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Zyklus-Kolumne, Folge 1: Warum hassen viele Frauen ihren Zyklus so sehr?
Die Menstruation ist das vielleicht alltäglichste Tabu der Welt. Dabei übersieht man schnell, dass der weibliche Zyklus viel mehr ist als ein bisschen Blut. Er beeinflusst unser Wohlbefinden, unser Liebesleben, unseren Alltag und sogar unsere Gesellschaft. Genau darum geht es in dieser Kolumne.
Dass irgendjemand dem weiblichen Zyklus etwas Positives abgewinnen kann, wurde mir zum ersten Mal vor mehr als zehn Jahren bewusst. Meine Schulfreund*innen und ich zelteten auf einem Festival, und hurra: Gleich zwei von uns bekamen ihre Tage. Als wir uns darüber ausließen, meinte Jonas, der Mann unter uns: „Also, ich hätte manchmal gern so einen Zyklus. Muss doch irgendwie cool sein, so ein Kreislauf mit verschiedenen Phasen …“ Entgeistert sahen wir ihn an. Wir menstruierten auf einem Campinggelände und der Typ meinte, unser Zyklus solle uns freuen? Wir holten uns etwas zu essen und tanzten dann auf Ibu.
Heute erzählt mein Kumpel Jonas auf Nachfrage, dass der Zyklus seiner Freundin eine wichtige Rolle in der Beziehung der beiden spielt: „Ich glaube, dieses Bewusstsein macht unsere Beziehung abwechslungsreicher und dynamischer.“ Wie er in unserer Teeniezeit auf das Thema kam? „Ich kann mich gar nicht an die konkrete Situation erinnern. Vermutlich fand ich die Idee von zyklischer Veränderung schon damals wissenschaftlich interessant.“ In Sexualkunde zumindest hatten wir nichts dergleichen gelernt, dort ging es ausschließlich um die Schwangerschaftsgefahr, die uns dank des weiblichen Zyklus drohte. Regelschmerzen spürten die meisten von uns dann am eigenen Leib, unsere Stimmungsschwankungen spürten auch andere. Woher diese Symptome kommen und wie man mit ihnen umgehen kann, erklärte uns allerdings niemand. Unser Zyklus schien eine irgendwie peinliche Angelegenheit zu sein, die man am besten einfach ertrug.
Zyklustabus früher und heute: Wie fortschrittlich sind wir wirklich?
Diese negative Einstellung zum weiblichen Zyklus erklärt sich auch, wenn man in die Vergangenheit blickt: Bis in die 50er Jahre hinein wurde spekuliert, dass die Menstruation giftig sei oder dass Frauen mit einer Art „blutige Tränen“ nicht gezeugten Kindern nachweinen würden. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden Frauen auf diverse Arten wegen „Hysterie“ behandelt – und erst 1980 wurde die vermeintliche Krankheit aus dem Diagnose-Handbuch für psychische Störungen gestrichen. Diese Irrglauben sind heute widerlegt – ein Tabu sind der weibliche Zyklus und Menstruation aber immer noch: Das Wort „hysterisch“ wird auch heute noch oft als Angriff verwendet, obwohl es eigentlich „die Gebärmutter betreffend“ bedeutet, der amtierende US-Präsident wertete in seinem Wahlkampf eine kritische Journalistin mit Anspielungen auf die Menstruation ab und die meisten Menstruierenden würden bei Unwohlsein im Büro wohl eher noch Verdauungsprobleme vorschieben, statt auf ihre Regelschmerzen zu verweisen.
Bei all dem geht schnell unter, dass der Zyklus nicht einfach „ein paar Tage Bluten“ bedeutet, sondern ein komplexer hormoneller Ablauf ist, der zum weiblichen Körper und unserer Gesundheit dazugehört. Ich selbst kam erst einige Jahre nach meinem progressiven Kumpel auf die Idee, dass der Zyklus auch etwas Positives sein könnte: als ich begann, mich mit symptothermaler Verhütung auseinanderzusetzen. Dabei beobachtet man die Aufwachtemperatur und den Zervixschleim und kann unter Beachtung medizinischer Regeln zwischen fruchtbaren und unfruchtbaren Phasen unterscheiden. Die Methode veränderte mein Körperbewusstsein von Grund auf. Ich bemerkte, dass sich meine Stimmung mit jeder Zyklusphase veränderte und ich mich an den Tagen rund um den Eisprung besonders energiegeladen, ja fast unbesiegbar fühlte. Das, so lernte ich endlich, liegt am Östrogen, das kurz vor der Ovulation vermehrt ausgeschüttet wird und so stimmungsaufhellend wirkt.
