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Online-Hilfe statt Therapie?

Illustration: Federico Delfrati

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Vorwürfe, Entschuldigungen oder Beschwerden im Chat zu äußern, ist eigentlich gar nicht mein Ding. In wenigen Zeichen zusammenzufassen, dass ich verletzt bin oder mich vernachlässigt fühle, macht das Problem oft eher größer und führt zu Streits. Deshalb bin ich erst auch skeptisch, als ich höre, dass immer mehr Apps Online-Beratungen anstatt Therapien von Angesicht zu Angesicht anbieten. Andererseits: Immer mehr Menschen, die unter psychischen Krankheiten leiden, müssen auf einen Therapieplatz warten. Praxen und Psychiatrien sind überfüllt. Könnten Apps nicht zumindest helfen, die negativen Auswirkungen dieser Engpässe abzuschwächen?

Ich habe große Probleme mit Prüfungsangst. Während meines Bachelorstudiums sollten zehn Stunden Verhaltenstherapie mir helfen, meine plötzlichen Blackouts und heftigen körperlichen Reaktionen, wie Schweißausbrüche, Herzrasen und Übelkeit, die bis zum Erbrechen führen kann, in den Griff zu bekommen. Am Ende habe ich trotz vieler peinlicher Erlebnisse – ein vollgekotzter Klausurbogen, Heulattacken in mündlichen Prüfungen, ein panischer Sprint aus dem Hörsaal – mein Studium erfolgreich abgeschlossen. Das Problem bleibt allerdings weiter bestehen. Vor allem im Job gerate ich immer wieder in Prüfungssituationen, zum Beispiel bei Bewerbungsgesprächen oder Redaktionskonferenzen. Dann breitet sich in mir Angst vor Fehlern, Kritik und Ablehnung aus. Sorgen, die mich so stark blockieren, dass ich mich manchmal einfach zurückhalte – um mir eine unangenehme Blamage zu ersparen.

Nochmal zum Therapeuten möchte ich deshalb nicht gehen. Aber vielleicht kann eine App tatsächlich helfen? Deswegen teste ich vier Wochen lang die professionelle Online-Beratung „Instahelp“. Sie ist neben Selyapy die Einzige, die Kurse für Prüfungsnagst anbietet. Die App gehört zu einem Start-up, das 2015 in Österreich gegründet wurde. Der Fokus der Behandlungsstrategie liegt auf einer präventiven Behandlung und Begleitung, die Personen schon vor Problemen unterstützt.                     

Würde ich nach einem Therapeuten suchen, müsste ich monatelang auf einen freien Platz warten. Bei der App ist die Registrierung innerhalb von nicht mal zehn Minuten abgeschlossen. Nach der Anmeldung gelange ich in einen Chatroom, in dem mich die studentische Hilfskraft Lisa einführt. Während sie meine Daten aufnimmt, schaue ich mir ihr Profilbild an, das neben dem Chat aufpoppt. Ein hübsches blondes Hipstermädchen, deutlich jünger als ich. Sie sieht nett aus.

„Ich habe nun hier Profile von drei Psychotherapeutinnen für Sie rausgesucht, wenn ihnen niemand zusagt, suche ich weiter”, schreibt sie. Ich klicke mich durch die Profile der drei Psychotherapeutinnen. Anke Fleische hat mit Abstand die beste Bewertung und mit 20 Jahren auch die meiste Berufserfahrung. Sie ist auf Ängste und Phobien spezialisiert und will die Therapie darauf auslegen, mein Selbstgefühl zu stärken. Kinnlange, braun-wellige Haare, ein offenherziges Lachen, schätzungsweise Ende 40, sie hat einen leichten Schal um den Hals gelegt. Ich bin überzeugt.

Daraufhin leitet Pia den Bezahlprozess ein. Instahelp hat mir für meinen Test einen Code für Journalisten zur Verfügung gestellt. Pia und die Therapeutin wissen aber nichts davon. Ohne den Code variieren die Kosten für die Online-Hilfe zwischen 49 und 69 Euro die Woche. Ich entscheide mich für einmal in der Woche 40 Minuten, ohne Code würde das 49 Euro kosten. Anders als bei einer persönlichen Therapie übernimmt hier nichts die Krankenkasse.

Für meine erste Therapiesitzung brauche ich keine umständliche Anreise, ich kann einfach mit strubbeligen Haaren in Jogginghose auf dem Bett liegen bleiben. Das fühlt sich gut an. Ich habe die Wahl zwischen Telefonieren, Videochatten oder normalem, schriftlichem Chatten und entscheide mich für die letzte Variante. „Wieder durchschlafen und Konferenzen ohne Bauchschmerzen erleben”, lautet meine Antwort, als Anke Fleische mich fragt, was ich mir von unseren Sitzungen eigentlich erhoffe. „Sie können Ihre Angst nicht bekämpfen, aber aus einem anderen Blickwinkel sehen. Das muss Ihnen bewusst werden, bevor wir die Therapie starten”, antwortet Fleischer.

So hatte ich das von Angesicht zu Angesicht tatsächlich bisher nie gehört. Stattdessen wurde mir immer eine Art Werkzeugkastenprinzip angeboten mit Instrumenten, die mir in den Momenten der Panik weiterhelfen sollten. Bei einem Blackout zum Beispiel fünf Minuten aus dem Fenster zu schauen und tief Luft zu holen. „Nur so können sie die alte Situation verlassen und ihre Prüfungsangst beiseiteschieben”, hatte es damals geheißen.

