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Studie zu „Tote Mädchen lügen nicht“
Im vergangenen Jahr wurde viel und kontrovers über die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ diskutiert. Im Zentrum der mittlerweile zwei Staffeln umfassenden Serie steht der Suizid der Schülerin Hannah Baker, die sich nach ihrem Tod mit Kassetten an ihre ehemaligen Mitschüler richtet und ihnen die Schuld für ihre Tat gibt. Die Tatsache, dass Hannahs Suizid in der Serie als logische Konsequenz aus ihren heftigen Mobbingerfahrungen dargestellt wurde, hatte für besonders viel Diskussion gesorgt – fürchtete man doch einen sogenannten „Werther-Effekt“, also dass junge Menschen nach Konsum der Serie verstärkt bedroht sein könnten, sich das Leben zu nehmen. Schnell machten Meldungen die Runde, dass sich seit dem Start der Serie mehr junge Menschen selbst verletzen würden und wegen Suizidalität in Behandlung befänden, diverse Eltern- und Arztverbände warnten vor der Serie. Wissenschaftlich belegt war davon das wenigste.
Die Universität Michigan hat nun erstmals einen möglichen Zusammenhang zwischen einer Steigerung des Suizidrisikos und dem Konsum der Serie erforscht. Um es vorweg zu nehmen: Die Studie kommt nicht zu dem Ergebnis, dass Zuschauer der Serie eher dazu neigen, sich das Leben zu nehmen oder darüber nachzudenken. Unter anderem wegen ihrer geringen Fallzahl ist sie auch nicht repräsentativ. Die Studienmacher weisen aber darauf hin, dass die Ergebnisse in Bezug auf bereits psychisch erkrankte Jugendliche besorgniserregend seien.
Für die Untersuchung wurden 87 suizidgefährdete Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren befragt. Die Hälfte von ihnen hatte mindestens eine Folge der Serie gesehen. Wiederum die Hälfte jener Zuschauer, insgesamt also 21, gab darauf an, die Serie hätte ihr persönliches Suizidrisiko erhöht. Studienleiter Dr. Victor Hong von der Universität Michigan zieht daraus die Schlussfolgerung: „Die Studie beweist, dass wir uns definitiv Sorgen darüber machen sollten, wie die Sendung sich auf leicht beeindruckbare und verletzliche Teenager auswirkt.“ Die Studie stellte ebenfalls ein erhöhtes Risiko fest bei jenen Studienteilnehmern, die sich mit der Hauptfigur der Serie, Hannah Baker, stark identifizierten. Gut zwei Drittel der an der Studie teilnehmenden Teenager waren weiblich.
Außerdem fanden die Wissenschaftler heraus, dass über 80 Prozent der Befragten die Serie alleine geschaut und im Anschluss eher mit Gleichaltrigen als mit ihren Eltern diskutiert hatten. Das ist vor allem unter dem Aspekt interessant, dass die zweite Staffel von „Tote Mädchen lügen nicht“ mit einem Disclaimer eröffnet wurde. Darin bitten die Darsteller darum, sich die folgende Serie gemeinsam mit einem Erwachsenen anzuschauen und sich bei psychischen Problemen Hilfe zu suchen. Netflix hatte kurze Zeit später eine eigene Studie veröffentlicht, die besagte, 71 Prozent der Zuschauer hätten die Serie daraufhin tatsächlich mit ihren Eltern diskutiert.
Die Michigan-Studie widerspricht diesem Ergebnis. Studienleiter Hong kommt zu dem Ergebnis, dass jene Jugendlichen, die nach der Sendung dringend Hilfe von Erwachsenen benötigen würden, sich diese eher nicht holen. Er empfiehlt deshalb Eltern von Kindern, die psychisch erkrankt oder sogar suizidal sind, besonders aufmerksam zu sein, ob ihre Kinder die Serie schauen – und gegebenenfalls die dort angesprochenen Themen offen mit ihnen zu diskutieren. Aufgrund der geringen Fallzahl fordern Hong und seine Kollegen allerdings weitere Forschung zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Medieninhalten und psychischer Gesundheit. Auch, um eine Legendenbildung wie jene um „Tote Mädchen lügen nicht“ einzudämmen.
chha
Anmerkung der Redaktion: Wenn Du selbst Suizidgedanken hast oder dich von denen im Text beschriebenen Reaktionen betroffen fühlst, kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge oder U25. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 gibt es Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.