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Was, wenn Influencer*innen der Fame zu viel wird?

Franziska Koletzki-Lauters Praxis hat kein Wartezimmer – damit kein Internetstar von der Behandlung des anderen weiß.
Foto: Gilad Ben Nachum

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Im Netz berühmt werden – das klingt offenbar so verlockend, dass nicht nur immer mehr Jugendliche Youtuber*innen zu ihren größten Idolen zählen, sondern auch viele selbst Youtube-Star werden wollen. Aber was macht diese Internet-Berühmtheit mit einem? Was passiert, wenn plötzlich alles nicht mehr so gut läuft? Die Psychotherapeutin Franziska Koletzki-Lauter behandelt junge Menschen, denen der Fame zu viel geworden ist. 

jetzt: Viele Menschen wollen möglichst viele Likes. Ab wann wird es ungesund?

Franziska Koletzki-Lauter:Es wird zu viel, wenn der Erwartungsdruck oder die Idealisierung, die mit der Berühmtheit einhergehen, psychologisch belastend werden. Insbesondere dann, wenn die Realität dem Bild, das nach außen gesendet wird, hinterherhängt. Weil man beispielsweise seinen Körper auf Bildern so bearbeitet hat, dass er gar nicht mehr so aussieht wie der eigenen Körper. Oder es wird zu viel, wenn die Stimmung kippt, also wenn aus einer sehr großen, anonymen Öffentlichkeit viel negatives Feedback kommt.

Inwiefern ist der Internet-Fame anders als die MTV- oder Bravo-Berühmtheit in früheren Jahrzehnten?

Alles ist sehr viel schneller geworden, denn das Internet lebt von Tag zu Tag. Früher haben die Karrieren von Musikern von Album zu Album oder von Tour zu Tour funktioniert. Heute gibt es Posts und Instagram-Stories, alles ist immer live und dreht sich weniger um künstlerische Inhalte, sondern darum, wo man ist und was man gerade tut. Permanent muss neuer Content produziert werden, sonst benachteiligen einen die Algorithmen – das kann wahnsinnig anstrengend sein. 

„Das Internet hat Berühmtheit demokratisiert“

Was bedeutet das für die Beziehung der Internet-Berühmtheiten zu ihren Fans? 

Internet-Stars sind heute sehr viel nahbarer: Man sieht, was sie gerade machen, was sie essen oder wen sie treffen. Wir sind wirklich bei Andy Warhol angekommen, jeder kann seine 15 Minuten Fame haben, indem er sich Likes oder Follower kauft. Man könnte sagen, das Internet hat Berühmtheit demokratisiert. 

In Ihrer Praxis behandeln Sie Menschen, für die diese Berühmtheit zu einer Belastung geworden ist. Wie äußert sich das?

Die Menschen sind von dem Ruhm abhängig geworden. Alles, was offline passiert, zählt für sie nicht mehr und wird ohne die Bestätigung von außen nicht mehr wertgeschätzt. Körperlich äußert sich das meistens durch klassische Stresssymptome: Schlafstörungen, Muskelverspannungen, Magenprobleme, oder generell eine ungesunde Lebensweise. Nicht selten geht es dabei auch um Alkohol- und Drogenkonsum.

Manchmal kommen die Menschen auch nicht selbst zu mir, sondern ihre Angehörigen. Eine Daumenregel ist: Wenn die Karriere gut läuft kommt eher das Umfeld, weil es leidet. Wenn die Karriere schlecht läuft, kommen die Leute, die selbst in der Öffentlichkeit stehen. 

„Für die Psyche sind die Menschen, die real sind, viel wichtiger“

Sie dürfen natürlich keine Namen nennen, aber von welcher Größenordnung an Internet-Berühmtheiten sprechen wir?

Das ist je nach Kanal oder Plattform sehr unterschiedlich, aber ein Beispiel wäre jemand mit 800 000 Followern auf Instagram – deswegen ist Anonymität und Privatsphäre auch so wichtig. Meine Praxis hat kein Wartezimmer und zwischen den Terminen gibt es immer eine halbe Stunde Pause, damit sich niemand begegnet, der zu früh kommt oder zu spät geht. 

Wie sieht Ihre Arbeit mit den Berühmtheiten aus?

Als Psychologin arbeite ich daran, einen Mechanismus zu entwickeln, mit dem die Leute den Vorhang runterlassen können, um Abstand zu schaffen. Diese breite, anonyme Masse im Netz ist nämlich manchmal so laut – sowohl mit Applaus, als auch mit Hate –, dass sie einen viel zu großen Stellenwert im echten Leben einnimmt. Für die Psyche und für ein gutes Leben sind aber die Menschen, die real sind, viel wichtiger. Diese Balance geht oft verloren. 

Was raten Sie jungen Menschen, wie sie am besten mit dem Druck der sozialen Medien umgehen können – vielleicht auch denjenigen, die (noch) nicht berühmt sind? 

Ganz wichtig ist, das eigene Selbstbild zu reflektieren: Wer bin ich eigentlich? Was mache ich hier? Finde ich das gut? Das sollte man sich immer wieder fragen. Das Zweite ist, sich zu überlegen, wie man das Offline-Leben wieder bereichern kann. Das bedeutet: Geschwindigkeit rausnehmen, sich Freizeit einrichten, nicht mehr so oft online sein – und diese Offlinezeiten auch wieder genießen.

(Dieser Text ist in inhaltlicher Zusammenarbeit mit Die Frage entstanden, einem Format von funk.)

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