vorsätze folgte zunächst wenig Besserung: Ich verpasste das Auftaktspiel, weil ich den Spieltag schlichtweg vergaß. Es fragt eben keiner: „Hey, am Samstag spielt doch Deutschland, wo wollen wir schauen?“ Die Weltmeisterschaft der Frauen wird nicht als Anlass für ein Public Viewing oder eine Grillparty im Garten genutzt. Die Vorfreude, der Einkauf von Chips und Bier, das Mitfiebern während des Spiels und die anschließende Freude oder Trauer - das alles fehlt mir beim Frauenfußball. Ich schalte nicht um, wenn es läuft. Ich schalte aber auch nicht bewusst ein.

Die Sache ist die: dass Frauenfußball nicht so populär wie bei den Männern ist, liegt nicht am sportlichen Können oder Nicht-Können der Frauen, sondern an den Umständen. Frauenfußball wurde in Deutschland erst sehr spät zugänglich. 1955 wurde die Sportart für Frauen vom DFB verboten. Die Begründung: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“ Während Männerfußball in den 80er Jahren längst Volkssport Nummer eins war, wurde eine Bundesliga für Frauen erst 1992 gegründet. Viele Menschen in Deutschland bewegen sich daher in einer Männerfußball-Blase. So aber nicht ich. Als Frau, die selbst Fußball spielte bin ich diejenige, die Freunde zum gemeinsamen Schauen animieren sollte und damit gleichzeitig eine Botschaft setzen könnte.

Denn Frauenfußball ist neben dem sportlichen Wettkampf auch immer ein Kampf gegen Vorurteile und für mehr Gleichberechtigung. Vor dreißig Jahren gewann die Frauennationalmannschaft die Europameisterschaft und alle Spielerinnen bekamen als Preis ein Kaffeeservice überreicht. Deutschland galt lange Zeit als Entwicklungsland im Frauenfußball, die Gehaltsunterschiede sind hoch. Männerfußball bringt mehr Umsatz. Doch würden mehr Menschen wie ich einschalten, wären die Zuschauerzahlen bei der Frauen-WM besser, sprich es gäbe auch mehr Werbeeinnahmen.

Können Frauen nicht zumindest während der Weltmeisterschaft die volle Sendezeit beanspruchen?

In den USA und Kanada ist das bereits so – Frauenfußball ist dort sogar beliebter als die Männervariante. Das liegt jedoch auch daran, dass Fußball in diesen Ländern nie die Nummer eins Sportart der Männer war, diese spielen meist American Football oder Hockey. Doch trotz der Popularität und des Umsatzes, der dort mit Frauenfußball erzielt wird, verdienen die amerikanischen Spielerinnen noch immer weniger als ihre männlichen Kollegen. Deshalb verklagt die amerikanische Nationalmannschaft nun den US-amerikanischen Fußballverband wegen Diskriminierung. Sie fordern gleiche Trainingsbedingungen und Gehalt. Zu Recht. Frauen geht es nicht um Fragen wie: Wer ist besser? Wer hat mehr Erfolg? Weiblein-Männlein-Vergleiche nerven auch uns. Doch veraltete Rollenbilder und Klischees sind im Fußball so präsent wie in keiner anderen Sportart. Ich kann mich an etliche „Lesben-Sprüche“ während meiner aktiven Zeit erinnern. Ja, wir hatten homosexuelle Mitspielerinnen in der Mannschaft. Und ja, das wurde bei uns einfach akzeptiert.

Der Feminismus-Gedanke war für mich Grund genug, das nächste Spiel aus Trotz und Respekt der Frauenmannschaft gegenüber, in meinem Kalender zu markieren. Vergangenen Montag, am 17. Juni schaute ich also das Gruppenspiel der deutschen Mannschaft gegen Südafrika zuhause mit meinen Eltern. Es machte Spaß, es war ein gutes Spiel. Doch in der Halbzeit, lief nach gefühlten drei Sekunden erst einmal eine ausführliche Berichterstattung über das Spiel der U21-Nationalmannschaft der Männer. Die ersten 45 Minuten der Frauen wurden kaum diskutiert. Zunächst dachte ich: Okay, kein Grund eine Feminismus-Debatte zu starten, es war ein wichtiges Spiel, das am gleichen Abend lief — aber wäre das andersrum denkbar? Können Frauen nicht zumindest während der Weltmeisterschaft die volle Sendezeit beanspruchen?

Zu oft schwingt noch immer ein Sexismus-Vibe mit. Darin bestätigte mich auch die Nachberichterstattung der Münchner Boulevardzeitung tz zum Auftaktspiel der deutschen Mannschaft. Die 19-Jährige Torschützin Giulia Gwinn wurde darin auf ihre Instagram-Fotos reduziert. Der Titel wurde nachträglich von „So heiß zeigt sich das DFB-Hottie bei Instagram“ zu „Deutschlands schöne Torjägerin - Begeisternde Fotos auf Instagram“ geändert. Ob es das besser macht, weiß ich nicht. Und auch die Bild-Zeitung titelte „Hässlicher Auftaktsieg unserer Hübschesten“. Im Nachhinein wurden Hübscheste in Anführungszeichen gesetzt, da es sich um ein Zitat einer Teamkollegin handelte. Naja, es hätte trotzdem auch einfach ein anderer Titel gewählt werden können.

Frauenfußball verdient mehr als sexistische Berichterstattung und vor allem mehr als nur Akzeptanz. Schlichtweg, verdient es, einfach geschaut zu werden - auch von mir. Ich ärgerte mich selbst so oft, dass Freunde mein Hobby hinnahmen, mich aber nur selten von der Seitenlinie aus anfeuerten. Auch wenn es die deutschen Frauen im Werbespot nicht fordern, verdienen sie es, dass man ihre Namen kennt und bunte Fähnchen in den Fensterscheiben der Autos klemmen. Sie verdienen es, Deutschland als zwölfte Frau und zwölften Mann im Rücken zu spüren.

Doch nicht alles ist schlecht. An besagtem 17. Juni hatte das Frauenspiel mit einem Marktanteil von 32,4 Prozent und 5,89 Millionen Zuschauer immerhin deutlich höhere Einschaltquoten als das U21 Spiel der Männer (20,2 Prozent), das am selben Abend lief. Sogar mein Vater musste nach dem Spiel zugeben: „Vor zehn Jahren hat mich das ja noch nicht interessiert“. Im Vergleich mit den TV-Quoten der Männer-WM ist der Unterschied natürlich noch immer deutlich: Das Vorrundenspiel Deutschland gegen Schweden verfolgten 2018 rund 27,5 Millionen Zuschauer. Mit weiteren Siegen könnten die Einschaltquoten jedoch auch bei dieser Weltmeisterschaft noch steigen, denn auf Erfolg folgt automatisch Interesse. Und je mehr Menschen es in einem Umfeld schauen, desto näher rücken auch die Gartenpartys, bei denen wir gemeinsam auf einen Sieg unserer Mannschaft hoffen. Denn was ich am Fußball am meisten liebe, ist, dass es Menschen zusammenbringt.

Ich für meinen Teil habe mir die nächsten Spiele vorgemerkt. Bei einem Finaleinzug werde ich Freunde einladen, Chips und Bier einkaufen und wir werden am Ende zusammen feiern oder Trübsal blasen. Es ist Zeit für neue Traditionen.

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