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Hinter diesen Horrorfilmen steckt mehr, als du denkst

Fotos: picture alliance/Splendid Film/dpa / Universal Picture/AP / Gabor Kotschy/A24/AP

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Man liebt sie oder man hasst sie: Horrorfilme. Dabei gibt es eigentlich gar nicht das Horrorgenre, da die Bandbreite an Filmen, die ihm zugerechnet werden, enorm groß ist. Der Slasher-Film, in dem eine Gruppe von meist absolut hirnlos agierenden Teenager*innen verfolgt wird, hat wenig mit okkultem Horror zu tun, in dem Geister und Dämonen Schrecken verbreiten. Ein gemächlicher Monsterfilm über Frankenstein ist etwas ganz anderes als ein brutaler Splatter-Film, in dem das Blut nur so spritzt.

Doch egal welches Subgenre – mit Horror verbinden viele vor allem eines: Trash. Eine Einschätzung, die scheinbar auch Filmkritiker*innen teilen. Horrorfilme werden nur selten in den Feuilletons abseits von spezialisierten Fan-Seiten besprochen und auch von den Jurys der wichtigen Filmpreise konsequent übergangen. Dass erst sechs Horrortitel in der Kategorie „Bester Film“ für einen Oscar nominiert waren, ist bezeichnend. Hinzu kommt, dass einige der Nominierten eher als Thriller denn als Horrorfilm durchgehen. Darunter „Das Schweigen der Lämmer“ (1991), der den Oscar in dieser Kategorie als einziger Film aus dem Horror-Genre auch gewonnen hat.

Wir stellen fünf Produktionen aus der jüngsten Zeit vor, die beweisen, dass sich Horror und Qualität – aber auch Horror und eine überaus intelligente Handlung – keineswegs ausschließen müssen.

„Mother!“ (2017), unter anderem auf Netflix

Es beginnt alles ganz harmlos und schwingt sich schnell zu einem atemlosen, kammerspielartigen Psycho-Horror auf, der garantiert bleibenden Eindruck hinterlässt: Eine Frau ohne Namen (Jennifer Lawrence) wohnt mit ihrem ebenfalls namenlosen Ehemann (Javier Bardem) abseits der Zivilisation in einem kleinen, hübschen Haus. Während sie fortlaufend an der Restauration des Gebäudes arbeitet, leidet er als Dichter an einer hartnäckigen Schreibblockade. Bald schon wird ihre bereits empfindlich gestörte Idylle vollständig zunichte gemacht, als nach und nach ein weiterer Mann (Ed Harris), seine Ehefrau (Michelle Pfeiffer) und deren Söhne (Brian und Domhnall Gleeson) eintreffen. Denn niemand von ihnen nennt einen echten Grund für den Aufenthalt, niemand respektiert das so sorgsam gepflegte Haus. Doch das bizarre Durcheinander steigert sich noch: Nach einem Zeitsprung ist dem Dichter der nächste literarische Coup gelungen und das Haus wird plötzlich von seinen Anhänger*innen belagert, die sich gegenseitig bekämpfen und keinerlei Rücksicht auf ihr Heim nehmen. Mit fatalen Konsequenzen für die Gastgeberin.

Worum geht’s eigentlich?

Nach Kinostart häuften sich die Theorien über die bildgewaltige Symbolik des durchweg intensiven Films und seine eigentliche Aussage. Über die eindeutigen Bibelverweise war man sich schnell einig: Bardem ist Gott, der männliche Besucher Adam, seine Frau ist Eva, die Söhne wiederum Kain und Abel – doch was ist mit Lawrence? Regisseur und Drehbuchautor Darren Aronofsky („Black Swan“) sagte gegenüber dem „Hollywood Reporter, dass sie eine Allegorie für Mutter Erde höchstpersönlich sei, die durch die rücksichtslose Menschheit zerstört wird. Klima-Horror also. Der Film liefert noch viele weitere Verweise und Interpretationsmöglichkeiten, die zu entdecken sich lohnt.  

„The Nightingale“ (2018), als Leihoption unter anderem bei Amazon, Sky und Maxdome

Hier beginnt der Horror ab der ersten Minute. Die Irin Clare (Aisling Franciosi) lebt mit ihrer kleinen Familie zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Strafgefangene in einer britischen Kolonie in Australien. Dort ist sie abhängig von der Gunst des Leutnants Hawkins (Sam Claflin), der über ihre Entlassung entscheidet und sehr genau um seine Machtposition weiß. Er missbraucht sie. Als ihr Mann Aidan (Michael Sheasby)

den Vergewaltiger stellt, übt der wiederum gemeinsam mit seinen Schergen Rache an der gesamten Familie. Dabei stirbt nicht nur Clares Ehemann, sondern auch ihre kleine Tochter. Getrieben vom Wunsch nach Vergeltung, begibt Clare sich mit Aborigine Billy (Baykali Ganambarr) auf eine aufreibende Odyssee durch ein feindseliges Tasmanien, den Soldaten hinterher.

Worum geht’s eigentlich?

Obwohl das Setting historisch ist, erzählt Jennifer Kent („Der Babadook“) eine universelle Geschichte über den Horror, den es manchmal bedeuten kann, eine Frau zu sein. Und trotzdem ist „The Nightingale“ kein klassischer Rape-and-Revenge-Horrorstreifen. Spätestens als die Verfolgungsjagd beginnt, geht es auch um die britische Kolonialgeschichte in Australien. Immer wieder wird gezeigt, wie schändlich die weißen Besatzer*innen mit den Ureinwohner*innen umgehen. Der Film ist zeitweise eine echte Herausforderung, doch er belohnt sein Publikum mit einer eindringlichen Inszenierung einer ebenso spannenden wie wichtigen Geschichte.

