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Wie Corona die Wohnsituation junger Menschen verändert

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Eigentlich wollte Maren diesen April in Dänemark verbringen. Die 25-jährige ist Freelancerin, arbeitet als Kommunikationsdesignerin in verschiedenen Städten und Ländern. Sie hatte sich zusammen mit einer Freundin bereits ein Airbnb in Kopenhagen gemietet. „Unsere Vermieterin hat jedoch absagen müssen. Wir sollten in die Wohnung, während sie in Urlaub ist.“ 

Da die Vermieterin aufgrund des Coronavirus nicht wegfahren konnte und die europäischen Grenzen derzeit größtenteils zu sind, konnten Maren und ihre Freundin gar nicht erst nach Dänemark aufbrechen. Da Maren als Freelancerin zurzeit keinen festen Wohnsitz hat, ging es für sie zurück in die Heimat. Vorübergehend hat sie sich bei ihrem Vater in einem kleinen Ort Nahe Freiburg, einquartiert. „Ich kann ja zum Glück von überall aus arbeiten. Gerade habe ich noch ein paar Aufträge, arbeite zum Beispiel an einem Online-Magazin für eine Entrepreneur-Akademie. Ich merke aber, dass immer weniger neue Aufträge reinkommen.”

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Foto: Privat

Das Airbnb in Dänemark war nicht die einzige Corona-bedingte Absage, die Maren erhielt. „Weiter ging es mit dem WG-Zimmer in Hamburg. Nach dem Aufenthalt in Kopenhagen wollte ich zum 1. Mai eigentlich dorthin ziehen.“ Ein paar Tage nach der Zusage schrieb Marens zukünftige Mitbewohnerin ihr, dass das nicht klappe. „Aufgrund des Coronavirus war es ihr zu heikel, sich jemand Fremden in die 2er-WG zu holen. Sie will erstmal lieber alleine bleiben“, erzählt Maren. Danach hatte sie nach einem neuen WG-Zimmer in Hamburg gesucht und auch eines gefunden – und dann doch wieder kurzfristig abgesagt: „Ich will lieber bei meinem Papa bleiben. Hier spare ich mir die Mietkosten. Und was soll ich in einem tollen, hippen Viertel in Hamburg machen, wenn alles dicht hat? Zudem ist wohl die halbe WG ausgeflogen, bei Familie oder Freunden in Quarantäne. In einer WG geht es ja auch um ein gemeinsames Sozialleben.“

Es herrscht eine Art „Corona-Wohnungsbingo“

In WGs herrscht oft ein ständiger Wechsel. Bewohner*innen machen ein Praktikum, ziehen berufsbedingt um, Studierende gehen ins Auslandssemester. Aufgrund des Coronavirus hängt aber nun vieles in der Schwebe, Praktika werden abgesagt, das Auslandssemester muss kurzfristig abgebrochen werden. Wirft eine Person die Wohnpläne um, entsteht oft eine Kettenreaktion. Es herrscht aktuell eine Art „Corona-Wohnungsbingo“ in Deutschland.

Hinzu kommt, dass deutschlandweit fast alle Universitäten und Hochschulen den Start des Sommersemesters coronabedingt verschieben mussten. Auch das spiegelt sich auf dem Wohnungsmarkt in den Universitätsstädten wider. Zum Semesterbeginn im Frühling ist der Ansturm auf WG-Zimmer eigentlich immer enorm. In vielen Städten wird es dann schwierig, genau zum Vorlesungsbeginn ein Zimmer zu finden. Daher greifen viele auf Übergangslösungen wie eine Zwischenmiete zurück. Das Immobilienportal WG-Gesucht stellt gerade fest, dass das momentan überhaupt nicht der Fall ist: „Es wollen weniger Leute ab April oder Mai in befristete Zimmer, also etwa in Zwischenmieten von WGs. Die Nachfrage hat sich schnell angepasst und reduziert“, so das Portal. Schließlich müssen die Studierenden im April und Mai voraussichtlich gar nicht in die Uni. Viele Universitäten haben angekündigt, ihre Kurse zunächst online über E-Learning anbieten zu wollen. 

