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Welt-Aids-Konferenz: „Jedes infizierte Kind ist eines zu viel“
Laut aktueller UNAIDS-Statistiken kostete Aids seit den 1980er Jahren rund 35 Millionen Menschen das Leben. Täglich infizieren sich bis zu 5000 Menschen neu mit dem HI-Virus. Zudem befürchten Experten derzeit, dass die Epidemie nach Fortschritten in der Bekämpfung und Behandlung in den vergangenen Jahrzehnten in Zukunft wieder außer Kontrolle geraten könnte.
Um HIV und Aids in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, findet gerade (vom 23. bis 27. Juli) die 22. Welt-Aids-Konferenz in Amsterdam statt. Die 27-jährige Trierer Studentin Melina Kohr war zwei Tage lang als Jugendbotschafterin der Entwicklungsorganisation „One“ vor Ort.
jetzt: Melina, wer kommt alles bei der Welt-Aids-Konferenz zusammen?
Melina Kohr: Bei der diesjährigen Konferenz sind circa 18.000 Menschen aus Politik, Wissenschaft und Forschung, der Zivilgesellschaft und von NGOs anwesend. Sie verfolgen alle ein gemeinsames Ziel: HIV und Aids ein Ende zu setzen. Personen aus der Öffentlichkeit wie Elton John, Charlize Theron und Bill Clinton sind ebenfalls dabei. Das sorgt natürlich auch noch einmal für eine größere Aufmerksamkeit.
Und was passiert dann genau vor Ort?
Bei der Konferenz gibt es zum Beispiel Sessions und Workshops, bei denen etwa Forschungsansätze, neue Forschungsergebnisse und Therapiemethoden diskutiert werden. Aber auch die politische Situation verschiedener Länder, die aktuelle Ausbreitung des Virus und der Aktivismus der NGOs ist Thema.
„Bis zum Jahr 2020 sollen die sogenannten 90-90-90-Ziele erreicht werden“
Was ist das Ziel?
Die internationale Gemeinschaft hat sich Großes vorgenommen: Bis zum Jahr 2020 sollen die sogenannten 90-90-90-Ziele erreicht werden. Das bedeutet, dass 90 Prozent der Betroffenen über ihre Infektion Bescheid wissen sollen, 90 Prozent in Behandlung sein sollen und das Virus bei 90 Prozent der Infizierten dank der Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten nicht mehr nachweisbar sein soll. Bis 2030 möchte man außerdem keine Neuinfektionen mehr haben und der Epidemie so ein Ende setzen.
Ist es realistisch, dass diese Ziele erreicht werden?
In den aktuellen Berichten warnen Experten davor, dass die Ausbreitung des Virus wieder dramatisch zunehmen könnte. Denn in 50 Ländern der Welt ist die Zahl der Neuinfektionen leider wieder stark gestiegen, vor allem in Osteuropa und Zentralasien. Es muss also sowohl von der Politik als auch von der Öffentlichkeit noch mehr getan werden. Und genau dafür ist die Welt-Aids-Konferenz natürlich auch da: um aufzuklären und etwas in Bewegung zu setzen.
„Die meisten sind der Meinung, dass sie nicht betroffen sind“
Du warst als Vertreterin der jungen Generation bei der Konferenz. Wie aufgeklärt sind denn junge Menschen heute über HIV und Aids?
Hierzulande ist die junge Generation schon sehr aufgeklärt. Viele wissen um die Gefahren von Aids und HIV und wie man eine Ansteckung vermeidet. Trotzdem spielt das Thema im Leben der jungen Menschen oft keine große Rolle. Die meisten sind der Meinung, dass sie nicht betroffen sind. Aber wissen sie das wirklich sicher? Oder gibt es vielleicht doch Betroffene, die sich jedoch nicht trauen, das offen zu sagen – aus Angst vor Stigmatisierung?
Die Stigmatisierung von Infizierten ist in den meisten Gesellschaften ein großes Thema. Du warst im Jahr 2010 in Tansania und hast dort über HIV und Aids aufgeklärt. Wie bist du dabei vorgegangen und warum ist es gerade dort so wichtig?
Ich habe meinen Freiwilligendienst in einem Straßenkinderzentrum gemacht. Dort habe ich viel mit den Kindern gesprochen und festgestellt, dass so ziemlich jeder von ihnen auf irgendeine Art und Weise von HIV oder Aids betroffen ist. Sei es, dass er selbst infiziert ist, erkrankte Freunde hat oder Familienmitglieder gestorben sind, weil sie keinen Zugang zu Behandlung hatten.
In Tansania war im Jahr 2010 die Infektionsrate mit sieben Prozent noch verhältnismäßig gering, in Swasiland lag sie damals bei 26 Prozent. Das ist einfach schrecklich. Gleichzeitig sind offene Gespräche über Sexualität und daher auch Verhütung und die Krankheit ein schwieriges Thema in diesen Ländern. Und genau da habe ich angesetzt: Wir haben in Workshops über die Ansteckung bei der Geburt bis hin zu Verhütungsmethoden und Übertragungswegen des Virus gesprochen. Es sollte keine Frage ungeklärt bleiben.
„Es muss mehr investiert werden, damit die ländereigenen Gesundheitssysteme gestärkt werden können“
Was muss noch getan werden, um die Zahl der Neuinfektionen einzudämmen?
Aufklärung ist nach wie vor wichtig und notwendig. Allein im vergangenen Jahr haben sich 1,8 Millionen Menschen neu infiziert, davon 180.000 Kinder. Und jedes infizierte Kind ist eines zu viel, denn die Ansteckung hätte vermieden werden können. Deshalb wünsche ich mir von der internationalen Gemeinschaft und auch von der deutschen Politik, dass sie durch ihre Handlungen ein starkes Zeichen im Kampf gegen Aids und HIV setzen. Dass mehr getan wird, für Bildung, Aufklärung, Forschung und die medizinische Versorgung der Betroffenen. Es muss mehr investiert werden, damit die ländereigenen Gesundheitssysteme gestärkt werden können.
Von der Bevölkerung wünsche ich mir eine Sensibilisierung für das Thema und eine solidarische gemeinschaftliche Haltung. Wir müssen einen Raum schaffen, in dem alle Menschen, auch die bereits betroffenen, miteinander leben können. Einen Raum, in dem niemand Sorge haben muss, dass er „der Mensch mit HIV“ ist. Und dazu bedarf es mehr Integration und mehr Bildung, gerade bei den Nicht-Betroffenen. Denn wenn wir das Problem verleugnen und nicht mehr darüber nachdenken, dann wird es erst recht zu einem großen Problem.