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„Ivie wie Ivie“: Der Film zeigt Alltagsrassismen in Deutschland
Unsere Gesellschaft ist noch lange nicht antirassistisch
Mitten in der Nacht steht Ivie vor einem Friseur für Afro-Haare. Ab soll er, ihr Afro. Denn er sei einfach immer im Weg, findet sie. Für Ivie ist das – nicht nur wegen der Uhrzeit – kein normaler Friseurbesuch, sondern eine Verzweiflungstat. Die 30-Jährige ist frustriert davon, wie die Gesellschaft mit ihr umgeht. Ein paar Stunden zuvor endete eine Feier im Streit, weil ihre Freund*innen nicht verstehen, warum Ivie von ihnen nicht mehr „Schoko“ genannt werden möchte. Am gleichen Tag wurde in einem Bewerbungsgespräch ihr fließendes Deutsch gelobt. Dabei ist Ivie in Leipzig geboren und aufgewachsen.
Der Film „Ivie wie Ivie“ zeigt, mit welchen rassistischen Vorurteilen viele Schwarze Deutsche täglich konfrontiert sind. Die Protagonistin Ivie Schubert, die bei ihrer weißen Mutter aufgewachsen ist, hat ihren senegalesischen Vater nie kennengelernt. Die angehende Lehrerin lebt in Leipzig und schlägt sich mit mehreren Nebenjobs durch, während sie sich an Schulen auf Jobs bewirbt. Dass sie in Bewerbungsgesprächen auf ihren „persönlichen Background“ angesprochen wird, nervt sie, sonst ist ihr Vater eigentlich kein Thema für sie. Bis auf einmal eine junge, Schwarze Frau vor ihrer Haustür steht und sich als Naomi, ihre bisher unbekannte Halbschwester, vorstellt.
Naomi will gemeinsam mit ihrer Halbschwester nach den Wurzeln ihres gemeinsamen Vaters suchen.
Ivie ist überrascht, als ihre Halbschwester plötzlich vor der Tür steht.
Regisseurin und Autorin Sarah Blaßkiewitz, 1986 in Leipzig geboren und in Potsdam aufgewachsen, feiert mit „Ivie wie Ivie“ ihr Spielfilm-Debüt. Der Film wird ab dem 3. Juli im Rahmen des Filmfest München in der Kategorie Neues Deutsches Kino gespielt. Schon vor dem Kinostart läuft es gut: Neben dem Filmfest ist Blaßkiewitz auch für den Deutschen Nachwuchspreis First Steps Award nominiert, der am 21. Juni verliehen wird, und hat bereits während der Produktion 2019 den „Baltic Event Works in Progress Preis“ bekommen. Produziert wurde der Film von Weydemann Bros, der Produktionsfirma, die unter anderem auch für das preisgekrönte Drama „Systemsprenger“ verantwortlich war.
Naomi wühlt in Ivie Dinge auf, die sie bisher verdrängt hatte
Der eigentliche Grund für Naomis unerwarteten Besuch: Der gemeinsame Vater ist gestorben. Auch Naomi, die aus Berlin kommt, ist ihm nie begegnet. Jetzt möchte sie wenigstens ihre Familie väterlicherseits kennenlernen und sogar mit Ivie zusammen zur Beerdigung nach Senegal fliegen. Naomi ist – anders als die eher unentschlossene Ivie – überraschend direkt und deutlich. Mal widerwillig, mal fasziniert voneinander, lernen die beiden Schwestern sich kennen, vergleichen ihre Lebenswege, entdecken Gemeinsamkeiten und Unterschiede – auch, was ihre Rassismuserfahrungen als Schwarze Deutsche angeht. Naomi wühlt in Ivie Dinge auf, die sie bisher verdrängt hatte.
Die Berlinerin wehrt sich gegen stereotype und rassistische Zuschreibungen von Ivies Freund*innen – diese wiederum empören sich über die Kritik: Das sei doch alles nur nett gemeint. Ivie weist ihre Halbschwester erst als übergriffig ab, doch im Laufe der Handlung lernt sie: Auch Menschen, die dich lieben, können dir gegenüber rassistisch sein.
Ivie beginnt, nicht nur ihre persönlichen Beziehungen, sondern auch ihre Beziehung zu Kultur und Gesellschaft zu hinterfragen. Warum möchte sie nicht, dass Naomi ihr für ein Bewerbungsgespräch einen Turban wickelt? Warum wird sie während des Gesprächs immer wieder gefragt, woher ihre Eltern denn kommen würden? Was Nicht-Betroffene als unangenehme Einzelfälle abtun, wird im Film deutlich als das gekennzeichnet, was es ist: rassistische Mikroaggressionen, die Schwarze Menschen dauernd erleben. Naomi reagiert auf diese abgebrüht – was allerdings nur noch mehr verdeutlicht, wie alltäglich sie für sie sind.
Blaßkiewitz gelingt die Darstellung des Alltäglichen besonders gut. Ruhige Shots, die oft lange auf den Charakteren verharren, erzeugen das Gefühl, heimlich reale Menschen in ihrem Alltag zu beobachten – wie sie durch ihre Wohnungen oder ihre Stadt laufen, dabei diskutieren, lieben oder zusammenbrechen. Zwar macht diese Realitätsnähe den Film etwas langatmig – Szenen, wie Ivie auf der Toilette sitzend Gameboy spielt oder ihr Freund Ingo seinem Hund etwas vorliest, sind nett, aber nicht wesentlich für die Story. Das ändert aber nichts daran, dass Blaßkiewitz mit „Ivie wie Ivie“ einen visuell eindrucksvollen Film über Freundschaft, Familie und Identität geschaffen hat, der zeigt, dass wir noch lange nicht in einer antirassistischen Gesellschaft angekommen sind.
Ivie wie Ivie, Deutschland 2021 – Regie: Sarah Blaßkiewitz. Buch: Sarah Blaßkiewitz. Mit: Haley Louise Jones, Lorna Ishema, Anne Haug, Maximilian Brauer, Anneke Kim Sarnau, 112 Minuten. Am 3. und 4. Juli im Rahmen des Filmfest München zu sehen.