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Warum Brustverkleinerungen keine Schönheitsoperationen sind
Als Nafi M.* neun Jahre alt war, fingen ihre Brüste an, zu wachsen. Eigentlich war sie noch ein Kind, aber in der Schule galt sie ab da als „reif“ – als „die mit den Brüsten“ eben. Und die blieb sie, auch als die Pubertät vorbei ging, und auch als die anderen Mädchen in ihrem Alter schon lange Busen hatten. Nafis Brüste hörten nämlich nicht auf, zu wachsen. „Mit Anfang 20 habe ich BHs in der Größe D bis E getragen“, erzählt die heute 30-Jährige am Telefon. Ihr Rücken habe damals schon geschmerzt, weil das Gewicht ihrer Brüste sie stetig nach vorne zog. Deswegen habe sie das erste Mal darüber nachgedacht, sich die Brüste verkleinern zu lassen.
Nafi ging also zum Arzt. „Der dachte zuerst, ich hätte Silikon-Implantate, weil meine Brustdrüsen so hart und groß waren“, sagt Nafi. „Das war echt unangenehm, weil er mich damit in so eine Schublade gesteckt hat.“ Als ob sie eine Schönheitsoperation rückgängig machen wolle. Aber nachdem Nafi dem Arzt erklärt hatte, dass das ihr natürlicher Busen sei, habe der nur gemeint, dass sie zu jung für die Operation wäre. Sie solle sich das doch noch einmal überlegen. Nafi fühlte sich nicht ernst genommen – „gleichzeitig habe ich mich damals schon gefragt, ob ich übertreibe“. Ein großer weiblicher Vorbau und Rückenschmerzen sind ja nicht selten. Nafi wartete also. Ihre Brüste wuchsen derweil weiter.
Fünf Jahre später trug Nafi bereits die BH-Größe G. „Die Brüste haben mir den Alltag schwerer gemacht“ –und teurer. Sie brauchte etwa BH-Sonderanfertigungen, die jeweils bis zu 100 Euro kosteten. Sie trug weite Klamotten, um nicht ständig auf ihren Busen angesprochen zu werden. Für Männer sei sie nicht nur „eine Frau, sondern eine Frau mit großen Brüsten“ gewesen, sagt Nafi. Sich nackt zu zeigen, war ihr unangenehm: „Man weiß ja nie, wie jemand da reagiert, ob das jemanden erschreckt.“ Die zweite Angst war, dass sie jemand als „Sexpuppe für eine Nacht“ benutzen könnte. Nafi ging also mit Mitte 20 ein weiteres Mal mit dem Wunsch nach einer Brustverkleinerung zum Arzt – einem anderen Arzt. Diesmal fühlte sie sich besser verstanden. Danach habe sie allerdings einen Anruf von einer Sachbearbeiterin bei der Krankenkasse bekommen: Der Antrag für Kostenübernahme wurde abgelehnt. Sie solle doch einfach etwas abnehmen, habe es geheißen. Die Sachbearbeiterin hatte Nafi nie zuvor gesehen. Nafi war nicht übergewichtig.
Kein Säugetier muss eine permanente Brust mit sich herumtragen – außer der Mensch
Menschliche Brüste sind eine Anomalie der Natur. Keine andere der mehr als 5000 Säugetier-Arten trägt seine Brüste permanent mit sich herum. Kühe, Hunde, Affen kriegen nur zeitweise in bestimmten hormonellen Phasen ihres Zyklusses und oder beim Stillen richtige volle Busen. Und es ist so: Wenn das Mensch-Sein schon so stark mit dem Vorhandensein von Brüsten verbunden ist – dann ist es das Frau-Sein noch viel mehr. Sexy sein, weiblich sein, schön geformte Brüste, das alles wird oft miteinander verbunden. Brüste sind aber vor allem nützlich, nämlich, wenn es um das Stillen des eigenen Nachwuchses geht. Gleichzeitig: An keinem Krebs sterben Frauen so oft wie an Brustkrebs. Kein Wunder also, dass Frauen ein emotional starkes und manchmal auch schwieriges Verhältnis zu diesen Gewebe-Wobbel haben, die an ihrer Vorderseite angewachsen sind. Wie groß, welche Form ist jetzt eigentlich normal in welchem Alter, was ist einfach nur unpraktisch und wo beginnt eine ernstzunehmende Einschränkung der Lebensqualität?
