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Babylon Berlin: Interview mit Volker Bruch und Liv Lisa Fries
„Babylon Berlin“ ist sicherlich die am meisten diskutierte deutsche Serie der letzten Jahre.
Ein Grund für ihren gigantischen Erfolg ist bestimmt auch die teilweise gruselige Ähnlichkeit des 1920er-Jahre-Deutschlands zum heutigen Deutschland, die die Serie immer wieder ganz beiläufig aufzeigt. Am 24. Januar startet nun die dritte Staffel von „Babylon Berlin“ auf Sky und im Herbst 2020 in der ARD.
Wir haben die beiden Hauptdarsteller*innen Liv-Lisa Fries und Volker Bruch in einem Berliner Hotel getroffen. Aus einem Gespräch über die neue Staffel wurde schnell eine sehr viel politischere Diskussion – etwa über das wachsende Interesse der Menschen an deutscher Geschichte, die weltweite Umweltbewegung und die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Filmbranche.
jetzt: Es gibt seit ein paar Jahren viele erfolgreiche Serien, die deutsche Geschichte aufarbeiten. „Babylon Berlin“ ist sicherlich die erfolgreichste, aber da waren zum Beispiel noch „Weissensee“, „Deutschland“ und „Die neue Zeit“. Was glaubt ihr, woher dieses Interesse an der Aufarbeitung der Vergangenheit kommt? Und warum gerade jetzt?
Liv-Lisa Fries: Dieses Interesse kommt aus der gleichen Ecke wie die Fragen darüber, wo unser Essen herkommt oder wo es landet. Oder wo dieser kleine Tiger hier produziert wurde, unter welchen Arbeitsbedingungen und von wem (auf dem Tisch steht ein kleiner Plastiktiger, niemand weiß, warum). Wenn ich zum Beispiel mit meiner Oma rede, versuche ich immer zu verstehen, warum sie so denkt, wie sie denkt. Das ist eine Generationenfrage. Ich glaube, es geht um Bewusstsein und Reflektion darüber, was Menschen schon erlebt haben und was unsere Gesellschaft zu der macht, die sie ist. Immer wenn man sich mit etwas beschäftigt, kann man es auch besser verstehen, gerade mit Distanz dazu.
Volker Bruch: Mein Großvater zum Beispiel, der ein alter Mann ist, war natürlich nicht immer dieser alte Mann. Das war früher auch sein „Jetzt“ und alles war irgendwie normal. Und deswegen interessiert mich, wie das, was für mich Geschichte ist, für die Menschen damals Realität war. Wenn man überlegt, warum junge Menschen die Entscheidungen treffen, die sie eben treffen, sieht man: Es sind immer auch gesellschaftliche Umstände, die zu etwas führen. Ein gesellschaftlicher Umstand, eine gesellschaftliche Not, die sich ein Ventil sucht.
In der Zeit, von „Babylon Berlin“, der Weimarer Republik, spielen Themen wie Armut, Not, starkes Ungerechtigkeitsempfinden über die Sanktionen nach dem ersten Weltkrieg und ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl eine große Rolle. Wenn du schon lange Zeit in Armut lebst, deine Nachbarn auch, so wie die Familie der Hauptfigur Charlotte Richter, dann ist diese wahnsinnige Wut, dieses „Jetzt bin ich mal dran“, „Jetzt machen wir das mal anders“, erklärbar. Das Problem ist nicht gelöst, wenn wir uns von unseren Großeltern distanzieren und sagen: Wie konntet ihr nur!
„Man kann es sich beim Klimaschutz nicht mehr leisten, unpolitisch zu sein“
Ein Urteil aus unserer heutigen gesellschaftlichen Situation wirkt da schnell anmaßend, weil man einfach nicht in den Schuhen der Menschen damals steckt.
Volker: Ja, genau.
Liv: Das finde ich immer so interessant, weil man sich selbst ja selten gesellschaftlich oder geschichtlich einordnet, sondern immer nur im Jetzt ist, alleine mit seinen Problemen. Man ordnet sich nie in einen gesellschaftlichen Zusammenhang ein. Weil man immer nur diese eine Person in diesem einen Moment ist.
Ihr geltet beide als politische Menschen. Wie habt ihr letztes Jahr erlebt, mit weltweiten Protesten gegen klimaschädliche Politik?
Volker: Ich war eine ganze Woche mit Extinction Rebellion unterwegs, als im Oktober demonstriert wurde. Ich saß mit meiner Familie auf der Straße und habe mich auch wegtragen lassen. Für uns ist das ein Riesenthema. Man kann es sich beim Klimaschutz nicht mehr leisten, unpolitisch zu sein. Das hat eine Dimension angenommen, die so gefährlich ist für uns alle, dass Ignoranz wirklich fatal ist.
Liv: Ja, fatal ist das ist richtige Wort.
Volker: Ich habe mich da lange zurückgehalten mit Äußerungen. Ich ernähre mich seit fünf Jahren größtenteils vegan, habe da aber nie drüber gesprochen, weil ich dachte, jeder soll es so machen, wie er will. Aber da hat sich meine Sichtweise geändert.
„Das Private wird politisch. Und das Politische wird privat“
Weil das Private jetzt wieder politisch ist?
Volker: Ja, so ist es. Und diesen Zusammenhang müssen wir als Gesellschaft begreifen.
Wo zum Beispiel?
