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Warum so viele Menschen Pickelausdrücken gut finden
Auf der Liste der ekligen Internetphänomene stehen die Videos der amerikanischen Dermatologin Dr. Sandra Lee, aka Dr. Pimple Popper, ziemlich weit oben. In den Videos drückt sie ihren Patienten Pickel aus, reinigt verstopfte Poren und entfernt Zysten, die so groß sind, wie der Kopf eines Kleinkindes – mit unglaublichem Erfolg: Ihrem Youtube-Kanal (Vorsicht: Wer auf diesen Link kickt, sollte starke Nerven haben) folgen 2,8 Millionen Menschen, ihre Videos werden bis zu 40 Millionen Mal angesehen. Die Frage ist: Warum geht eigentlich so eine Faszination von Videos aus, bei denen man sich abwenden, schütteln und sich die Augen waschen möchte? Valerie Curtis, Professorin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, ist Anthropologin und untersucht menschliches Verhalten aus einer evolutionären Perspektive. Sie hat uns den Reiz der Pickelvideos erklärt.
jetzt: Frau Curtis, warum ekeln wir uns überhaupt?
Valerie Curtis: Ekel ist ein System in unserem Gehirn, das dafür sorgt, dass wir uns so verhalten, wie es für unsere Vorfahren am besten gewesen wäre. Wenn wir uns ekeln, schützt uns unser Gehirn vor infektiösen Krankheiten. Wenn wir verdorbenes Essen sehen oder probieren, bekommen wir das Gefühl, dass sich unser Magen umdreht und wir wollen es nicht mehr essen. Oft reagiert der Körper schon, bevor ein Gefühl von Ekel einsetzt. Ekel ist also eine instinktive Antwort auf Dinge, Orte und Personen, die möglicherweise Krankheiten übertragen.
Das Ausdrücken von Pickeln würden vermutlich sehr viele Menschen als eklig beschreiben und trotzdem macht man es. Gibt es aus evolutionärer Sicht einen Sinn im Pickelausdrücken?
Der Ekel vor Hautirritationen oder auch Parasiten, die sich unter der Haut einnisten, ist auch ein Mechanismus, um Infektionen zu vermeiden. Wenn man eine solche Stelle entdeckt, ist der erste Gedanke meist, „Ugh, ist das eklig!“ Gleichzeitig hat man den unbedingten Wunsch, die Infektion oder den Parasiten zu entfernen – also drückt man den Pickel aus. Das ist dann tatsächlich sehr befriedigend, denn es fühlt sich an, als habe man das Richtige getan.
Bedeutet das, dass der Ekel vor Pickeln wichtig und gut ist, damit man sie ausdrückt, was ja aber auch wieder eklig ist?
Im Grunde genommen schon, denn evolutionär betrachtet ist das ein Verhalten, das unseren Vorfahren das Überleben gesichert hätte. Unsere Vorfahren waren vermutlich alle sehr zimperlich und hatten ein starkes Gefühl für Ekel, sonst wären wir heute nicht hier.
Gibt es Kulturen, in denen das Pickelausdrücken nicht als eklig gilt, oder ist Ekel universell?
Wir haben in einer Studie herausgefunden, dass die Muster tatsächlich überall gleich sind. Betrachtet man die Auslöser von Ekel in den unterschiedlichen Kulturen, liegt ihr Ursprung immer in der Furcht vor infektiösen Krankheiten. Deswegen sprechen wir von der „Parasite Avoidance Theory of Disgust“. Es gibt keine Kulturen, in denen beispielsweise Erbrochenes oder Fäkalien als etwas Angenehmes angesehen werden. Das Gleiche gilt auch für andere Körperflüssigkeiten und ihren Austausch – dazu zählen auch Hautirritationen und Pickel. Aber es gibt auch Unterschiede, denn Ekel ist eine angeborene, emotionale Reaktion, die sozusagen den Rahmen vorgibt. Hinzu kommen dann erlernte kulturelle Tabus.
„Mit den Pickelvideos ist es ein bisschen wie mit Pornos“
Das bedeutet, dass Ekel nicht ausschließlich evolutionär bedingt ist, sondern auch sozial erlernt?
Ja, ein Beispiel: In Indien gelten Ratten als eklig, denn man hat gelernt, dass Ratten im Müll wühlen und Plagen verbreiten. Anders ist es beispielweise in Deutschland, wo einige Menschen Ratten als Haustiere halten. Für sie sind Ratten nicht eklig oder etwas, das man vermeiden sollte.
Zurück zu den Pickeln: Nun ist es eine Sache, sich die eigenen Pickel auszudrücken. Eine andere ist es, im Internet Menschen dabei zuzusehen. Wie erklären Sie sich den Hype um Dr. Pimple Popper?
Nun, es ist ein wenig wie mit Pornos: Sich Pornos im Internet anzusehen ist nicht das Gleiche, wie selbst Sex zu haben. Es ist eine virtuelle Realität, die dem „Selbermachen" jedoch sehr nahe kommt. Die Möglichkeiten, sich selbst Pickel auszudrücken oder Zysten zu entfernen, sind begrenzt, was ja auch gut ist, aber es sich stattdessen im Internet anzusehen ist ein bisschen so, als würde man es selbst tun – mit dem gleichen befriedigenden Effekt.
Heißt das, dass Pickelvideos einen unterdrückten Trieb befriedigen, dem wir sonst nicht nachgehen?
Zum einen das, zum anderen haben diese Videos auch einen Lerneffekt. Wenn man sich im Internet anschaut, wie Pickel ausgedrückt werden, lernt man etwas darüber, was passiert, wenn man auch so eine Stelle hat, wie man damit umgeht und was die möglichen Konsequenzen sind. Aus dem gleichen Grund sehen sich Menschen auch Horrorfilme an. Sie können virtuell Angst erleben, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Und gleichzeitig lernen sie, wie sie beispielsweise Situationen vermeiden, in denen sich jemand im Dunkeln von hinten anschleicht oder sie lernen, was sie tun können, wenn es doch passiert.
Das heißt, das Internet schafft eine Distanz, die eklige Dinge besser aushaltbar macht?
Genau, im Internet können Dinge ganz ohne Risiko erlebt werden. Bei den Pickel-Ausdrück-Videos kann man sich nicht anstecken oder sich selbst in Gefahr bringen. Natürlich empfindet man trotzdem Ekel, aber man kann diesen Ekel aus einer sicheren Position heraus erleben – das macht es so faszinierend.