Nafi nahm nach dem Telefonat mit der Kassen-Sachbearbeiterin trotz ihres Normalgewichts ab. „Ich habe es denen einfach auch beweisen wollen, dass meine Brüste nichts mit meinem Gewicht zu tun haben.” Zehn Kilo habe sie in einem Jahr verloren. Dann ging sie wieder zum Arzt. Ihre BH-Größe zu dem Zeitpunkt: 75 K. Die Brüste waren zu dem Zeitpunkt so groß, dass sich Nafi nicht mehr bücken konnte, nicht selber die Schuhe binden, nicht einfach Treppen rauf oder runter steigen. Das Gewicht, das an ihrem Brustkorb hing, habe ihr den den Atem geraubt. Nachts lag sie im Bett nur auf der Seite – auf dem Bauch war der Busen im Weg, auf dem Rücken habe sie das Gefühl gehabt, davon erstickt zu werden, weil die Brüste den Brustkorb auf die Lunge drücken.
Wie Nafi geht es auch vielen anderen Frauen mit großen Brüsten. Jenci Palatty arbeitet seit mehr als zehn Jahren in der Frauenklinik des Klinikums Dortmund. Drei Brustsprechstunden bietet sie in der Woche an, und in jeder davon sei eine Frau dabei, die wegen eines übergroßen Busens die Beratung suche. „Aus rein ästhetischen Gründen kommt aber eigentlich niemand”, sagt Palatty, sondern vor allem Frauen, die Beschwerden hätten, die zur Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität führen, Schulter- und Nackenschmerzen etwa.
Die Krankenkasse wies Nafis Antrag ein zweites Mal zurück. Diesmal legte Nafi jedoch Widerspruch gegen die Einschätzung der Kasse ein. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung – eine Art Schiedsgericht – sollte ein Urteil fällen. Die Frau, die sie dort untersuchte, konnte nicht glauben, dass Nafi die OP nicht längst bewilligt bekommen hatte: „Man sieht doch, was das für eine Last für Sie ist“, habe sie gesagt, während sie ihre Brüste in den Händen gehalten hat, sagt Nafi. Sie bekam die Kostenübernahme für den Eingriff nun doch bewilligt. Die Diagnose lautete „Makromastie“: übermäßig groß gewachsene Brüste.
Fast zehn Jahre dauert es bis Nafi operiert wird
Offizielle Zahlen, wie oft Kosten für Brustverkleinerungen von den Kassen übernommen werden, gibt es keine. Generell liegen die Kosten dafür je nach Krankenhaus zwischen 6000 und 10 000 Euro. Das es sich nicht leicht nachvollziehen lässt, wie viele solcher OPs vorgenommen werden, liegt unter anderem auch an dem komplizierten Abrechnungssystem von Krankenhäusern und -kassen. Im Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) findet man zumindest die Zahlen für Patientinnen, die aufgrund einer „angeborenen Fehlbildung“ oder einer „Hypertrophie“ der Brust – eine vom normalen Wachstum unabhängige Größenzunahme – vollstationär im Krankenhaus waren.
Das sind die Diagnosen, die am häufigsten zu einer Brustverkleinerung führen. Zwischen den Jahren 2000 und 2017 waren jährlich im Schnitt 3300 Personen wegen einer angeborenen Fehlbildung im Krankenhaus, und 6000 wegen einer Hypertrophie. Wie viele Anträge abgelehnt werden, weiß man nicht. Und dann gibt es noch die Dunkelziffer der Frauen, die zwar unter ihren großen Brüsten leiden, sich damit aber gar nicht erst zum Arzt trauen.
2019 war es für Nafi fast zehn Jahre nach ihrem ersten Arztbesuch dann endlich soweit: Sechs Stunden lang lag sie auf dem Operationstisch. Rechts wurden ihr 653 Gramm abgenommen, links sogar 753 Gramm. Nafis neue BH-Größe war 75 C. Zwei Monate lang hatte sie danach heftige Schmerzen. Das ist normal, der sogenannte T-Schnitt ist ein großer Eingriff. Die ersten Wochen zog sie bei ihrer Mutter ein. Wegen der Nähte, die bis in die Achseln reichen, konnte sie am Anfang nicht einmal die Arme heben, brauchte Hilfe beim Duschen. „Ich war so hilflos, ich lag eigentlich die ganze Zeit wie eine Schildkröte auf dem Rücken im Bett“, sagt sie.
