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#moralischverletzt: Pflegekräfte teilen auf Twitter ihre Erfahrungen
Menschen liegen über Stunden in ihren eigenen Ausscheidungen. Sie sterben alleine, weil das Pflegepersonal so unterbesetzt ist, dass es sich nicht um alle kümmern kann. Das sind nur einige Momente von vielen, die Pflegekräfte nun auf Twitter unter dem Hashtag #moralischverletzt teilen. Sie möchten damit genau auf jene moralischen Verletzungen aufmerksam machen, die sie fast täglich in ihrem Beruf erleben und die sie psychisch belasten. Menschen erleiden solche sogenannten moralischen Verletzungen, wenn sie entgegen ihrer eigenen Wertvorstellungen oder Ideale handeln müssen – wozu es in der Pflege durch Personal- und Zeitmangel nicht nur laut den Berichten der Twitter-User*innen häufig kommt.
Eine Fachkrankenschwester für Anästhesie, die sich auf Twitter „Vollzeit_Tante“ nennt, erzählt von einer Patientin, die seit fast 100 Tagen auf der Intensivstation liegt und der das Bein amputiert wurde. Sie schreie vor Schmerzen, doch die Ärzte seien ratlos und machten keine Visite mehr, während sie als Pflegekraft hilflos zusehen müsse:
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Solche Verletzungen der eigenen Wertvorstellungen erleben Pflegekräfte zum Teil schon in der Ausbildung. Die Userin „KomplizinB“, Krankenpflegerin im psychologischen Bereich, berichtet in einem Tweet von ihrer ersten Sterbenden in ihrer Ausbildung:
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„Das ist eine würdelose Szenerie“
Ins Leben gerufen hat den Hashtag die Medizinjournalistin Silke Jäger, die das Problem in einem Artikel bei Krautreporter analysiert hat. Neben geringen Löhnen und Überlastung durch den Mangel an Fachkräften sind diese moralischen Verletzungen aus ihrer Sicht der wahre Grund dafür, dass immer mehr Pflegekräfte aufgeben. Als Ursache für das Problem nennt sie das Gesundheitssystem, das auf Profit ausgelegt sei. Laut einer Umfrage, die der Deutsche Bundesverband für Pflegeberufe im Dezember 2020 durchgeführt hat, überlegen mehr als 30 Prozent der Befragten, aus dem Beruf auszusteigen.
Der Twitter-User „Tobbelwobbel“ ist Intensivpfleger auf einer Covidstation. Während sich die Pflegekräfte um zwei Notfälle kümmern mussten, schreibt er, sei ein Covid-Patient alleine in seinem Zimmer gestorben. Erst nach einer Stunde seien die Pflegekräfte dazu gekommen, die Maschinen abzustellen. „Das ist eine würdelose Szenerie“, erzählt er im Gespräch mit jetzt. Er möchte anonym bleiben. Auch für die Aufbereitung des Toten sei keine Zeit geblieben: „Wir haben bloß schnell die Schläuche gezogen und mit dem Schwamm drüber geschrubbt und ihn dann in die Leichenhalle gefahren, weil wir den Platz freiräumen mussten.“ Es mangele vor allem an Personal, um den Patient*innen gerecht zu werden.
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„Ich alleine kann aktiv am System nichts ändern“
„Es kommt täglich zu Situationen, bei denen man sagt: Das hätten wir anders regeln können und müssen, wenn wir die politischen Voraussetzungen im Gesundheitswesen hätten“, erzählt die Gesundheits- und Krankenpflegerin „heaven_nurse“ im Gespräch. Auch sie möchte namentlich nicht genannt werden. Auf Twitter berichtet sie, sie habe nur mit einer Praktikantin zusammen 34 Bewohner*innen betreuen müssen. Während dieser Schicht sei ein Bewohner am Tisch im Gemeinschaftsraum verstorben und es sei ihnen erst nach einer Stunde aufgefallen.
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Dem Psychiater Neil Greenberg zufolge können solche Erlebnisse und moralischen Dilemmata auch zu psychischen Problemen führen, da die Menschen ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht würden, sich Vorwürfe machten oder dafür schämten, dass sie nicht korrekt gehandelt hätten.
Von den Schuldgefühlen, die solche Situationen oft auslösen, müsse man sich lösen, sonst mache einen der Beruf kaputt, sagt die Pflegerin „heaven_nurse“. „Ich alleine kann aktiv am System nichts ändern. Ich kann nur versuchen, meine Dienste bestmöglich zu erledigen.“ Sie habe zeitweise überlegt, mit dem Beruf aufzuhören, bevor sie in die Zeitarbeit kam. Jetzt hat sie die Möglichkeit, sich für bestimmte Kliniken und Heime nicht einsetzen zu lassen, weil sie deren Praktiken nicht unterstützen möchte. Auch die Bevölkerung muss sich aus ihrer Sicht bewusst machen, dass jede*r irgendwann mal auf die Pflege angewiesen ist, und die Pflegekräfte entsprechend unterstützen.
„Entweder stumpft man ab oder man geht oder man wird selber krank“
Unterstützung meine dabei nicht Danke zu sagen, denn das sei nur eine hohle Phrase, sagt die Userin „wasdnedsagsd“ im Interview, deren Name ebenfalls anonym bleiben soll. Seit zehn Jahren arbeitet sie als Gesundheits- und Krankenpflegerin in der neurologischen Reha. Auf Twitter schreibt sie, es schade Pflegekräften eher, wenn sie zu Held*innen erklärt werden: „Helden haben still zu sein und Übermenschliches leisten zu wollen bis zum letzten Atemzug. Wir wollen aber menschenwürdig arbeiten können!“
„Man geht dann nach Hause und ist mit sich selbst und allem unzufrieden. Das macht einen kaputt“, erzählt sie im Gespräch. Sie überlege seit Jahren aufzuhören und warte auf die passende Gelegenheit. Dabei mache sie ihren Job eigentlich gern, aber nicht unter diesen Bedingungen. „Entweder stumpft man ab oder man geht oder man wird selber krank. Das System macht krank. Es brennt einen aus.“ Sie hoffe, dass Aktionen wie #moralischverletzt die Bevölkerung dazu bringt, Druck zu machen, denn die Pflegekräfte selber könnten nicht streiken. „Wenn wir streiken, sterben Menschen. Und die Menschen sterben jetzt schon, weil wir zu wenig sind.“
In ihren Forderungen sind sich die Pflegekräfte einig: mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen, damit der Beruf wieder attraktiver wird. Die Pfleger*innen im Interview wünschen sich vor allem mehr Zeit, um den Patient*innen eine angemessene Pflege bieten zu können. So, wie sie es in der Theorie gelernt haben und wie es ihrem moralischen Empfinden entspricht.
lko