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„Ich brauchte einfach schnellstmöglich Hilfe“

Foto: Rick Bowmer, AP; Bearbeitung: jetzt

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An einem Tag im Frühjahr steht Chrissi* vor der Mensa und weint. Ihre Freundin versucht sie zu trösten. Doch Chrissi weiß nicht mal selbst, was mit ihr los ist. „Es war nichts Spezielles vorgefallen, der Heulanfall kam aus dem Nichts. Ich konnte nicht aufhören“, sagt Chrissi, 25, Studentin in Berlin.

Für Chrissi war jener Zusammenbruch im März 2017 ein Warnschuss – „ein Zeichen, „dass ich überfordert bin und allein nicht mehr mit meinen Problemen klarkomme.“ Sie verspürt Druck, Verzweiflung, Angst – Angst, zu scheitern, den Anforderungen der Uni nicht gerecht zu werden. Von einer Freundin erfährt sie daraufhin vom Psychosozialen Dienst des Studierendenwerks Berlin. Es ist eine von 44 Beratungsstellen des Studierendenwerks in ganz Deutschland, an die sich jede*r Studierende*r wenden kann, der*die merkt: Er*Sie braucht therapeutische Unterstützung. Chrissi ruft an und macht einen Ersttermin aus.

„Ich brauchte einfach schnellstmöglich Hilfe“

 

Auch Dina*, 27, nimmt das Angebot des Studierendenwerks in Anspruch. Als sie sechs Jahre alt ist, verliert sie ihre Mutter. Als ihr Opa im Frühjahr 2016 stirbt, fällt sie in ein ähnlich tiefes Loch wie damals bei ihrer Mama: Sie kommt kaum aus dem Bett, schämt sich für ihre dunklen Gedanken. Sie weiß: Sie braucht wieder Hilfe. Im Gegensatz zu Chrissi kennt sie ihre Symptome schon: Motivationslosigkeit, negative Gedanken, Zweifel. Bevor sie sich an das Studierendenwerk wendet, hatte sie schon drei Therapien in ihrer Heimat in Österreich hinter sich. Alle Therapeut*innen bekam sie damals über persönliche Kontakte – musste also nie Listen mit Nummern durchtelefonieren, um einen Ersttermin zu ergattern. „Eine Therapeutin in Berlin zu finden kam mir vor wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Dieser Suche fühlte ich mich in meinem Zustand einfach nicht gewachsen. Ich brauchte einfach schnellstmöglich Hilfe.“

Im Internet findet Dina eine Trauergruppe, ein Angebot des Studierendenwerks, bei der eine begrenzte Zahl an Studierenden sich an acht Terminen über ihre Trauer austauschen kann. Beim Studierendenwerk erreicht sie schnell jemanden, macht einen Termin aus und meldet sich bei der Trauergruppe an.

Ziel der Sitzungen im Studierendenwerk ist es, Erste Hilfe zu leisten

Die Wartezeit der Beratungsstellen in den Studierendenwerken liegt in der Regel bei drei Wochen. „Im Ersttermin geht es erst einmal darum, dass der oder die Studentin aufgefangen wird. In der Regel stecken Klient und Therapeut zuerst das Problem ab, dann wird die lebensgeschichtliche Erfahrung und das soziale Umfeld des Studenten abgeklopft“, sagt Evangelos Evangelou, Leiter der Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks München, „und obwohl wir keine Krisensprechstunde sind, wird in manchen Gesprächen deutlich, dass es sich um akute Krisen handelt, so dass wir dementsprechend reagieren müssen.“ Das Ziel der Sitzungen im Studierendenwerk ist es, Erste Hilfe zu leisten und dann gemeinsam zu entscheiden, welche zukünftigen Schritte nötig sind. Eine Langzeittherapie kann sie also nicht ersetzen – aber einleiten.

„Das Angebot findet Zuspruch“, sagt Evangelou. Immer mehr Studierende suchen die Beratungsstellen auf: Im Jahr 2017 sind es 108 800 Studierende, 2006 waren es lediglich 66 000. „Wir versuchen die Hürden für Studierende zu verringern. In München bieten wir deshalb eine mobile Beratung an, mit der man sich an neutralen Orten, wie etwa im Café oder Imbiss zum Gespräch treffen kann.“ Weswegen Studierende Hilfe suchen, ist sehr unterschiedlich. „Unsere Beratungsstelle ist eine erste Anlaufstelle für Studierende, egal ob es sich um studienbezogene Probleme wie Prüfungsangst und Konzentrationsschwierigkeiten handelt oder nicht“, sagt Evangelou. Auch Depressionen, Angststörungen oder Suizidalität seien Themen, bei den die Beratung helfen kann.

Jede*r Sechste ist von Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken betroffen

Der Bedarf ist auf jeden Fall da. Chrissi und Dina sind lange keine Einzelfälle mehr. Der Barmer-Ärztereport 2018 ermittelte ebenfalls, dass Studierende immer häufiger von psychischen Diagnosen wie Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken betroffen sind: inzwischen ist es jede*r Sechste. Ursachen dafür gibt es viele: „Ein Grund ist die Entstigmatisierung psychischer Krankheiten“, vermutet Evangelou, „junge Menschen sind einfach besser informiert als früher. Ob jemand mit den Anforderungen und dem Druck an der Uni zurechtkommt, ist individuell und hängt von vielen Umständen ab: Hat derjenige ein stabiles soziales Umfeld? Familiäre Unterstützung?“ Es gibt also viele Faktoren.

Dina konnte in der Trauergruppe ihr Trauererleben in einem geschützten Rahmen teilen. Sie erfuhr dadurch, dass sie nicht alleine mit ihrem Leidensdruck ist. Zusätzlich ging sie zu zehn Beratungsstunden im Studierendenwerk. 

„Das Angebot hat mich in einer echt schwierigen Lage gerettet“

In den drei Einzelgesprächen, die Chrissi im Studierendenwerk Berlin in Anspruch nimmt, lernt sie vor allem eines: Dass sie sich keine Vorwürfe für ihren Zustand machen muss. Dass man sich um sich kümmern muss, so wie man es auch bei einer Grippe tun würde. „Besonders wichtig war es für mich zu merken, dass da jemand Professionelles mir bestätigte, dass ich mich um mich kümmern darf und muss.“ Chrissi lernt, so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich Energie zum Beispiel in eine Hausarbeit zu stecken. „Das Ergebnis war trotzdem gut und zufriedenstellend“, sagt sie.

Rückblickend hat die Beratungsstelle des Studierendenwerks sowohl Chrissi, als auch Dina sehr geholfen. „Das Angebot hat mich in einer echt schwierigen Lage gerettet“, sagt Dina, „ich kann es nur weiterempfehlen.“ Auch Chrissi denkt, dass es eine gute Anlaufstelle ist, um die erste Hemmschwelle zu überwinden. „Der gewohnte, universitäre Rahmen macht es bestimmt vielen Menschen einfacher“, sagt sie.

*Die Namen sind unserer Redaktion bekannt, wurden aber auf Wunsch der Protagonistinnen geändert.

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