Ein Foto, mit dem dokumentiert wurde, wie Nafis Brüste vor der OP aussahen.
Nafis Busen nach der Operation: Die Narben zeigen, dass die OP wortwörtlich ein großer Schnitt ist: Sie verlaufen einmal quer unter der Brust von Achsel zu Achsel und zu den Brustwarzen hinauf.
Im Laufe der Zeit verblassen die Narben etwas. Das Gefühl an den Unterseiten von Nafis Brüsten kommt aber wohl nicht mehr wieder.
Oben liegt eine Sonderanfertigung von vor der OP, unten einer ihrer neuen "normalen" BHs.
Aber als das überstanden ist, kann sie sich neue, schönere und billigere BHs kaufen, neue Oberteile, jetzt ist sogar mal etwas mit Ausschnitt dabei. Sie kann Sport machen. Atmen. Die Narben sind zwar heftiger als sie dachte, aber sie verblassen zum Teil auch schon etwas. Die Rückenschmerzen dagegen sind noch da. „Ich glaube, da ist über die Jahre einfach zu viel kaputt gegangen.“ Unter den Achseln und an der Brustunterseite hat Nafi wegen der OP alles Gefühl verloren. Ist nicht so schlimm, findet sie. „Das war es wert.“
Die wenigsten Frauen können sich die Operation selbst bezahlen
Wie hoch die physische und psychische Belastung durch übermäßig großer Brüste für Frauen sein kann, ist den meisten Ärzt*innen durchaus bewusst. „Oft fangen die Frauen in der Sprechstunde erleichtert an, zu weinen“, sagt Brustspezialistin Palatty. „Auch weil sie sich oft zum ersten Mal ernst genommen fühlen mit ihren Beschwerden – sich trauen, zu erzählen und zeigen, was sie haben. Da kann eine Menge Druck abfallen.“ Viele der Frauen hätten vorher auch schon orthopädische Behandlungen und eine begleitende Physiotherapie hinter sich.
In den vergangenen Jahren hat Palatty allerdings das Gefühl, dass mehr und mehr Frauen zu ihr in die Sprechstunde kommen. Außerdem würden die Krankenkassen öfter die Kosten für die Operation übernehmen. „Lange Zeit wurde eine Brustverkleinerung als ästhetischer Eingriff bewertet und deswegen seltener von den Krankenversicherungen erstattet“ sagt Palatty. Inzwischen werde ihrer Erfahrung nach aber auch von den Versicherern besser differenziert zwischen rein kosmetischen Beschwerden und echten Krankheitswert. Die Statistik der GBE reicht nur bis 2017, inwieweit sich der Trend in den vergangenen zwei Jahren tatsächlich entwickelt hat, lässt sich hier nicht nachvollziehen.
Wie groß ist zu groß?
Ganz einfach ist es aber wohl immer noch nicht, den Antrag für eine Brustreduktion durchzubekommen. Das erzählen viele der Frauen jetzt, die sich schon einmal wegen einer Brustreduktion bei ihren Ärzt*innen informiert haben. Eine davon ist die 27-jährige Verena. Eigentlich hatte die Bremerin immer eine durchschnittliche C-Körbchengröße. Vor etwa drei Jahren ändert sich das schlagartig: Innerhalb von 18 Monaten multiplizierte sich ihr Busen mit sich selbst, einfach so. Ihre neue BH-Größe: 80 I – I wie irre.
Auch Verena litt nicht nur unter starken Rückenschmerzen, sondern hatte auch Probleme beim Atmen. Schlafen auf dem Rücken und der rechten Seite war nicht möglich, weil ihr „die linke Brust dann so sehr am Brustkorb gezogen hat, dass die Haut weh tat“. Ihr Arzt war ratlos, ein Hormonfacharzt vermutete einen Hormonschub, konnte aber nichts Auffälliges finden. Als Verena wegen einer Brustreduktion zu ihrer Gynäkologin ging, meinte die zu ihr: „Aber die sind doch schön!“ Und fügte hinzu, dass die Kasse das eh nicht übernehmen würde. „Ich habe dann den Plan gefasst, maximal dreimal einen Antrag bei der Krankenkasse einzureichen“, erzählt Verena. Wenn es dann nicht geklappt hätte, hätte sie einen Kredit aufgenommen.
