Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Warum ist es bloß so schwierig, einen guten Frauenarzt zu finden?

Illustration: Daniela Rudolf

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Mein erstes Mal auf dem gynäkologischen Stuhl hatte ich mir immer als mega peinlich ausgemalt – mit gespreizten Beinen vor einem Fremden liegen und sich in der Vagina rumstochern lassen! Also wartete ich, bis es nicht mehr anders ging: Ich war grade 16 geworden, als meinem Freund und mir eines unserer ersten Kondome gerissen war und ich hatte schreckliche Angst, schwanger zu sein. Und weil so etwas nicht nochmal passieren sollte, wollte ich mir die Pille verschreiben lassen. 

Nicht nur, aber auch wegen unseres Verhütungsunfalls fühlte ich mich klein, dumm und unerfahren – und genau so wurde ich von der Frauenärztin auch behandelt. Warum ich denn nicht einfach einen Schwangerschaftstest zu Hause gemacht hätte? Hatte ich ja, ganze zwei Mal – aber was, wenn das Ergebnis nicht stimmte? Ob ich überhaupt wüsste, wie man Kondome richtig benutzt? Ähm, ja. Ob ich in der Lage sei, die Pille regelmäßig einzunehmen? Und so weiter. Am Ende hatte ich zwar die Gewissheit, nicht schwanger zu sein, und sogar ein Rezept für die Minipille in der Hand – war aber kurz davor, vor lauter Demütigung mitten auf der Straße loszuheulen. 

Für die meisten jungen Frauen ist der Frauenarztbesuch ein ebenso unvermeidlicher Teil des Erwachsenenlebens wie die Periode: Kann man eh nix gegen machen, also Augen zu und durch. Wann allerdings das erste Mal ansteht, ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Hat man nämlich keine Beschwerden wie komischen Ausfluss, Jucken, Brennen, Schmerzen beim Sex, heftige Krämpfe bei der Periode oder unerklärliche Zyklusschwankungen und will auch nicht hormonell verhüten, dann muss man da erstmal auch nicht hin. Nimmt man die Pille, sollte man sich dort zwei Mal im Jahr sehen lassen, um auszuchecken, wie es so läuft mit den Risiken und (Neben-)Wirkungen. Für alle anderen gilt: Ab 20 ist ein Mal im Jahr ist ein absolutes Muss. Die Brust kann man sich dank Youtube auch selbst auf Knoten abtasten, aber für den sogenannten PAP-Test muss ein Gynäkologe her. Diese jährliche Vorsorgeuntersuchung steht in Deutschland allen Frauen ab zwanzig Jahren kostenlos zu – und ist sehr wichtig. Jedenfalls, wenn man keine Lust hat, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken. Dabei wird ein Abstrich vom Gebärmutterhals genommen und im Labor auf Zellveränderungen untersucht. 

Viele Frauen gehen vermutlich lieber zum Zahnarzt als zu ihrem Gynäkologen

In den allermeisten Fällen sind es nämlich einzelne Typen des humanen Papillomvirus (HPV), die für Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sind, und die allermeisten sexuell aktiven Frauen werden im Laufe ihres Lebens mit einem oder mehreren dieser Typen infiziert. Die dänischen Ärztinnen Nina Brochmann und Ellen Støkke-Dahl schreiben dazu in „Viva la Vagina! Alles über das weibliche Geschlecht“: „Mehr als 80 Prozent bekommen das Virus vor dem fünfzigsten Lebensjahr. Damit gilt HPV als die am weitesten verbreitete Geschlechtskrankheit, und fast die Hälfte aller Frauen zwischen 20 und 24 Jahren läuft durchgehend mit einer Infektion herum.“ Das Fatale dabei: Meist bleibt so eine Infektion symptomlos und damit unbemerkt. Sehr häufig schlägt das Immunsystem den Erreger von selbst nieder, manchmal aber auch nicht. Dann fangen die Gebärmutterhalszellen spätestens nach zehn bis 15 Jahren an, sich in Richtung Krebs zu verändern – und je früher man das erkennt, desto früher kann gehandelt werden. 

