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Hasst mich nicht dafür, dass ich GZSZ schaue!

Foto: Sebastian Geyer/RTL/dpa

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Ja, ich schaue „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“. Ja, ich schaue es regelmäßig und nein, ich schäme mich nicht dafür. Zumindest versuche ich es. Denn während meine Freunde über die neueste Netflix-Serie diskutieren, stehe ich oftmals daneben und werde belächelt. „Breaking Bad“ und „House of Cards“ habe auch ich gesehen, doch die meisten kennen meine Schwäche für GZSZ. Die Argumente der Soap-Gegner sind schonungslos, die Serie sei: „voll mit schlechten Schauspielern“, „freiwillige Verblödung“, „total überdramatisiert und unrealistisch“ und „Trash-TV“.

Die Zielgruppe der ersten amerikanischen Seifenopern bestand vor allem aus Hausfrauen. Das Format als ideale Unterhaltung beim Bügeln: Nicht so spannend, dass etwas anbrennt. Nicht so langweilig, dass es ohne besser wäre. Die den Serien vorgeworfene Anspruchslosigkeit ist auch der Grund dafür, dass ich meine Vorliebe für sie so gut wie nie erwähne. Denn immer wenn ich es tue, bekomme ich einen imaginären Stempel mit der Aufschrift „naiv“ aufgedrückt. Die besten Einschaltquoten erzielt die Serie bei den 14 bis 49-Jährigen. Für meine Freunde ist GZSZ aber vor allem eine Serie für pubertierende Teenies. Ich hingegen bin 24. 

Es ist jetzt nicht so, dass die niederschmetternde Kritik nicht stimmt. Klar werden die Rollen nicht mit Hollywood-Stars besetzt, die Zuschauer und Zuschauerinnen ahnen meist im Voraus, was passiert und drei Entführungen innerhalb eines Jahres sind nicht gerade realitätsnah. Trotzdem ist GZSZ besser als sein Ruf.

Als Jugendliche gab GZSZ mir Einblick in eine Berliner Welt, die mir fern schien

Als ich „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ zum ersten Mal sah, war ich elf Jahre alt und wohnte auf dem Land. Damals lief die Serie bereits 14 Jahre und Jo Gerner saß schon lange nicht mehr im Rollstuhl. GZSZ startete als erste Daily-Soap im deutschen Fernsehen und überlebte Konkurrenten wie „Marienhof“ und „Verbotene Liebe“. In meiner Jugend saß ich täglich um 19.40 Uhr mit meiner Mutter und Schwester gemeinsam vor dem Fernseher. Eine halbe Stunde am Tag, in der das fiktive Leben eines Berliner Kiezes auf unserem 60-Zoll-Flachbildschirm erschien.

Als Jugendliche gab GZSZ mir Einblick in eine Berliner Welt, die mir fern schien und doch schon lange existierte. In meinem Dorf – in dem es weder Einkaufsmöglichkeiten, noch eine Bahnanbindung gab – passierte dagegen nicht viel. Durch die Serie bekam ich das Gefühl, dass das Leben größer und komplexer ist als die heile Welt in meiner Kindheit. Ich konnte erahnen, wie vielfältig – wenn vielleicht auch ein bisschen weniger dramatisch – ein Leben in Berlin sein musste. Dass in einer Großstadt weniger Fremdenfeindlichkeit und mehr Toleranz herrscht, ist meiner Meinung nach kein Klischee.

Zuhause im Dorf bekomme ich noch heute mit, wie sogar junge Leute darüber diskutieren, wie schlimm es wäre, wenn der eine, gewisse Freund nun tatsächlich schwul wäre. Bei GZSZ dagegen wurde Homophobie bereits 2008, als ich 13 war, kritisch verarbeitet: Die Figuren Lenny Cöster und Carsten Reimann werden aufgrund ihrer Beziehung krankenhausreif geprügelt und verlassen wenig später den Kiez.

Zuschauer und Zuschauerinnen werden für Themen wie häusliche Gewalt sensibilisiert 

Acht Jahre später drehte sich eine Weile alles um den Geflüchteten Amar. Seine neu gewonnenen Freunde versuchten seine Abschiebung zu verhindern, ohne Erfolg. Seit 2018 spielt Marie Wedig die Rolle der Nina Ahrens. Ninas Mann lässt den beruflichen Stress als Anwalt mit Schlägen an ihr aus. Zuschauer und Zuschauerinnen werden dafür sensibilisiert, dass häusliche Gewalt in allen Gesellschaftsschichten vorkommt. Themen wie Homophobie, Rassismus oder häusliche Gewalt sind in „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ nicht selten. Zugegeben, das ist zum Beispiel auch beim Tatort der Fall. Jedoch wirft GZSZ die Charaktere nicht in ein bestimmtes Milieu, sondern erzählt täglich parallele Geschichten über Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. 

Seit einigen Jahren wohne ich nun in der Großstadt und zugegeben, es ist nicht alles ganz so krass, wie ich es mir damals vorstellte, als ich GZSZ schaute. Trotzdem hat mich die Serie als Jugendliche zu einem Teil sozialisiert. Durch die Geschichten habe ich mich mit Normen, Werten und Rollenbildern auseinandergesetzt und hatte dabei noch den notwendigen Spielraum, um mir meine eigene Meinung zu bilden. Über die Jahre hinweg ist GZSZ für mich zu einer Routine geworden. Heute schafft es die Serie, bei den selten gewordenen Besuchen in der Heimat, die ganze Familie zusammenzubringen. Dann sitzen um 19.40 Uhr wie früher meine Mutter, Schwester und ich gemeinsam vor dem Fernseher. Selbst mein Vater kommt neuerdings dazu – ich vermute aber eher wegen uns, und der Tagesschau, die dann in der 20 Uhr Pause läuft. 

„Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ ist für mich heute eher ein Guilty Pleasure, so wie Freunde ab und zu eine Klatschzeitung kaufen oder sich über Bauchbinden bei „Bauer sucht Frau“ lustig machen. Ein Guilty Pleasure, in dem genauer betrachtet aber mehr steckt und das ich aufrichtig lieben gelernt habe. Und dafür muss ich mich nicht schämen.

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