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Ist die Pille wirklich gefährlich?
Das Smartphone klingelt. Wie jeden Tag um diese Uhrzeit. Eine Routine, wie viele von uns sie seit ihren Teenagertagen kennen. Ein kleine Pille, die Regelschmerzen erträglich, unsere Haut schöner machen und vor allem vor einer ungewollten Schwangerschaft schützen soll. Ein äußerst praktisches Wundermittel also. Wären da nicht die Nebenwirkungen, die in den vergangenen Jahren durch Medien und Influencer in den Vordergrund gerückt sind. Gerade erst wurde außerdem bekannt, dass auf den Beipackzetteln in Zukunft vor möglichen Folgen wie Depression und Suizidgedanken gewarnt werden soll. Auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) werde ein neuer entsprechender Warnhinweis aufgenommen, teilten das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) und mehrere Pharmafirmen am Montag in einem vor allem an Ärzte und Apotheker gerichteten Schreiben mit.
Und dann sind da noch die Frauen aus unserem Bekanntenkreis, die von heute auf morgen die Pille absetzen und seitdem darauf schwören, dass sie nun viel ausgeglichener und lebendiger wären.
Trotzdem nehmen weiterhin rund sieben Millionen Frauen in Deutschland die Pille. 52 Prozent der Deutschen, die in einer Beziehung sind, bevorzugen die Pille als Verhütungsmittel – womit sie der beliebteste Empfängnisschutz hierzulande ist. Doch seitdem die Pille für Lungenembolien, Todesfälle und Thrombosen verantwortlich gemacht wird, bemerken Frauenärzte immer mehr besorgte Gesichter in ihren Arztpraxen. Hat sich unsere Generation jahrelang unbewusst einer Gefahr durch die regelmäßige Hormoneneinnahme ausgesetzt? Haben wir durch das als so wundervoll angepriesene Zaubermittel womöglich eine Thrombose entwickelt, die Lust am Sex und die Fruchtbarkeit verloren? Oder ist sogar an unser Leben in Gefahr? Was ist an den Mythen rund um die Anti-Baby-Pille wirklich dran?
Um die Sorgen um die Pille, im Fachjargon auch orales Kontrazeptivum genannt, nachvollziehen zu können, muss man zuerst verstehen, was genau bei der Einnahme passiert. Das Hormon Gestagen, das in der Pille enthalten ist, verhindert nicht nur den Eisprung, sondern bewirkt auch eine Schleimpfropfbildung am Gebärmutterhals. Der Schleim wird dadurch so dick, dass die Spermien nicht mehr hindurch gelangen. Zusätzlich unterdrücken sie den Aufbau von Gebärmutterschleimhaut, wodurch sich eine Eizelle nicht mehr einnisten kann, selbst wenn es zu einer Befruchtung käme. Kontrazeptiva, die nur aus Gestagen bestehen, nennt man auch Monopille. Enthält die Pille zusätzlich das Hormon Östrogen, spricht man von einer Kombinationspille. Das Östrogen soll mögliche Zwischenblutungen verhindern und den Zyklus stabilisieren. Außerdem bringt es kosmetische Vorteile: Es verbessert das Hautbild und verringert lästigen Haarwuchs, beispielsweise um den Bauchnabel herum.
Pillen mit Östrogen gibt es noch nicht so lange, sie werden als Pillen der dritten oder vierten Generation bezeichnet. Obwohl vor allem die Pillen der ersten Generation eine viel höhere Dosierung hatten und damit häufiger zu Nebenwirkungen führten, gibt es besonders viel Kritik an diesen neueren Präparaten.
Tatsächlich kennt wohl jede junge Frau mittlerweile über Ecken jemanden, der eine Thrombose hatte – und der Pille die Schuld gibt
Das hat auch mit einer verstärkten Aufmerksamkeit der Medien zu tun. 2013 wurden in Frankreich vier Todesfälle mit dem Präparat Diane-35 in Verbindung gebracht, das hauptsächlich gegen Akne verschrieben wurde. Daraufhin nahm man das Mittel dort vom Markt – und erlaubte es ein Jahr später wieder. In Deutschland war das Mittel weiterhin erhältlich, was die Verunsicherung bei den Verbraucherinnen erhöhte. Auch die Klage zweier junger Frau gegen den Bayer-Konzern im Jahr 2015 schlug hohe Wellen. Beide waren an einer Thrombose erkrankt und gaben Bayer-Pillen die Schuld daran. In den USA musste der Konzern bereits Entschädigungen in Milliardenhöhe zahlen – jedoch ohne Schuldeingeständnis, der Verkauf der kritisierten Präparate geht also weiter.
Doch nicht nur Medien lehren uns das Fürchten vor der Pille. Tatsächlich kennt wohl jede junge Frau mittlerweile über Ecken jemanden, der eine Thrombose hatte – und der Pille die Schuld gibt. Sucht man daraufhin im Netz nach weiteren Informationen, schlägt einem immer wieder die gleiche These entgegen: „Die Pille ist schlecht für dich.“
Tatsächlich ist das erhöhte Thromboserisiko bei Einnahme der Pille eine reale Gefahr für junge Frauen. Zum Vergleich: Während jährlich zwei von 10.000 Frauen, die keine Hormone nehmen, eine Thrombose bekommen, steigt bei der Pille der zweiten Generation die Anzahl bereits auf fünf bis sieben. Bei jenen, die die dritte und vierte Generation zur Verhütung nutzen, auf neun bis zwölf Frauen von 10.000. Das Risiko steigt also um das bis zu Sechsfache. Dr. Melanie Henes, Leiterin des Kinderwunsch-Zentrums an der Universitäts-Frauenklinik Tübingen sagt dazu: „Deshalb ist es wichtig, die richtige Indikation zu wählen und die Patientinnen genau aufzuklären.“ Man müsse bestimmte Faktoren beachten, um die richtige Pille für die Patientin zu finden. Das Alter, ob die Person raucht oder ob sie starkes Übergewicht hat, spielen eine Rolle beim Thromboserisiko. „Außerdem muss auch beachtet werden, ob eine Thrombose bereits in der Familie der Betroffenen vorgekommen ist“, erklärt Henes.
