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Brief an den Videothekenbesitzer
Lieber Besitzer der Videothek um die Ecke,
gerade eben schlenderte ich vorbei, um mal wieder richtig retro DVDs ausleihen zu gehen. Und dann? Stand ich vor einer verriegelten Tür, an der ein Räumungsverkaufsplakat pappte. Also bin ich gleich zurückgerast, um dir diesen Brief zu schreiben. Denn ich glaube, du musst da was wissen.
Ja, du denkst, es ist vorbei. Der Laden wird dicht gemacht, das große Videothekensterben hat jetzt auch dich erwischt. 75 Prozent sind von 2007 bis 2016 verendet. Und jetzt auch dein Laden. „Führt kein Weg dran vorbei“, denkst du dir wahrscheinlich. „So ist das eben heute mit dem ganzen Internetdingsbums, kann man nichts machen.“ Dabei packst du vermutlich gerade deine Nummer-Hängeschildchen in Kisten, futterst resigniert die restlichen Chipstüten leer und überlegst, zu welchen Preisen du die DVDs wohl noch verscherbeln kannst. „DVDs. Pff. Die will ja eh keiner mehr“, denkst du dabei kopfschüttelnd, während du nostalgisch zu den Regalen hinüberlugst.
Dein Laden war für mich ein kleines Paradies
Am liebsten würde ich dir jetzt auf die Schulter klopfen und bestätigen: Das Internet ist schuld, Netflix ist schuld, Youporn ist schuld. Aber im Lügen bin ich so gut wie Videotheken heute noch im Geschäftemachen. Und ein Grund für das Videothekensterben ist vielleicht dieses böse Internetdingsbums, aber schuld daran ist auch jemand anderes.
Und das musst du einfach hören, damit du die blöde Tür wieder aufschließt und das noch blödere Plakat in den Müll schmeißt. Denn ich will, dass du bleibst. Denn ja, es gibt Netflix, ja, du hast nur einen mittelmäßigen Laden mit verdrecktem Teppichboden, über den noch nie jemand eine super Bewertung geschrieben hat. Und nein, Filmauswahl und Geruch waren auch nicht immer so super. Aber für mich waren Besuche bei dir früher immer großartig. Damals, als ich noch klein war, und hinter meinen Eltern hinein und dann durch die Reihen gewuselt bin.
Mir war egal, dass in deinem Laden nur Chips-Liebhaber eingestellt wurden, die, außer Pringles zu futtern, zwei Dinge können: tumb durch die Gegend gucken und kichernde Jugendliche von den Pornos wegscheuchen. Mir war egal, dass schon mindestens eine Person auf den Teppichboden gereiert hatte. Dieser Laden war für mich ein kleines Paradies, in dem ich Nemos Ozean finden und mir später Zugang zu James Bonds Gangster-Welt verschaffen konnte. Dafür musste ich nur auf die Zehenspitzen gehen und dann das Schildchen geschickt vom Häkchen ziehen. Die Trailer liefen dabei in meinem Kopf ab.
Denkst du, die heutigen Kids werden sich später ans Herumscrollen auf Netflix erinnern?
Auf der Hinfahrt freute ich mich schon wie Bolle. Auf der Rückfahrt wie Bolle auf Ecstasy. Das waren Mini-Familienausflüge, an die ich mich noch heute erinnere. Denkst du, die heutigen Kids werden sich später ans Herumscrollen auf Netflix erinnern?
Nö, denke ich auch nicht. Und deshalb muss ich die Schuldigen enttarnen, um die Videotheken zu retten! Oder zumindest, um meinen Senf dazugegeben zu haben. Ja, die Schuldigen, denn es sind mehrere, die eine wahnsinnig gute Zusammenarbeit hingelegt haben. Die ersten sind all die anderen Videothekenbesitzer und du.
Ihr habt euch trotz des Internets kaum verändert. Die meisten von euch haben ihr Schicksal erst ignoriert und dann akzeptiert. Eine Praxis, die der ganze Einzelhandel ziemlich gut zu beherrschen scheint. Du zumindest hast in all den Jahren nichts großartig verändert. Deshalb kamen die Leute irgendwann nicht mehr von der Couch hoch in deinen staubigen Laden.
Aber am Ende entscheiden wir uns fuckboy-like immer für das Schnellste, Einfachste, Billigste.
Aber am Ende, und das ist so logisch wie bitter, entscheiden wir uns fuckboy-like immer für das Schnellste, Einfachste und Billigste. Amazon, Netflix, Ebay.
Nur, und das dürfen wir nicht vergessen, lieber Videothekenbesitzer, gibt es trotzdem diesen einen Laden, für den wir uns immer noch wenigstens manchmal ins Auto setzen. Weil er einfach großartig ist. Weil wir das Gefühl von früher noch mal spüren wollen, dass Netflix uns nicht geben kann.
Also häng doch bitte das Schild wieder ab, knabbere noch ein paar Chips, trink von mir aus die ekelhaften Energy-Drinks und mach dir Gedanken darüber, ob du es nicht doch noch mal versuchen kannst. Es wäre so schön, wenn das klappen würde. Wenn wieder Kinder durch die Gänge wuseln würden. Wenn dir die zündende Idee käme, wie der Laden von früher bleiben und gleichzeitig zur Traumfrau des Fuckboys werden werden kannst. Ich glaube daran, dass das geht. Denn die Fuckboys wollen am Ende doch auch irgendwann nur eins: Liebe.