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Wie werden Schwangerschaftsabbrüche vom Coronavirus beeinflusst?
Netzwerke wie Doctors for Choice, Pro Choice und Pro Familia befürchten, dass ungewollt Schwangere während der Corona-Krise die gesetzliche Frist für eine Abtreibung von zwölf Wochen nicht mehr einhalten können. Deswegen fordern sie in einem Statement an die Bundes- und Landesregierungen, dass bürokratische Hürden abgebaut und dass Schwangerschaftsabbrüche als medizinisch notwendige Eingriffe anerkannt werden, damit die Versorgung von Frauen auch in Krisenzeiten gesichert ist. Wir haben mit Alicia Baier, Vorsitzende von Doctors for Choice Germany e.V., gesprochen. Selbst führt Baier aktuell keine Abbrüche durch. Wie man sie vornimmt, lernte sie bei der Ärztin Kristina Hänel, die 2017 nach Paragraf 219a StGB zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Homepage über Schwangerschaftsabbrüche informierte.
jetzt: Inwiefern wird die Corona-Krise die Situation für ungewollt Schwangere schwieriger machen?
Alicia Baier: Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist ja eh schon schwierig in Deutschland, es gibt immer weniger Einrichtungen, die Abbrüche vornehmen und ungewollt Schwangere müssen weite Strecken fahren. Durch die Krise kommen weitere Probleme dazu: Denn Frauen müssen für Pflichttermine wie die Pflichtberatung eigentlich persönlich erscheinen. Das ist jetzt oft nicht mehr möglich. Einige Beratungsstellen haben bereits auf Telefon- oder Videoberatung umgestellt. Wenn dies nicht überall möglich ist, darf das nicht dazu führen, dass Frauen nicht abtreiben können. Dann muss die Beratungspflicht für die Zeit der Krise ausgesetzt werden.
„Durch die Grenzschließungen gibt es nicht mehr die Möglichkeit, für einen Abbruch in Nachbarländer zu fahren “
Was bedeuten die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus wie Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbot für ungewollt Schwangere noch?
Zum einen kann es bei den wenigen Praxen, die aktuell noch Abbrüche vornehmen, zu Ausfällen kommen, wenn beispielsweise einen Corona-Fall im Personal gibt oder weil Desinfektionsmittel und Schutzmasken fehlen. Zum anderen gibt es durch die Grenzschließungen nicht mehr die Möglichkeit, für einen Abbruch in Nachbarländer zu fahren. Für viele Frauen war das bisher die einfachste Lösung, weil die Distanz geringer war als zu Praxen in Deutschland und weil dort andere gesetzliche Regelungen gelten. Gleichzeitig wird es wahrscheinlich einen erhöhten Bedarf geben. In anderen Ländern hat sich gezeigt, dass durch die Ausgangsbeschränkung häusliche und sexuelle Gewalt zunehmen. Außerdem ist der Zugang zu Verhütungsmitteln nicht mehr sichergestellt. Viele medizinische Zentren legen beispielsweise keine Spiralen mehr, weil das kein Notfall ist.
Was könnte passieren, wenn ungewollt Schwangere keine medizinische Hilfe bekommen?
Wenn Frauen sich nicht mehr zu helfen wissen, werden sie im schlimmsten Fall zu eigenen Methoden greifen. Verzweifelte Frauen werden versuchen, die Schwangerschaft selbst zu beenden. Das kann sehr gefährlich sein, das sieht man in anderen Ländern, in denen es keinen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gibt. Dort ist die Müttersterblichkeit sehr viel höher.
In einem Statement fordern Sie mit Doctors for Choice und anderen Netzwerken, dass ein medikamentöser Abbruch bis zur neunten Schwangerschaftswoche auch von zu Hause aus möglich sein soll, mit telefonischer Begleitung – kann das nicht auch gefährlich sein?
Der „Home-Use“ beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch ist medizinisch etabliert und wird auch in Deutschland schon angewandt. Es entspricht nicht den Zulassungsempfehlungen der Medikamente, aber es ist trotzdem sehr sicher und es wird von der WHO und anderen medizinischen Fachgesellschaften empfohlen. Aber es bleibt im Graubereich und viele Ärztinnen und Ärzte trauen sich nicht den „Home-Use“ anzuordnen – gerade bei Schwangerschaftsabbrüchen. Denn wer die durchführt, steht eh oft mit halbem Bein im Gefängnis, weil diese nur unter bestimmten Bedingungen straffrei sind. Deswegen wäre eine klare Botschaft von der Politik, dass der „Home-Use“ in diesem Fall möglich ist, wichtig.
Das ändert allerdings nichts daran, dass kaum mehr Ärztinnen und Ärzte chirurgische Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Was ist mit den Frauen, die nach der neunten Woche abtreiben?
Wenn man das Angebot an medikamentösen Abbrüchen erhöht, indem der „Home-Use“ ermöglicht und Abläufe beschleunigt werden, können Abbrüche, die sonst chirurgisch abgelaufen wären, noch im gesetzlichen Rahmen medikamentös durchgeführt werden. Darüber hätte man eine Entlastung. Das Problem war schon vor der Krise da und es wird jetzt auch nicht besser werden, aber wir wollen eine Verschärfung der Situation verhindern. Es gibt auch ein positives Beispiel: Die Uniklinik Magdeburg, die bisher nur Spätabbrüche nach der zwölften Woche gemacht hat, übernimmt jetzt auch frühere Abbrüche.
Schwangerschaftsabbrüche sind keine leichtfertig getroffenen Lifestyle-Entscheidungen, da steht wirkliche Not dahinter
In den US-Bundesstaaten Texas und Ohio wurden Schwangerschaftsabbrüche wegen der Corona-Krise als nicht notwendige Eingriffe verboten, um Krankenhäuser zu entlasten. Ist das auch in Deutschland ein mögliches Szenario?
Diese Situation haben wir in Deutschland zum Glück noch nicht. Es gibt nur den Auftrag, verschiebbare Operationen nicht durchzuführen, und es bleibt im Ermessen der Ärztinnen und Ärzte, was notwendig ist und was nicht. Wir hoffen einfach sehr, dass das als eine unaufschiebbare Leistung angesehen werden und Vorrang bekommen.
Was wäre das für ein Signal, wenn Schwangerschaftsabbrüche in dieser Krise nicht als notwendige Leistung priorisiert werden?
Das würde bedeuten, dass Schwangerschaftsabbrüche leichtfertig getroffenen Lifestyle-Entscheidungen sind und dass keine wirkliche Not dahintersteht. Aber wir wissen, dass eine ungewollte Schwangerschaft extremes psychisches Leid hervorrufen kann. Schwangerschaftsabbrüche sind ein wichtiger Bestandteil der Frauengesundheit.
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