Und darum läuft man dann eben mit entblößtem Unterkörper durchs Behandlungszimmer, lässt sich von wildfremden Leuten diesen zangenartigen Spreizer namens Spekulum einführen, in die Vagina gucken und die Brüste abtasten. Schön ist das alles nicht, und vermutlich ist es nicht mal besonders kühn zu behaupten, dass viele Frauen lieber zum Zahnarzt gehen als zu ihrem Gynäkologen. Mir persönlich sind sogar einige bekannt, die selbst dann darauf verzichten, wenn sie schwanger sind. Hebammen sind in den allermeisten Fällen nämlich nicht nur viel netter als Ärzte – bis auf Ultraschall können sie medizinisch im Grunde auch alles abdecken, was ein Arzt in der Schwangerschaft leisten kann. Auch ich quälte mich in den ersten Jahren meiner sexuellen Aktivität nur in die Praxis, wenn es absolut nicht anders ging.

Trotzdem hatte ich eine fixe Idee: Irgendwo musste es sie doch geben, die perfekte Frauenärztin. Eine, die freundlich wäre. Eine, die mich ernst nehmen würde. Eine, vor der ich mich weder für Verhütungsunfälle noch für unerklärliche Ausflüsse schämen müsste.

Und tatsächlich: Nach Jahren des Gynäkologinnen-Hoppings fand ich sie endlich. Beziehungsweise: Ich fand ihn. Hatte ich mir früher immer bewusst Ärztinnen ausgesucht oder empfehlen lassen, weil mir Männer, die sich das weibliche Geschlecht zum Beruf gemacht hatten, per se suspekt waren, hatte ich dieses eine Mal meine Regel gebrochen. Ich war gerade neu in der Stadt, zwischen meinen Beinen tobte ein Pilz und alle Ärztinnen im Umkreis von mehreren Kilometern weigerten sich, weitere Patientinnen aufzunehmen. Ich war offensichtlich nicht die Einzige, die sich lieber von einer Frau als von einem Mann an ihren intimsten Stellen rumfummeln lassen wollte. In meiner Verzweiflung wählte ich irgendwann die Nummer eines völlig beliebigen Mannes namens Dr. H. – und zu meiner größten Überraschung war es Liebe auf den ersten Blick.

Mir Dr. H. war es Liebe auf den ersten Blick

Dr. H. erfüllte alle oben genannten Kriterien und sogar noch einige mehr: Die Anamnese- und Diagnosegespräche waren so tiefsinnig wie ein Besuch beim Psychologen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängerinnen, die das kalte, scharfkantige Spekulum so gern ruckartig in meine Vagina schoben, führte er es angewärmt und beinahe zärtlich in mich ein. Und kam ich mal nicht ganz so pünktlich und abgehetzt zu einem Termin, reichte mir seine lächelnde Sprechstundenhilfe zum Runterkommen erstmal ein Glas Wasser. Bei der Untersuchung war sie übrigens stets anwesend, sodass keine Patientin untenrum entblößt und allein mit einem fremden Mann sein musste. Das wird männlichen Gynäkologen seit einer Reihe von Übergriffsvorwürfen und -enthüllungen in den Neunzigerjahren empfohlen, aber ist noch lange nicht die Regel.

Inzwischen wohne ich in einer anderen Stadt und gehe wieder zu einer Frau. Der Zufall wollte es so, vielleicht auch die Bequemlichkeit. Schließlich gibt es inzwischen viel mehr Frauen als Männer in diesem Beruf. Im Jahr 2012 meldete das Deutsche Ärzteblatt einen Anstieg des Frauenanteils bei der Facharztprüfung für Gynäkologie auf 80 Prozent. Auch wenn meine neue Ärztin es lange nicht mit Dr. H. aufnehmen kann, ist sie okay für mich. Denn inzwischen weiß ich sehr gut, was ich will, und Scham spielt kaum noch eine Rolle für mich. Aber für all die jungen Frauen dort draußen wünsche ich mir mehr Ärzte und Ärztinnen, die freundlich sind. Die ihre Patientinnen ernst nehmen. Und bei denen man sich für nichts, aber auch gar nichts schämen muss.

Mehr Untenrum-Kolumnen:

  • teilen
  • schließen