Verena liebt Tanzengehen. Mit ihren Vor-Operationsbusen war das zwischenzeitlich aber nicht mehr wirklich möglich. Das Bewegen hat einfach zu weh getan, erzählt sie.
Am Ende funktionierte es jedoch schon beim zweiten Mal. Ihrer Meinung nach liegt das aber nur an einem Tipp, den sie von einer Bekannten bekommen hat: „Man muss im ärztlichen Bescheid stehen haben, dass man unter den Brüsten wundgescheuert ist. Das ist zwar zu den Rückenschmerzen unverhältnismäßig, aber das scheint das i-Tüpfelchen gewesen zu sein.“ Im Oktober 2019 wird sie operiert, rechts werden ihr 410 Gramm entfernt, links sogar 750 Gramm.
„Mehrere Körbchengrößen kann man leider nicht durch Abnehmen verlieren“
Aus dem Dachverband der Deutschen Krankenkassen heißt es hierzu, dass es zwar „grundlegende Voraussetzungen” gäbe, um eine Brustreduktion erstattet zu bekommen, allerdings „müssten diese in jedem Einzelfall überprüft werden“. Die Brust-Spezialistin Palatty erklärt, welche Faktoren ihrer Ansicht nach die Kostenübernahme für die Operation durch die Krankenkasse rechtfertigen: „dauerhaft unter der Brust wund zu sein, aber auch Schulter- und Nackenbeschwerden, Kopfschmerzen, Atembeschwerden und wenn sich Schnürfurchen von den BH-Trägern bilden”. Immer noch sehr schwer die Operation bewilligt zu bekommen, sei es allerdings für übergewichtige Frauen. Die müssten oft erst nachweisen, dass sie versuchen, auf einen gesunden Lebensstil zu achten – Essen, Sport, das ganze Programm eben.
Dabei ist das mit den großen Brüsten und dem Sport ein Dilemma: Sehr große Brüste sind oft auch sehr empfindlich, und gerade beim Laufen – oder generell, wenn die Brust heftig wippt, tut das weh. Manche Frauen behelfen sich, indem sie viele enganliegende Schichten wie BHs oder Tops anziehen, um die Brüste flach und fest an den Brustkorb zu binden. Selbst das hilft nur begrenzt. Und: Ironischerweise – das ist auch durch Studien belegt – nehmen Frauen zwar beim Zunehmen an den Brüsten zu, Abnehmen hat dagegen nur einen minimalen Einfluss auf die Brustgröße. „Mehrere Körbchengrößen kann man leider nicht durch Abnehmen verlieren“, so Palatty.
Eine Brustreduktion ist nicht immer die Lösung
Nicht für jede Frau mit großen Brüsten ist eine Brustreduktion die Lösung, die alles gut machen kann. Auch für Nafi war die Brustverkleinerung, auf die sie zehn Jahre gewartet hatte, nicht die Endhaltestelle: Ihre Brüste wachsen wohl trotz OP immer noch weiter. Eine ganze Größe, glaubt sie, hat sie in den vergangenen Monaten wieder zugelegt. Nafi überlegt sich ein zweites Mal operieren zu lassen. Ihre natürliche Brust, also die Brustdrüse, soll dann aber ganz weg.
Verena dagegen ist glücklich mit ihren neuen C-Cup-Brüsten. „Freunde haben zu mir gesagt, dass sie mich jetzt wiedererkennen. Dass ich wieder stehe und mich bewege wie früher.” Verena war sich aber auch zuvor schon sicher, dass die Entscheidung die richtige sein wird: Drei Tage vor ihrer Brustverkleinerungs-Operation veranstaltete sie ein kleines Geburtstagsfest. Es gab Kaffee, Kuchen, Bier und fruchtige Dekoration. Und es war nicht nur eine Geburtstagsfeier. Das Motto der Party lautete „Bye Melonas, hello Zitronas!“
Mit Melonen und Zitronen geschmückter Kuchen - für einen besonderen Anlass.
* Unsere Protagonistinnen möchten aufgrund der intimen Details in diesem Artikel nicht mit vollem Namen genannt werden. Die Redaktion kennt sie jedoch mit vollem Namen, und hat die Möglichkeit sie zu kontaktieren.
Dieser Text wurde am 18.5.2021 nochmals veröffentlicht.