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RuPaul's Drag Race
Ob „Germany’s Next Topmodel“, „Der Bachelor“ oder „DSDS“ - Casting-Reality-Formate sind so erfolgreich und moralisch vertretbar wie H&M-Shirts: Egal ob Kinderarbeit drinnen steckt oder die Splitter des Selbstwertes 17-jähriger Mädchen, wir kaufen sie, wir schauen sie, wir tragen sie in die Welt. Und man kommt auch nicht wirklich drum herum: Wer noch nie das Dschungelcamp angeschaut hat, gilt ja quasi als sozial ausgestoßen.
Dabei darf man Form und Inhalt nicht gleichsetzen. Es gibt sie eben doch, die politisch und ethisch vertretbare, und trotzdem unterhaltsame Castingshow. Und all ihre zehn Staffeln sind seit vergangener Woche auf Netflix verfügbar. Grell, bunt, abwechslungsreich, das ist „RuPaul’s Drag Race“. Die Teilnehmer sind professionelle Drag-Performer, mit klangvollen Namen wie „Aquaria“, „Nina Flowers“, oder auch „Bob the Drag Queen“. Unangefochtener Star, Moderator und Heidi-Klum-Äquivalent der Show ist aber RuPaul selbst: 58 Jahre alt, 193 Zentimeter groß und so voller Drag-Weisheiten, dass er eigentlich Yoda-Style auf dem Rücken der Bewerber reiten müsste.
RuPaul ist Heidi - nur in cool
RuPaul Andre Charles ist in der Szene legendär: Er ist nicht nur der vermutlich kommerziell erfolgreichste Drag-Performer der USA, sondern auch Sänger, Model, Schauspieler und Autor. 2018 hat er seinen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame verliehen bekommen, und inzwischen seinen fünften Emmy für die Moderation von RuPaul’s Drag Race (RPDR) eingesackt. RuPaul leitet tatsächlich auch ganz geschickt durch die Sendung: Backstage taucht er nur in Männerkleidung auf, gibt Tipps und ist zugänglich. In seiner Funktion als Juror dagegen tritt er im vollen Königinnen-Modus auf, unerreichbar, gnädig und streng zugleich - und natürlich immer mit seinem Markenzeichen, den wasserstoffblonden Riesenperücken.
Während es bei Sendungen wie dem Bachelor darum geht, möglichst oft „Mensch, ist das schön hier” sagen und ohne zu blinzeln in den Sonnenuntergang starren zu lassen, müssen RuPaul’s Drag Queens das ganze Showbusiness durchkonjugieren: Sie schminken, föhnen, tanzen, nähen, designen, sie schreiben Sketche, sie imitieren Promis, flickflacken über den Laufsteg, jonglieren und, und, und. Es ist ein Spektakel in Pink und Glitzer. Ansonsten lässt die Show das klassische Casting-Konzept unangetastet: Jede Woche fliegt einer der zu Beginn ca. zwölf Teilnehmer raus, der Gewinner darf für ein Jahr die Drag-Krone tragen, Cash-Preis und Makeup für ein Jahr inklusive.
Mehr ist immer besser
Dabei tut es gut, eine Castingshow anzuschauen, in der nicht jeder kleine Pups als Drama verkauft wird - nur, weil sonst halt nichts erzählenswertes passiert. Bei RPDR ist jede Woche großes Umstyling, und im Gegensatz zu GNTM kriegen die Teilnehmer nicht nur einen hippen Stufenschnitt verpasst, sondern machen Folge für Folge Verwandlungen durch, die sogar Kafka beeindrucken würden. Ein älterer Ex-Häftling namens Timothy wird etwa zu „Latrice Royal”, einer schlagfertigen Queen mit einem phantastischen Sinn für Stil. Allein dafür sollte man RPDR schon feiern: Statt alle gleich machen zu wollen, geht es hier um Einzigartigkeit, oder wie RuPaul nicht müde wird zu betonen: „Charisma, Uniqueness, Nerve and Talent”.
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Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Performer unter ihrem Make-Up. Ob Jung oder alt, dünn, dick, mit Haaren oder ohne, mit unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Hintergründen, sie spielen mit den Geschlechternormen, mit dem sozial Erwartbaren, mit Stereotypen. Hauptsache man nimmt sich nicht zu ernst. Dabei kennen die Performer durchaus die extremeren Seiten des Lebens: Armut, soziale Ausgrenzung, Mobbing, HIV, Suizidversuche, sexuelle Gewalt. RPDR beutet diese Geschichten aber nicht groß aus. Stattdessen beobachtet man die Queens, wie sie sich ziemlich nonchalant beim konzentrierten Auftragen von Eyeliner über ihren Weg austauschen.
Die perfekte Castingshow für das 21. Jahrhundert
In den USA hat RPDR inzwischen den Status eines kulturellen Phänomens. Das merkt man zum einen an der von Staffel zu Staffel immer illustrer werdenden Liste der Gast-Juroren: Neil Patrick Harris, Olivia Newton-John, Ariana Grande, Gigi Hadid, Lady Gaga, der halbe Cast von Glee, Lena Dunham und viele viele mehr. Klar gibt es da auch was zu meckern: RPDR ist eine Castingshow, es ist kommerzialisierte Unterhaltung und RuPaul nutzt die Bühne für Eigenwerbung so frech, dass es dreist ist. Vor dem Hintergrund von Drag Race ist etwa auch die DragCon in 2015 entstanden, eine wachsende Messe, die im vergangenen Jahr mehr als 50 000 Besucher angezogen hat. RuPaul ist natürlich Partner. Kritiker bemängeln auch, dass Drag Race inzwischen so groß ist, dass es das Wesen des Drag beeinflußt, glättet, anpasst - also genau in die Gegenrichtung davon drängt, was Drag eigentlich sein will.
Gleichzeitig ist diese Massentauglichkeit aber auch die Stärke des Sendungsformats. Dass die meisten anderen Castingformate Rollenbilder aus den Fünfziger Jahren transportieren, ist nicht nur nicht zeitgemäß, sondern auch bumslangweilig. RPDR ist die perfekte Show für das 21. Jahrhundert, weil sie zeigt, dass Inklusion bereichert. Das Format ist Diversity auf Steroiden, und so provokant, dass einem die Frage nach politischer Korrektheit im Hals stecken bleibt. So konnte Drag Race eine Plattform für die LGBTQ-Gemeinschaft werden - man reibt sich daran, man diskutiert - aber immerhin findet der Diskurs außerhalb der Nische statt, die Drag einmal war. Auf Reddit ist RPDR die meistdiskutierte Serie 2018 - und damit der spirituelle Nachfolger von Game of Thrones. Wundern muss einen das nicht, Drag ist Kunst, politisches Statement und vor allem: Drag ist Show.. „We are all born naked and the rest is drag” - „Wir alle werden nackt geboren und der Rest ist Drag”, das ist das Mantra von RuPaul Andre Charles. Da kann Heidi einpacken gehen.
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