„Ihr Verstand hat gelernt, eine Prüfung als Gefahr zu interpretieren. Das Angstprogramm wird also gestartet, sobald sie nur einen Prüfungstermin haben, was aus drei Gründen problematisch ist und sich von einer echten Gefahr unterscheidet“, schreibt Fleischer weiter. Zum einen würde die Prüfung noch weit in der Ferne liegen. Flucht oder Angriff seien instinktive Handlungen bei Angst, in dem Fall einer anstehenden Prüfung aber keine Lösung. „Auch, wenn Ihr Verstand Ihnen regelmäßig ein Fluchtsignal sendet und sie die Klausur dann vielleicht schieben, wollen sie sie ja eigentlich schreiben. Die Flucht vor einem hungrigen Bären macht hingegen Sinn.“ Sobald der Bär weg ist, würde sich auch der Angstapparat deaktivieren. „Ihre Angst vor Prüfungen hält bis zur Notenvergabe an, was extrem belastet und worauf unser Körper auch nicht vorbereitet ist.“

Ich merke: Das Chatten hat mir Hemmungen genommen, weil ich nicht so direkt einer Person gegenüber saß

Fleischer wählt einfache Beispiele, um mein Problem für mich nachvollziehbarer zu machen. Nachdem sie 20 Minuten überzieht, verabreden wir uns für eine nächste Sitzung.

Kurz nach Feierabend ziehe ich mich also in der Folgewoche wieder an einen der Rückzugsorte meiner Arbeitsstätte zurück. „Wenn sie keine Fragen an mich haben, würde ich mit einer Übung starten”, schreibt Fleischer fünf Minuten vor offiziellem Beginn des Termins. Ich bekomme hier offenbar mehr als die vorgeschriebene Leistung und willige ein.

Es geht um Atemübungen und Gedanken, die ich in meiner Vorstellung auf Blätter in einem Fluss platzieren soll. Das soll mir helfen, meine Gefühle wie ein außenstehender zu beobachten. Schön ist das nicht, aber es funktioniert.

„Spüren Sie denn, dass sie mehr zur Beobachterin ihrer Angst werden?”, lautet ihre einleitende Frage in unserer vorerst letzten Sitzung, dieses Mal allerdings per Videoanruf. Zugegeben: Es ist komisch, ihre Stimme zuhören. Irgendwie hatte ich mir sie ganz anders vorgestellt. Sanftmütiger und nicht so selbstbestimmt. Wie bei einem Blinddate reimt man sich ganz offensichtlich auch hier eine Illusion von einem Menschen zusammen, der so nicht existiert. Ich merke: Das Chatten hat mir Hemmungen genommen, weil ich nicht so direkt einer Person gegenüber saß. Der Abstand half mir, mich zu öffnen. Jetzt, im Videochat, bin ich zum ersten Mal in der Online-Therapie gehemmt, mir fällt es schwer über meine Gefühle zu sprechen.

 

Die Hürden sind minimal. Ich muss nicht nach der Arbeit lange mit der Bahn zur Therapie fahren, ich brauche nur mein Handy

 

Am Ende der letzten Sitzung durchzieht mich ein angenehmer Fatalismus. So nach dem Motto: Passt schon. Wenn mal etwas schief geht, ist das kein Weltuntergang. Durch Instahelp wird mir nämlich erst klar, dass ich auch versuchen kann, meine Angst anders zu erleben –  auch, wenn das ein langer und harter Prozess wird. Denn durch die App habe ich eine neue Bewältigungsstrategie entdeckt, die mir irgendwie realistischer erscheint: Meine Prüfungsangst erstmal sehr genau zu beobachten, wenn sie sich mal wieder so richtig austobt. Mich auch mal versuchen, gewollt darauf einzulassen, um mir bewusst zu machen, dass die ganzen Horrorszenarien in meinem Kopf nicht eintreten. Eher das Gegenteil: Von Mal zu Mal schrumpft die Angst, während mein Selbstvertrauen wächst. Ich fühle mich jedenfalls jetzt schon deutlich entspannter in Redaktionskonferenzen.

 

Was mich am meisten überzeugt hat: Die Hürden sind minimal. Ich muss nicht nach der Arbeit lange mit der Bahn zur Therapie fahren, ich brauche nur mein Handy. Auch das Chatgespräch hat Vorteile: Man wird weder von einer kratzenden Stimme beschallt, noch in einem unangenehmen Zimmer angestarrt. Stattdessen sitzt man, wo man will: Im Café oder auf der Couch. Und die Distanz eines Chats kann auch ein Vorteil sein: Schon oft habe ich von Abbrüchen gehört, weil einem sein Gegenüber „irgendwie unsympathisch“ war. Im Chat kommt das nicht so zum Tragen.

 

Auf andere übertragen kann man mein Testergebnis aber sicher nicht. Ich befinde mich nicht in einer unkontrollierbaren Krise oder Notsituation. Außerdem baue ich damit schon auf zehn Stunden Verhaltenstherapie auf. Instahelp ist nur ein Zusatzangebot zur klassischen Beratung oder Therapie. Befindet man sich in einer Extremsituation, bietet die allerdings an, bei der Suche nach einem Psychotherapeuten in der Nähe zu unterstützen.

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