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Interview mit dem Direktor von "Human Rights Watch" über Zugang zu Verhütung und Abtreibungen für Frauen
Eine Komplikation während der Schwangerschaft oder einer Geburt sind die weltweit zweithäufigste Todesursache von Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren. 800 Frauen in allen Altergruppen sterben täglich daran. 22.000 Frauen kommen jährlich vor oder nach einer Abtreibung ums Leben. Das geht aus Daten der Weltgesundheitsorganisation und aus einem Bericht der NGO „Human Rights Watch“ hervor. Er trägt den Titel: „Verhütung rettet Leben, aber ist oft außer Reichweite“.
Am Dienstag sind in London Politiker, UN-Vertreter, Stiftungen und Organisationen beim „Family Planning Summit“ zusammengekommen, um das zu ändern: Sie haben beraten, wie bis zum Jahr 2020 120 Millionen Frauen mehr weltweit Zugang zu modernen Verhütungsmethoden bekommen können. Dieses Ziel wurde bereits im Jahr 2012 beschlossen, aber wird aktuell vor allem durch einen Akteur behindert: US-Präsident Donald Trump.
Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch in Deutschland, hat uns erklärt, wo der Zugang zu Verhütungsmitteln und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen am dringendsten benötigt wird und welche Rolle die USA in der Entwicklungshilfe zur Familienplanung in den vergangenen Jahren gespielt haben und in Zukunft spielen wollen.
jetzt: Herr Michalski, hat sich die weltweite Situation in Bezug auf Familienplanung, sexuelle Aufklärung und Verhütung in den letzten Jahren verschlechtert?
Wenzel Michalski: Nein, eigentlich ist sie sogar besser geworden. Vor allem, weil Länder wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Kanada viel Geld zur Verfügung gestellt haben, ebenso die UN oder Stiftungen wie die „Gates Foundation“. Aber die weitere Verbesserung ist jetzt in Gefahr, weil die Amerikaner sie massiv sabotieren.
Sie spielen auf das Dekret von Präsident Trump an: In Zukunft werden NGOs, die Abtreibungen durchführen oder unterstützen, kein Geld mehr aus den USA bekommen.
Diese sogenannte „Global Gag Rule“ ist absolut schändlich und zu verurteilen! Die Vereinigten Staaten sind der größte Geldgeber für Gesundheitsprogramme in der Entwicklungshilfe und diese neue Regelung schlägt eine Budget-Lücke von insgesamt 8,8 Milliarden Dollar. Die USA brechen damit internationale Verpflichtungen, die sie zuvor eingegangen sind. Das ist ein ähnlicher Skandal wie der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen, aber in der Öffentlichkeit viel weniger präsent.
Woran liegt das?
Das Thema Familienplanung betrifft aus der Sicht vieler von uns vor allem Menschen, die relativ weit weg sind. Und aus Sicht jener Länder, in denen die Probleme am gravierendsten sind, betrifft es eben „nur Frauen“, denn sie sind dort gesellschaftlich weniger wert. Dabei sterben täglich viele von ihnen, weil sie nicht abtreiben dürfen, weil sie keinen Zugang zu Verhütung haben, durch mangelnde Hygiene, mangelnde Aufklärung, mangelnde medizinische Versorgung.
Wo ist die Situation am gravierendsten?
Zum einen dort, wo Kinderehen weit verbreitet sind, zum anderen in Kriegs- und Krisenregionen. Kinderehen sind eng verbunden mit viel zu frühen Schwangerschaften, die die Mädchen nicht überstehen, oder die Mütter geraten, wenn sie die Kinder bekommen, in einen Teufelskreis der Armut. Kürzlich hatten wir eine Veröffentlichung zur Situation in Tansania, wo Mädchen von der Schule fliegen, wenn sie schwanger sind. Ähnlich schlimm ist die Situation zum Beispiel in Somalia, dem Sudan, Bangladesch oder Jemen.
„Vergewaltigung wird als Kriegswaffe und Mittel zur 'ethnischen Säuberung' eingesetzt“
Aber das Problem wäre ja nicht gelöst, wenn man dort Verhütungsmittel an Mädchen verteilt, oder? Die Ehemänner wollen ja, dass Kinder aus den Ehen hervorgehen.
Auf die Vernunft der Männerwelt kann man da nicht hoffen, das muss natürlich einhergehen mit Aufklärung und mit Maßnahmen zur Verhinderung von Kinderehen. Die Staaten sind aufgefordert, entsprechende Gesetze zu erarbeiten, die die Ehe erst ab 18 erlauben. Religionsgemeinschaften müssen ebenfalls mitwirken, indem muslimische Religionsführer Fatwas erlassen, die Kinderehen verbieten, und die katholische Kirche und evangelikale Gruppen aufhören, Verhütung zu verteufeln oder Abtreibungen zu verhindern. Und es muss eine flächendeckende Beratung geben, zu der alle Frauen Zugang haben.
Sie haben eben die Situation von Frauen in Kriegs- und Krisenregionen angesprochen. Wieso ist freier Zugang zu Verhütung dort so wichtig?
Da geht es um ein sehr unterbelichtetes Thema, das gerade durch den Fall der Jesidinnen etwas bekannter geworden ist: Vergewaltigung als Kriegswaffe und Mittel zur „ethnischen Säuberung“. In der Demokratischen Republik Kongo oder in der Zentralafrikanischen Republik zum Beispiel werden von Soldaten oder Rebellen Dörfer überfallen und Frauen gezielt vergewaltigt, um sie zu schwängern und dadurch ihren Stamm zu „verunreinigen“. Zudem werden Frauen, die vergewaltigt und geschwängert wurden, dafür oft sozial geächtet oder bestraft. Als Entwicklungshelfer kann ich zwar nicht verhindern, dass eine Gruppe die andere überfällt – aber ich kann den Frauen zumindest die Pille danach verabreichen oder Abtreibungsmöglichkeiten anbieten. Die Frauen brauchen unbedingt den Zugang dazu!
Was muss jetzt, da durch den Rückzug der USA so viel Geld fehlt, passieren, um die Situation zu verbessern?
Wir fordern die großen Geberländer dazu auf, das finanzielle Loch gemeinsam zu stopfen. Es gibt bereits eine Initiative, geleitet von den Dänen und den Niederländern, die das zum Ziel hat. Deutschland wollte diesbezüglich erst mal den G-20-Gipfel abwarten, wohl, um dort noch mal mit Trump zu sprechen. Aber wir haben keine Informationen darüber, dass er sein Dekret – das ja eines seiner ersten war – rückgängig machen wird. Darum fordern wir die Bundesregierung dazu auf, dass sich Deutschland als eines der reichsten Länder der Initiative anschließt, um Menschenleben zu retten. Es geht hier um 800 Frauen und Mädchen pro Tag!