„Hereditary“ (2018), als Leihoption unter anderem bei Amazon, Sky, iTunes und Google Play

Annie Graham (Toni Collette) ist Künstlerin, die gerade an einer Miniaturwelten-Ausstellung arbeitet, als ihre Mutter Ellen stirbt. Weder sie, noch ihren Ehemann Steve (Gabriel Byrne) oder ihren jugendlichen Sohn Peter (Alex Wolff) scheint ihr Tod sehr zu bewegen. Einzig Annies kleine Tochter Charlie (Milly Shapiro) scheint unter dem Verlust ihrer Großmutter zu leiden. Sie verhält sich merkwürdig, schneidet einer toten Taube den Kopf ab und bastelt verstörende Figuren. Auch Annie und Peter erleben unerklärliche, mystische Zwischenfälle. Doch erst als es zu einem tragischen „Unfall“ kommt, der unter Fans als einer der verstörendsten Momente der Horrorgeschichte gilt, gerät das Leben der Familie Graham völlig aus den Fugen.

Worum geht’s eigentlich?

Regisseur und Drehbuchautor Ari Aster dekonstruiert in seinem Spielfilmdebüt die Familie als Ort der absoluten Sicherheit und präsentiert sie schonungslos als Keimzelle des Bösen. Als ein Gefüge, in dem Konflikte schwelen, Intrigen gesponnen und Geheimnisse verwahrt werden – in dem schließlich Traumata entstehen und weitervererbt werden. Die Machtlosigkeit gegenüber diesem Erbe („hereditary“ bedeutet „erblich“) spiegelt sich in Annies Tätigkeit: Wie die Figuren ihrer Miniaturwelten ist auch die Familie Graham ihrem Vermächtnis ausgeliefert. Die gekonnte Verbindung von realem Psychoterror mit Okkultem, das spannende Spiel mit menschlichen Urängsten und die bestechende Ästhetik haben „Hereditary“ Lobeshymnen eingebracht. Zurecht!

„Get out“ (2017), als Leihoption unter anderem bei Amazon, Sky, iTunes und Google Play

Chris (Daniel Kaluuya) ist schon fast ein halbes Jahr mit Freundin Rose (Allison Williams) zusammen und soll endlich ihre Familie kennenlernen. Vor dem Treffen macht er sich Sorgen darum, dass sie ablehnend darauf reagieren könnte, dass er Schwarz ist. Zu Unrecht, wie es zunächst scheint. Denn als sie auf dem Anwesen der wohlhabenden Familie eintreffen, begegnen ihm Mutter Missy (Catherine Keener) und Vater Dean (Bradley Whitford) mit übertriebener Freundlichkeit, bemüht darum zu unterstreichen, wie offen und liberal sie seien. Schnell aber wird klar, dass irgendetwas nicht stimmt. Die Hausangestellten sind ebenfalls Schwarz und verhalten sich äußerst merkwürdig.

Worum geht’s eigentlich?

Worum es hier eigentlich geht, wird früh klar: den Horror des alltäglichen Rassismus. Doch Regisseur und Drehbuchautor Jordan Peele („Lovecraft Country“) interessiert sich nicht so sehr für die offensichtlichen Schreckensgestalten, für den Ku-Klux-Klan oder Neo-Nazis. Stattdessen entlarvt er den Rassismus der überwiegend weißen Vorstädte und ihrer angeblich liberalen Bewohner*innen – ein Szenario, das noch so einige Wendungen bereithält. „Get out“ ist nicht nur ein herausragendes Beispiel dafür, dass sich Horror und eine intelligente Story miteinander vereinen lassen – sondern dass sich auch Schrecken und Komik keinesfalls ausschließen müssen. Die Telefonate mit Chris‘ Kumpel (LilRel Howery), der dem Besuch von Anfang an skeptisch gegenübersteht, sind auch bei all dem Horror echte Comedy-Highlights.

„Midsommar“ (2019), bei Amazon Prime Video

Die junge Dani (Florence Pugh) verliert auf tragische Weise ihre Familie. Mit den Nerven am Ende findet sie selbst bei Freund Christian (Jack Reynor) keinen Halt. Der wollte die Beziehung schon seit Längerem beenden, auch seine Kumpel raten ihm dazu. Trotz der traumatischen Ereignisse plant er, seinen Sommer auf Einladung Pelles (Vilhelm Blomgren) mit Josh (William Jackson Harper) und Mark (Will Poulter) auf dem schwedischen Land zu verbringen. Nur widerwillig nimmt er auch Dani mit. In Pelles Heimatdorf Hårga findet ein neuntägiges religiöses Fest anlässlich der Sommersonnenwende statt. Doch was zunächst nach wunderschöner Schweden-Romantik aussieht, entpuppt sich schnell als eine Reihe grausamer Rituale einer fanatischen Sekte.

Worum geht’s eigentlich?

Ari Asters zweiter Horrorfilm bricht mit allen Horrorklischees und spielt sich mitten in gleißendem Licht ab. Was dort passiert, lässt sich als eine gnadenlose Abrechnung mit „Fuckboys“ interpretieren. Denn Christian geht es durchweg nur um das eigene Vergnügen. Um zu bekommen, was er will, manipuliert er Dani ohne Skrupel. Auch seine Freunde zeigen mehrheitlich nur dann Interesse an Frauen, wenn es um Sex geht. So traumatisch die Mittsommer-Feierlichkeiten für alle Beteiligten auch sein mögen – zumindest für Dani setzen sie auch einen Emanzipationsprozess in Gang. 

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