Volker: Neben der ganzen industriellen Produktion von Fleisch ist auch die Milchproduktion etwas, das selbst die Menschen, die sich bewusst ernähren, oft einfach nicht wissen. Zum Beispiel, dass auch bei Bio-Landwirtschaft den Kühen ihre Kälber weggenommen werden. Ich hab das mal miterlebt, Mutter und Kind schreien um ihr Leben, stundenlang, bis sie irgendwann die Kraft verlässt. Das Milchpulver im Schokoriegel ist nur ein Geschmackserlebnis, aber die Umstände der Herstellung, die Zusammenhänge wollen wir nicht sehen.
Liv: Ich habe vor zwei Monaten eine Dokumentation über den industriellen Umgang mit Hühnern gesehen, auch in Bio-Freilandhaltung, und dachte mir: Ach du Scheiße, das kann doch nicht wahr sein: Selbst das ist nicht immer artgerechte Haltung! Du hast das gerade gut gesagt: Das Private wird politisch. Und das Politische wird privat. Ehrlich gesagt wäre es mir aber auch recht, einfach nur über „Babylon Berlin“ zu reden.
„Schau dir Volker an, der ist Veganer, noch am Leben, und sieht auch noch ganz gut aus“
Können wir auch gerne machen, aber ich hatte gerade den Eindruck, dass ihr, genau so wie unsere Leser*innen, mit manchen Dingen nicht zufrieden seid.
Liv: Wenn man über Probleme wie den Klimawandel nicht spricht, gerade in der Gesellschaft, in der wir leben, wo Schauspieler vielleicht sogar eher gehört werden als Politiker, muss ich mir überlegen, ob ich nicht doch was sage, auch wenn ich nicht Greenpeace-Aktivistin oder Politikerin bin. Ich weiß viele Dinge nicht oder nicht so fundiert wie andere, aber ich kann die Aufmerksamkeit auf manches lenken. Und sagen, dass man was gegen den Klimawandel tun kann und muss, ohne große Abstriche im persönlichen Leben zu machen. Schau dir Volker an, der ist Veganer, noch am Leben, und sieht auch noch ganz gut aus!
Sie zeigt mit der Hand auf Volker Bruch, der grinst ein wenig verlegen.
Deine Figur, Charlotte Ritter, muss sich im patriarchalischen und sexistischen Polizeiapparat der 20er Jahre gegen große Widerstände durchsetzen. Ihr werden immer wieder Steine in den Weg gelegt, alleine deshalb, weil sie eine Frau ist. Wie viel von dir steckt in dieser Rolle?
Liv: (atmet länger aus) In manchen Interviews sage ich: total viel. In manchen sage ich: gar nix. Die Wahrheit ist wohl irgendwo dazwischen. Ich habe in einem Porträt über mich gelesen, dass Henk (Hendrik „Henk“ Handloegten, einer der drei Drehbuchautoren und Regisseure von „Babylon Berlin“, Anm. d. Redaktion) gesagt, hat, dass Charlotte und mich Ehrgeiz und Natürlichkeit vereinen würden. Und das würde ich auch sagen. Wir leben aber nicht unter den gleichen Umständen. Auch das patriarchale System gibt es so heute nicht mehr, mir wird nicht der Mund verboten oder so. Heute gibt es auch viele Kommissarinnen bei der Polizei.
„Als Schauspielerin geht es meist darum, überhaupt die Miete bezahlen zu können“
Aber immer noch wenig Frauen in Führungspositionen – und Ungleichheit bei der Bezahlung. Zum Beispiel unter Schauspieler*innen. Ein Thema, das in Hollywood seit ein paar Jahren immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht wird. Auch in Deutschland wird das hin und wieder thematisiert. Seht ihr da Handlungsbedarf? Werdet ihr beide gleich bezahlt?
Liv: Es gibt auf jeden Fall Handlungsbedarf. Ich habe mich da vorher informiert und es auch bei „Babylon Berlin“ zum Thema gemacht. Ich kenne Volkers exakte Gage nicht und er kennt meine auch nicht. Aber ich weiß, dass der Unterschied zwischen uns beiden verschwindend gering ist. Das war alles, was ich wissen musste. Das finde ich besonders wichtig, weil Frauen in Hauptrollen zum Beispiel auch für die Presse sehr interessant sind. Und das nützt natürlich auch dem jeweiligen Projekt. Deswegen finde ich es auch sehr wichtig, gleich bezahlt zu werden. Wir bei „Babylon Berlin“ haben da auch eine Vorreiterrolle und eine Verantwortung, weil wir für deutsche Verhältnisse so eine neuartige und auch teure Produktion sind.
Ihr wart ja nicht schon immer die Stars, die ihr heute seid. Was ist eure Erfahrung von früher in punkto Gage und gleiche Bezahlung?
Liv: Der Beruf des Schauspielers ist oft unterbezahlt, da geht es am Ende des Tages darum, überhaupt die Miete bezahlen zu können. Mit „Babylon“ sind wir privilegiert, ich kann davon gut leben. Und damit gehöre ich zu einem wirklich sehr kleinen Prozentsatz von Schauspielern. Und durch ein großes Projekt wie „Babylon“ wird dann für mich vielleicht auch plötzlich ein anderes Projekt möglich, das weniger gut bezahlt wird. Es ist ein komplexes Thema.
Volker: Ich wollte noch mal auf die Frage von vorher an Liv antworten, wie viel von ihr in ihrer Rolle der Charlotte steckt, auch nach ihren ganzen Antworten jetzt: Es sind 100 Prozent. Da kann sie behaupten, was sie will.
Liv lacht laut.