Warum jede Zyklusphase ihre Vorteile hat
Doch auch die anderen Zyklusphasen lernte ich schätzen. Die verschiedenen Phasen werden manchmal als innere Jahreszeiten bezeichnet. Die Menstruation wird mit dem Winter, die Tage nach der Periode mit dem Frühling, die Eisprungphase mit dem Sommer und die prämenstruelle Phase mit dem Herbst verglichen. Auch wenn der Zyklus nur einer von vielen Faktoren ist, die auf unser Befinden einwirken, kann ich mich ziemlich gut damit identifizieren: Ab Ende der Periode, also gegen Ende des Winters und im Frühling, entwickle ich oft neue Ideen und Projekte, um dann im „inneren Sommer“ rund um den Eisprung richtig durchzupowern. Darauf folgt meist eine „Herbst-“Phase, in der ich mehr Zeit allein verbringe, viel lese, und analysiere. und einen extrem guten Bullshit-Detektor habe – ich merke zum Beispiel schneller als sonst, wenn mich jemand anlügt. Zu Beginn der Menstruation ruhe ich mich bewusst aus und sammle Kraft für den nächsten Anlauf.
Der Zyklus hat aber nicht nur gefühlte, sondern auch handfeste, bewiesene Benefits: Gesunde Zyklen zeigen an, dass unsere Hormone in Balance sind, und die körpereigene Produktion von Östrogen und Progesteron ist nicht nur zum Kinderkriegen da, sondern erhält das Wohlbefinden und beugt Krankheiten vor. Sie begünstigen die Knochendichte, helfen bei der Regulierung des Blutzuckers und sorgen abwechselnd für aktive Stimmung (Östrogen) und Ruhe und besseren Schlaf (Progesteron).
„Ich hab gar keinen Bock auf meinen Zyklus! Wozu gibt’s denn hormonelle Verhütung?“
So weit, so gut – für mich. Längst nicht alle Menschen in meinem Umfeld konnten und können meine Begeisterung nachvollziehen. Als ich mal wieder über die Vorteile des natürlichen Zyklus referierte, fiel mir eine Kollegin ins Wort: „Ich habe gar keinen Bock auf so was! Wozu gibt’s denn hormonelle Verhütung?” Eine andere Freundin erzählte mir, dass sie vor jeder Periode bis zu zehn Tagen lang unter heftigen psychischen Beschwerden litt und schließlich mit PMDS (Prämenstruelle Dysphorische Störung, deutlich schwerwiegender als das Prämenstruelle Syndrom PMS) diagnostiziert wurde. Sport und Ernährungsumstellung hatten ihr nicht geholfen, die Pille schließlich schon. Was genau die Ursache ihrer PMDS ist, konnten ihr die Ärzt*innen allerdings nicht sagen – und auch wenn die Pille bei ihr die Symptome verschwinden ließ, wird sie nicht für alle Betroffenen empfohlen.
Fest steht: Meine Kollegin und meine Freundin sind genau so sehr im Recht, wenn sie sich für hormonelle Verhütung und damit das Pausieren ihres natürlichen Zyklus entscheiden, wie ich, wenn ich das für mich ablehne. Nüchtern betrachtet geht es hier um Medikamente, bei denen man Nutzen und Risiken abwägt, und nichts liegt mir ferner, als jemanden zur Zyklusliebe zu bekehren, der sich gerade vor Schmerzen krümmt.
Ist unser Zyklus das Problem oder die Gesellschaft, die ihn tabuisiert?
Zyklusstörungen sind ein ernstzunehmendes Gesundheitsproblem, das besserer Forschung und Behandlung bedarf. Bei gemäßigten Symptomen und Energieschwankungen kann man sich aber durchaus mal die Frage stellen: Ist unser Zyklus wirklich das Problem oder die Gesellschaft, die ihn tabuisiert? Die ersten beiden Tage meiner Menstruation bringen immer gewisse Schmerzen mit sich. Sie fallen aber deutlich schwächer aus, wenn ich mich mit der Wärmflasche ausruhen darf, als wenn ich lächelnd durchs Büro hetzen und so tun muss, als ob ich jeden Tag genau gleich funktionieren würde. Außerdem fühle ich mich nach etwas Ruhe in den Folgetagen weniger abgespannt und kann die Zeit leicht wieder reinholen. Blöd nur, dass das nicht ins Nine-To-Five-Dogma passt.
Aber lässt sich das ändern? Vielleicht. Wir brauchen dafür allerdings dringend bessere Aufklärung, Informationen und Diskurse über den Zyklus. Was, wenn wir ihn anerkennen würden als das, was er ist – ein Teil unserer Gesundheit? Erst, wenn wir den Zyklus und seine Mechanismen verstehen – und lernen, zwischen normalen Schwankungen und krankhaften Symptomen zu differenzieren – können wir selbstbestimmt entscheiden, wie wir mit ihm umgehen. Ob wir ihn dann lieben, hassen, mit der Pille abschalten oder spirituell ausleben, bleibt jeder selbst überlassen. Wenn wir allerdings das Thema weiter ignorieren, sind wir den alten Tabus näher, als wir uns eingestehen wollen.