Ursache für das erhöhte Thromboserisiko ist im Wesentlichen das Ethinylestradiol, ein chemisch verändertes Östrogen. Bei den sogenannten Minipillen, die nur Gestagene enthalten, ist das Thromboserisiko dagegen nicht erhöht. „Je stärker allerdings der Östrogenanteil in der Kombinationspille ist, desto höher ist auch das Risiko einer Thrombose“, sagt Prof. Christian Thaler, Leiter des Hormon- und Kinderwunschzentrums des LMU-Klinikums in München. Außerdem ist ein zusätzlicher Aspekt zu beachten: „Das Thromboserisiko ist vor allem im ersten Jahr der Einnahme am höchsten“, so Thaler.
Ein anderer Mythos, der sich hartnäckig unter jungen Frauen hält: Die Pille mache langfristig unfruchtbar
Ein weiterer Grund, warum Frauen die Pille absetzen möchten, ist, dass sie das Gefühl haben, sich durch die Hormoneinnahme zu verändern. Der Leiter der Hormonsprechstunde am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Prof. Dr. Kai Bühling, erklärt diese Entscheidung so: „Manche leiden vor der Pille besonders in der zweiten Zyklushälfte an Aggressionen, Depressionen oder sexueller Unlust.“ Diese Symptome des Prämenstruellen Syndroms (PMS) könne man durch die Anti-Baby-Pille behandeln. „Aber der Effekt kann auch andersherum eintreten“, sagt Bühling. Soll heißen: Eine Frau, die vor Einnahme des Kontrazeptivums keine Probleme mit Stimmungsschwankungen, Heißhungerattacken und Co. hatte, kann durch die Pille plötzlich unter genau solchen leiden. „Dann ist es ratsam, eine andere Pille oder gar ein anderes Verhütungsmittel zu versuchen“, empfiehlt der Hamburger Hormonexperte.
Was viele nicht wissen: Die Anti-Baby-Pille kann sogar die Wahl unseres Partners beeinflussen. Eine Studie der University of Stirling fand heraus, dass Frauen, die während der Einnahme der Pille ihren Partner kennenlernten, Männer mit weniger maskulinen Gesichtszügen wählten. Die Partner der Frauen, die während des Kennenlernens kein Kontrazeptivum nahmen, hatten dagegen wesentlich markantere Gesichter. „Ich habe auch schon von Patientinnen gehört, dass sich ihr Geruchssinn durch die Pille verändert hat“, berichtet Bühling.
Ein anderer Mythos, der sich hartnäckig unter jungen Frauen hält: Die Pille mache langfristig unfruchtbar oder erschwere zumindest den Kinderwunsch, weil man dem Körper durch die Hormoneinnahme eben jahrelang vorgegaukelt hat, bereits schwanger zu sein. Christian Thaler von der Uniklinik München weiß allerdings: „Spätestens drei Monate nach Absetzen der Pille ist die Fruchtbarkeit wieder auf dem natürlichen Niveau. Und in manchen Fällen kann die Pille die Fruchtbarkeit sogar unterstützen“. Bei einer Endometriose, also einer krankhaften Wucherung der Gebärmutterschleimhaut, die häufig den Kinderwunsch erschwert, wird die Pille beispielsweise als Therapiemaßnahme genutzt.
„Natürlich sollte man die Pille nicht wie Bonbons verteilen“
Zusammengefasst kann man also sagen: Ja, die Einnahme der Pille geht mit Risiken einher. Die Pille deshalb zu verteufeln und ohne Rücksprache mit einem Arzt abzusetzen, ist allerdings auch nicht der richtige Weg. Denn die genaue Aufklärung und Untersuchung des Einzelfalls ist wichtig, um für sich das richtige Verhütungsmitteln zu finden. „Das Problem ist, dass das Auftreten von Komplikationen nicht zwingend auf die Einnahme einer Pille zurückgeführt werden kann. Diese Komplikationen können auch ohne Pille auftreten“, so Prof. Dr. Bühling. Das Risiko würde durch die Pille allerdings erhöht werden. „Deshalb es es so wahnsinnig wichtig, im Gespräch Risikofaktoren der Patientin zu erkennen.“ Es könnten demnach auch ganz andere Ursachen hinter den Fällen in den Medien liegen. Machen wir uns also zu viele Sorgen? Dr. Melanie Henes: „Natürlich sollte man die Pille nicht wie Bonbons verteilen. Aber man sollte sie auch nicht sofort verteufeln.“ Die Ärzte seien für das Thema in den letzten Jahren sensibilisiert worden. „Man weiß, dass es diese Risiken gibt und muss mit der Patientin ausgiebig darüber sprechen“, so Henes.
Patientinnen, die sich unwohl mit der Einnahme der Pille fühlen, empfehlen die Experten ein Gespräch mit ihren Frauenärzten über mögliche Alternativen. „Es mag sein, dass für eine Influencerin oder Instagrammerin die Pille nicht das richtige Verhütungsmittel war, das muss allerdings nicht für einen selbst gelten“, sagt Christian Thaler vom Hormon- und Kinderwunschzentrums der Uniklinik München. Man könne die Pille natürlich versuchsweise ein paar Monate weglassen, wenn man sie nicht braucht, erklärt Melanie Henes: „Da dürfen Frauen auch auf sich selbst vertrauen und auf ihren Körper hören.“