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„Die beste Instanz“: Enissa Amani reagiert auf „Die letzte Instanz“
„Wir sind nicht hier, um darüber zu sprechen, ob es Rassismus gibt“, sagt Comedian Enissa Amani gleich zu Beginn ihrer Sendung „Die beste Instanz“ am Dienstagabend. Das werde vorausgesetzt. Die folgenden 90 Minuten sind emotional, intensiv, ehrlich und vor allem auch: lehrreich. Amani lud sich Menschen ein, die von Rassismus oder Antisemitismus betroffen sind, Expertise und jede Menge Kluges und Wichtiges zu sagen haben: den jüdischen Schriftsteller Max Czollek, den freien Journalisten und Buchautoren Mohamed Amjahid, die Islamwissenschaftlerin und Bildungsreferentin Nava Zarabian, den Performer und Aktivisten Gianni Jovanovic und die Kommunikationssoziologin Natasha A. Kelly, deren Spezialbereich Schwarze Deutsche Geschichte ist.
„Da sitzen sechs Leute zusammen mit mir, die haben Zeit und können klar reden“, fasst Amani im Interview mit jetzt das Konzept der Talkshow zusammen. „In der Sendung fallen Sätze, die sind Quotes-würdig“, sagt sie im Vorfeld der Ausstrahlung. Solche zitierfähigen Sätze habe sie in einer WDR-Sendung noch nie gehört. Sie spielt auf die WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ an. Eine Episode davon, die Ende Januar für heftige Debatten gesorgt hat, hat auch den Anstoß für „Die beste Instanz“ gegeben.
Die Sendung hat Amani aus eigener Tasche bezahlt und auf Youtube am Dienstagabend veröffentlicht. Geboren wurde sie eben aus derselben Wut, die Amani schon direkt Ende Januar, nach der wiederholten Ausstrahlung der WDR-Sendung, in einem 20-minütigen Instagram-Live-Video artikuliert hatte. Wie viele fragte sie sich: Wie kann es eine öffentlich-rechtliche Sendung zu rassistischer Sprache geben, in der nur weiße Menschen sitzen, die sich mit dem Thema offensichtlich noch nie ernsthaft beschäftigt haben? Und die dann auch noch der Ansicht sind, rassistische Beleidigungen wie das M-Wort, nach dem Schokoküsse oder Apotheken benannt wurden, oder die rassistische Bezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja seien völlig legitim?
Im Interview mit jetzt sagt Enissa Amani über „Die letzte Instanz“: „Viele Nicht-Betroffene sagen gerne: ,Ach, ich kenne auch zwei Leute, denen das nichts ausmacht und die diese Begriffe nicht rassistisch finden.‘ Und die Menschen vor dem Fernseher stimmen dann am liebsten nur zu.“ Wer aber die „Die beste Instanz“ gesehen hat, solle erkennen, dass man es sich mit dieser Haltung zu einfach mache.
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„Wir werden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht genug repräsentiert“, sagt Amani im Interview mit jetzt. Werde ein Mensch mit migrantischem Hintergrund zum Beispiel in eine Talkshow eingeladen, dann als Token, also ein Mensch mit Migrationshintergrund, der nur eingeladen wird, damit eine Runde nicht ganz weiß ist. „Es wird immer über uns gesprochen. Wir sollten aber mehrheitlich mitsprechen dürfen.“ Deswegen habe sie diese Sendung gemacht. Sie wünsche sich, Strukturen verändern zu können. „Auch in den Chefetagen und in den Entscheidungsträgerpositionen sitzen zu wenige von uns. Das sollte 2021 nicht so aussehen.“
Es geht um die Macht der Sprache, Menschenrechte, weiße Dominanzkultur
Dem Internet sei Dank sind Menschen nicht mehr auf die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender angewiesen, um sich eine Plattform zu schaffen. Da vom WDR und von den an der Talkshow beteiligten Weißen als Reaktion nicht mehr als schriftliche Entschuldigungen kamen, lud Amani sich eigene Gäste ein. Dass es Bedarf für eine solche Sendung gibt, zeigen die Klickzahlen. Schon direkt bei Beginn des Livestreams, Dienstagabend um 18.15 Uhr, warteten 2300 Menschen auf den Beginn der Sendung, der Chat unter dem Stream auf Youtube eskalierte vor Flammen- und Herz-Emojis und Liebesbekundungen an Enissa Amani. Zehn Minuten später waren schon 3500 Menschen live dabei, die gesamte Sendung über knapp 5000. Auch nachträglich kann man sich die Sendung noch auf Youtube ansehen, am Mittwochmorgen hatte es etwa 60 000 Aufrufe.
