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Fünf Streaming-Tipps für die Revolution zu Hause

Fotos: Stephan Rumpf / Mollie Sivaramobs, Unsplash / John P Johnson, obs, Sky Deutschland / Bearbeitung: jetzt

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Keine Transparente, keine Trillerpfeifen, kein Protestgesang – die traditionellen Demonstrationen und Kundgebungen zum „Tag der Arbeit“ am 1. Mail müssen dieses Jahr Corona-bedingt ausfallen. Das ist tragisch, insbesondere, weil die Krise vieles mit sich bringt, worüber man sich kapitalismuskritisch aufregen könnte: Große Konzerne, die sich während der Krise weigern, ihre Miete zu bezahlen, werden zum Politikum. DAX-Unternehmen, die trotz staatlicher Unterstützung in Form von Kurzarbeitergeld hohe Dividenden an Aktionär*innen ausschütten, zum echten Aufreger. Menschen, die um ihre Jobs bangen, ihre Ausbildung, ihre finanzielle Sicherheit. Vor allem aber merkt gerade eine breite Masse, dass ausgerechnet systemrelevante Berufe, etwa im Pflegebereich und an der Supermarktkasse, zu den am schlechtesten bezahlten Jobs gehören – und dass das nicht wirklich gerecht ist.

Die perfekten Voraussetzungen also, um die umherschwirrende Unzufriedenheit auf Demos auf der Straße zu kanalisieren, konkrete Forderungen zu formulieren und Druck auf Arbeitgeber und Politik auszuüben. Wäre da nicht die Corona-Pandemie. Und so wird etwas, das am 1. Mai für viele ein Tabu ist, plötzlich zur einzigen Alternative: drinnen zu bleiben, statt auf die Straße zu gehen. Das Virus zwingt uns dazu, den Geist der Arbeiterbewegung ausnahmsweise nach Hause holen. Dafür empfehlen wir dir fünf kapitalismuskritische Serien und Filme, die sich besonders dafür eignen und die du aktuell streamen kannst.

„Wir“ (2019) bei Sky Ticket

Eigentlich will die gut betuchte Familie Wilson (u.a. Lupita Nyong’o und Winston Duke) sich einfach nur eine kleine Auszeit nehmen – und unternimmt einen Trip ins malerische kalifornische Surfer-Paradies Santa Cruz. Zwischen Strand, Vergnügungspark, Luxusbleibe und familieneigenem Boot könnte alles so schön sein – würden da nicht plötzlich vier gruselige Gestalten in der Einfahrt der Wilsons auftauchen, die sich schnell als exakte Doppelgänger der einzelnen Familienmitglieder herausstellen. In rote Overalls gekleidet und mit goldenen Scheren ausgestattet, sind sie aus dem Untergrund gekommen, um sich an den Wilsons zu rächen und ihren Platz an der Sonne einzunehmen.

Mastermind-Regisseur Jordan Peele hat es wieder getan: Wie im erfolgreichen Horror-Thriller „Get out“ legt er den Finger in die Wunde. Nachdem es im ersten Film um Rassismus ging, dreht sich in „Wir“ alles um soziale Ungleichheit und geheuchelte Solidarität. Wie im berühmten Vers Bertolt Brechts, „Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich“, geht es auch in diesem Film darum, wie sich Wohlstand und Armut gegenseitig bedingen, und das von einer Gesellschaft verursachte Elend unter einer schillernden Oberfläche verborgen liegt.

„Der Schacht“ (2020) bei Netflix

„Es gibt drei Arten von Leuten: die von oben; die von unten; die, die fallen.“ So erklärt der etwas ältere Trimagasi, der selbst schon viele Monate im sogenannten Schacht verbracht hat, Neuzugang Goreng die knallharten Spielregeln des Gefängnisses, das irgendwo in einer dystopischen Zukunft liegt. Über 300 Stockwerke erstreckt es sich in die Tiefe – und die von oben nach unten durchgereichten Mahlzeiten erreichen nur die wenigsten Gefangenen. Alle vier Wochen wachen die Bewohner*innen in einem anderen Stock auf. Die Zuteilung erfolgt zufällig – ist aber überlebenswichtig. Als Trimagasi und Goreng also aus dem 48. Stock  über 100 Stockwerke nach unten verlegt werden, geht es für sie nur noch um Hunger, das Fleisch am eigenen Körper und ums Überleben.

Der Sci-Fi-Psychothriller des spanischen Regisseurs Galder Gaztelu-Urratia ist allegorische Kapitalismuskritik mit der Brechstange – und in seiner Brutalität eindrücklich. Die Anspielungen auf die Ursachen und Folgen sozialer Ungleichheit sind dabei derart plakativ, dass man sie eigentlich gar nicht mehr als solche bezeichnen kann: Die vermögende Oberschicht sieht auf die unteren Etagen herab, lehnt „Umverteilung“ kategorisch ab, während sich die Bewohner*innen der unteren Stockwerke gegenseitig um das Wenige bekämpfen, das übrigbleibt. Und ebenso zufällig, wie die Zuteilung der Gefangenen erfolgt, entscheidet unsere Geburt auch im wahren Leben über unsere wirtschaftlichen Startbedingungen.