So wie Maren werfen gerade viele Menschen ihre aktuellen oder zukünftigen Wohnungspläne um. Julia, 31, wollte endlich mit ihrem Freund in München zusammenziehen. „Wir wollten in die Wohnung von einer Kollegin, die ein Sabbatjahr geplant hatte. Das ist jetzt natürlich hinfällig.” Ihr WG-Zimmer hat Julia eigentlich schon zwischenvermietet. „Meine Untermieterin kann ihr Praktikum wegen Corona jetzt doch nicht machen. Daher braucht sie mein Zimmer nicht mehr. Mein Freund kann auch erst einmal in seinem alten Zimmer in Berlin bleiben. Jetzt ist alles wieder auf 0”, erzählt sie. Zurzeit ist Julia jedoch gar nicht in München und ihr Freund auch nicht in Berlin. „Wir sind bei der Familie in Lippstadt. Die hat ein Haus mit Garten, da lässt sich aktuelle Situation noch am Besten ertragen.“

„Studierende werden mittelfristig große Wohngemeinschaften meiden, stattdessen kleine WGs und Einzimmerappartements bevorzugen“

Ähnlich wie Julia und Maren sind gerade viele bei Freunden oder der Familie untergeschlüpft, insofern diese nicht zur Risikogruppe gehören. Man will an einem vertrauten, heimischen Ort sein. Sehnt sich nach Sicherheit und Geborgenheit. Auch Hygiene spielt eine wichtige Rolle. Gerade in großen Wohnheim-WGs kann das schwierig werden. Dort herrscht oft Anonymität, Bewohner*innen haben individuelle Putz-Standards. Keine leichte Zeit für Zwischenmieten, Wohngemeinschaften und Umzüge.

Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg, geht davon aus, dass das Coronavirus das Wohnverhalten massiv prägen wird: „Studierende werden mittelfristig große Wohngemeinschaften meiden und stattdessen kleine WGs und Einzimmerappartements bevorzugen. Angst und Verunsicherung dominieren auch beim Wohnen. Das kann dazu führen, dass Student*innen ins Umland verdrängt werden, da sie in der Stadt nichts finden. Hinzu kommt, dass immer mehr Gastarbeiter*innnen, die auf dem Bau angestellt sind, fehlen. Die Fertigstellung von großen Studentenwohnheime wird sich massiv verzögern, die Knappheit an Wohnraum wird sich zuspitzen.”

Langfristig rechnet der Experte damit, dass vor allem Berufseinsteiger*innen betroffen sind. „Seit circa 10 Jahren geht es auf dem Arbeitsmarkt immer nur bergauf. Das wird sich nun ändern. Umso mehr sich die Krise verfestigt, umso schwieriger wird es für junge Leute. Als Konsequenz werden sich Berufseinsteiger keine Wohnungen mehr in der Innenstadt leisten können.“ 

Durch das Coronavirus ist aktuell die gesamte Volkswirtschaft ausgebremst. Besonders hart trifft es beispielsweise diejenigen, die in der Gastronomie arbeiten. Viele Studierenden jobben nebenbei in dieser Branche, bekommen nun kaum oder keinen Lohn mehr. „Die haben jetzt ein elementares Risiko. Ohne Gehalt können sie schlichtweg keine Miete zahlen. Daher ist es absolut nachvollziehbar, dass Mieter*innen in den nächsten drei Monaten nicht coronabedingt gekündigt werden darf. Allerdings muss die Miete irgendwann nachgezahlt werden. Das könnte für viele schwierig werden, schließlich wird kaum jemand im Herbst plötzlich einen doppelten Lohn ausgezahlt bekommen”, sagt Tobias Just.

„Man sollte den Kontakt zu den Vermieter*innen suchen, seine persönliche Situation schildern“

Bereits einige Tage bevor die Bundesregierung den Kündigungsschutz für Mieter*innen gestärkt hat, ist der Vermieter von Ali, 26, aktiv mit gutem Beispiel vorgegangen. Der Aktivist und Autor hat die Hilfsbereitschaft seines Vermieters in einem Tweet zusammengefasst:

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Foto: Privat

„Ich will zeigen, dass eben nicht alle Vermieter*innen dem Klischee entsprechen und kapitalistisch drauf sind. Es gibt auch Leute die Verständnis haben”, sagt Ali. Er lebt in Essen mit rund 40 Personen in einem Mehrgenerationenhaus. „Die Gemeinschaft wird demokratisch darüber entscheiden was mit dem Geld passiert. Unser Vermieter hat uns das Geld geschenkt, er hat kein Vetorecht bei der Verwendung“. 

Die Geste hat Ali berührt. Er hofft, dass durch die Krise das Verhältnis von Mieter*innen und Vermieter*innen positiv beeinflusst wird. „Man sollte den Kontakt zu den Vermieter*innen suchen, seine persönliche Situation schildern. Auf Transparenz und Kommunikation kommt es in so einer Situation an. Man kann jetzt die Möglichkeit nutzen und sich gegenseitig kennenlernen, am Ende sind wir alle nur Menschen.“

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