Nach 90 Minuten ist noch längst nicht alles gesagt, wie auch? Es geht um die Macht der Sprache, wenn Gianni Jovanovic noch einmal deutlich macht, wieso die mit Z beginnende rassistische Fremdbezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja traumatisierend sei: „Sprache ist eine Machtressource“, sagt er. „Wir haben die Wahl, sagen zu können, was wir wollen.“ Das Wort stehe für Gewalt, Stereotypisierung und den Genozid an Sinti*zze und Rom*nja. Die Nazis tätowierten dieses Wort Menschen in die Haut ein. Natasha A. Kelly sagt zur Diskussion um rassistische Bezeichnungen: „Es geht um Menschenrechte. Wenn Meinung zu Diskriminierung führt, dann hört da Meinung auf.“ Es betreffe die weiße Dominanzkultur, die weiße, unmarkierte Norm, die nicht-weiße Personen zu „den Anderen“ macht, und die Taten, zu denen gewaltvolle Sprache führen kann: die rechtsextremen Anschläge in Hanau und Halle, den NSU-Komplex, den Mord an Walter Lübcke. Der Anschlag in Hanau jährt sich am 19. Februar. Nava Zarabian erinnert in „Die beste Instanz“ daran, wie viele Menschen zwei Tage nach den rassistischen Morden Karneval feierten, als ob nichts gewesen sei. „Es geht um Existenzen. Es geht um Selbstverteidigung“, sagt Mohamed Amjahid, und weiter: „um Leben und Tod.“
Die Talk-Gäste sind Teil einer Generation rassifizierter Menschen, die aufsteht, strukturelle Rassismen nicht mehr hinnimmt und sich den Mund nicht verbieten lässt. „Heute gibt es Widerspruch“, sagt Mohamed Amjahid. Den hätten seine Eltern nicht geben können. Und Autor Max Czollek sagt ganz direkt: „Wir kommen jetzt, wir übernehmen den ganzen Laden – und wenn die Öffentlich-Rechtlichen das nicht hinkriegen, dann spielen sie keine Rolle mehr.“
Noch müssen Menschen wie Enissa Amani solche Formate aber selbst finanzieren und organisieren, obwohl das eigentlich nicht ihre Aufgabe ist. Dass Anti-Rassismus eigentlich nicht ihr Job ist, betont Amani auch im Gespräch: „Wer meine Karriere verfolgt, weiß, dass ich seit zwei, drei Jahren Shows im Ausland spiele, dass ich an Drehbüchern schreibe und dass ich an meiner Musik arbeite.“ Sie habe nicht immer Lust und auch keine Kraft, sich jedes Mal „aufzuregen, wenn etwas Rassistisches“ passiere.
Wer diese 90 Minuten gesehen hat, soll nicht mehr sagen können, er oder sie habe von nichts gewusst
„Bei dieser Talkshow ,Die letzte Instanz‘ habe ich gesehen, dass die Leute aus ihrem Herzen heraus gesprochen haben. Sie haben gesagt, was sie zu Hause hinter verschlossenen Türen sagen würden“, sagt Amani im Interview. Und sie betont, dass ihr Engagement nicht selbstverständlich ist: „Wir sind nicht eure Bildungsreferenten.“ Zum Beispiel Natasha Kelly: Die promovierte Soziologin hat schon mehrere Bücher zum Thema Schwarzes Leben in Deutschland geschrieben und damit verbunden auch zum Thema Rassismus, und noch immer muss sie Basisarbeit leisten. Seit 25 Jahren wiederhole sie die gleichen Sätze, sagt sie in der Talk-Runde.
Die sechs Menschen auf dem Podium haben Jobs, die nichts mit Anti-Rassismus-Training zu tun haben. Sie alle haben sich ihr Wissen zum Thema eigenständig angeeignet: „Alles, was ich über Rassismus weiß, habe ich später gelernt. Menschen brauchen einen politischen Bewusstseinsprozess“, sagt Natasha A. Kelly. Auch Amani nimmt sich selbst da nicht aus. Sie will andere ermutigen, nachzufragen und sich für Unwissen nicht zu schämen. Immer wieder stellt sie als Moderatorin zwischendurch grundlegende Fragen. „Ich weiß, dass sich das da draußen jetzt gerade ganz viele Menschen fragen“, sagt sie dann.
Es geht auch um Integration in diesen 90 Minuten und um das, was an dem Begriff problematisch ist, um die Vorliebe vieler weißer Deutscher, bei Rassismus lieber erst einmal in die USA zu schauen als vor die eigene Türe, um Jahrhunderte alte Machtstrukturen. Um Wut und um Empowerment, um Vernetzung und darum, wie wichtig es ist, laut zu sein. Darum, wieso die Worte „Alman“ und „Kartoffel“ nicht rassistisch sind.
Wer diese 90 Minuten gesehen hat, soll nicht mehr sagen können, er oder sie habe von nichts gewusst. „Bleibt wütend“, sagt Nava Zarabian am Ende der Sendung. „Ihr seid nicht alleine, wir sind zusammen hier.“