„Das melancholische Mädchen“ (2019) beim Salzgeber Club & Prime Video

Das namenlose melancholische Mädchen, dargestellt von der deutsch-französischen Marie Rathscheck, befindet sich auf der aussichtslosen Suche nach einer Bleibe in einer anonymen Großstadt – außerdem leidet es an einer hartnäckigen Schreibblockade. Recht viel mehr erfährt man über die etwa Mitte-20-jährige Protagonistin des 80-minütigen Films nicht. Stattdessen wandelt die junge Frau in den 14 kurzen Episoden, die bizarre Titel wie „Post-erotische Zeiten“ oder „Die Sehnsucht nach Religion an entzauberten Orten“ tragen, von einer skurrilen Begegnung zur nächsten.

Durch diese Episoden führt Regisseurin Susanne Heinrich. Sie zeigt in minimalistischem, knallbuntem Setting die Kuriositäten unseres Zusammenlebens: unter anderem, wie Feminismus als perfide Verkaufstaktik benutzt wird, oder die Verwertung von Liebe in Zeiten von tinder-esker Unverbindlichkeit – in einer Gesellschaft, die wirklich allem ein Preisschild anhängen muss. Das Ergebnis ist nicht nur eine schlaue Kritik am neoliberalen Zeitgeist, sondern dank seiner vielen irrwitzigen Dialoge auch unglaublich lustig.

„Westworld” (Staffel 1-3) bei Sky Ticket

In de USA ist der Sci-Fi-Western schon lange ein Erfolg, in Deutschland hingegen blieb die Serie immer etwas unter dem Radar. Zu Unrecht, denn „Westworld“ strotzt nur so vor herrlich-kluger Gesellschaftskritik. Im gleichnamigen Vergnügungspark der Superlative ist alles möglich - zumindest für die, die sich den teuren Ausflug in die Parallelwelt  leisten können. Dort schaffen den Menschen zum Verwechseln ähnlich sehende Androiden, umgeben von originalgetreuer Kulisse, die perfekte Illusion vom Wilden Westen. Die reichen Tourist*innen nutzen den Aufenthalt im Park allerdings vor allem für Dinge, die außerhalb des Areals verboten sind: Sie rauben und verwüsten, sie töten und vergewaltigen. Bis die Roboter beginnen, ein eigenes Bewusstsein zu entwickeln, und sich wehren.

Ein Schelm, wer bei diesem „Bewusstsein“ an „Klassenbewusstsein“ denkt – oder in den Androiden gar eine krasse Metapher auf ausgebeutete Arbeiter*innen erkennt. So oder so wird in „Westworld“ ein Szenario entworfen, in dem künstliche Intelligenz nicht zum Wohle der Allgemeinheit verwendet wird, sondern als dekadente Unterhaltung dient, mit der sich reichlich Geld machen lässt. Neben dem klugen Storytelling, das immer wieder überrascht, überzeugt „Westworld“ übrigens auch durch seinen hochkarätigen Cast, zu dem unter anderem Evan Rachel Wood, bekannt aus dem Film „Dreizehn“, und Anthony Hopkins gehören.

„Snowpiercer“ (2013) bei Netflix

Eine Idee so stumpfsinnig, dass sie echt sein könnte: Weil sich die Erde immer weiter erhitzt, schießen die Menschen ein chemisches Kältemittel in die Atmosphäre. Das Experiment geht – wie zu erwarten – schief, sogar richtig schief:  Eine neue Eiszeit bricht herein, die alles Leben auf dem Planeten auslöscht. Beinahe zumindest – denn im „Snowpiercer“, einem Zug, der ununterbrochen durch die vereiste Welt irrt, existieren noch ein paar hundert Menschen. In zwei Klassen unterteilt, lebt der Großteil der Überlebenden in den hinteren Abteilen zusammengepfercht unter katastrophalen Bedingungen. Ein Nach-Vorne-Kommen verhindern die Mächtigen im vorderen Teil des Zuges vehement, Regelverstöße werden drakonisch bestraft – nicht selten verliert jemand den Arm, wenn er Grenzen überschreitet. Als immer mehr Kinder aus dem hinteren Teil des Zuges entführt werden, entschließen sich Curtis (Chris Evans) und Edgar (Jamie Bell) dennoch zu revoltieren. Gemeinsam mit einer Schar von weiteren Unterdrückten kämpfen sie sich von Abteil zu Abteil und müssen feststellen, in welchem Luxus die Bewohner*innen an der Spitze schwelgen. Klar, dass es da zum großen Showdown kommen muss.

Bong Joon-Ho erzählt mit „Snowpiercer“ eine actiongeladene Odyssee auf engstem Raum. Der südkoreanische Regisseur, dessen Drama „Parasite“ zuletzt nahezu alle wichtigen Preise abgeräumt hat, macht sich in diesem Werk gar nicht erst die Mühe, ein realistisches Szenario zu entwerfen. Gerade deswegen gelingt es ihm, die schier unüberwindbare Kluft zwischen Arm und Reich nachzuzeichnen. Und noch ein Tipp für alle, die von „Snowpiercer“ nicht genug bekommen können: Noch in diesem Monat startet die gleichnamige Serienadaption auf Netflix.

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