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Was macht der Vergleich mit anderen mit uns?

Illustration: Julia Schubert

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Meine ehemalige beste Freundin ist jetzt Mama. Sie hat mich nicht angerufen, um mir das zu sagen, wir haben seit Jahren keinen Kontakt mehr. Die Neuigkeit, die ihr ganzes Leben verändert, habe ich  über Facebook erfahren. Zwischen einem Wir-suchen-einen-neuen-Mitbewohner-bitte-teilen-Aufruf und einem Text über den Klimawandel erschien plötzlich das Foto ihres neugeborenen Sohnes, beziehungsweise seines Fußes.

„Was für ein Klischee“, war in dem Moment alles, was ich dachte. Ich scrollte weiter. Doch im Lauf des Tages musste ich immer wieder an den rosafarbenen Babyfuß denken. Wieso habe ich eigentlich noch kein Verlangen nach einem Kind?, grübelte meine innere Stimme. Tickt da überhaupt so etwas wie eine biologische Uhr in mir? Müsste ich nicht wenigstens geheiratet haben in meinem Alter?

Ich bin 32. Und im Großen und Ganzen zufrieden damit, wie mein Leben gerade aussieht. Nur manchmal, wenn ich durch meinen Facebook- oder Instagram-Feed scrolle, frage ich mich schon, ob ich meine Zeit richtig nutze und ob ich bisher die richtigen Entscheidungen getroffen habe in meinem Leben. „Müsste ich nicht viel mehr lesen?“, denke ich, wenn eine Freundin das dritte Buchcover innerhalb einer Woche hochlädt. Joggen wäre auch mal wieder gut, wenn ich das Foto meines durchtrainierten Ex-Mitbewohners beim Halbmarathon sehe. Und dann sind da noch die Bilder der Bekannten, die mit dem Fahrrad um die Welt fährt.

Facebook und Instagram führen uns vor Augen, wie sehr sich unser eigener Lebensentwurf von dem unserer Freunde und Bekannten unterscheidet. In manchen Fällen erinnern sie uns sogar daran, wie unsere Realität heute aussehen könnte, wenn wir uns in bestimmten Situationen anders entschieden hätten. Jeden Tag lassen wir uns auf unseren Smartphones mit den Bildern und Einträgen anderer bespielen. Was macht dieser ständige Vergleich mit uns?

Johanna Schäwel beschäftigt sich mit eben solchen Fragen. Sie unterrichtet Medienpsychologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Der Drang sich mit anderen zu vergleichen, sei natürlich nichts Neues, sagt sie: „Wir Menschen haben grundsätzlich einen inneren Trieb zur Bewertung der eigenen Person und der eigenen Tätigkeiten.“ Soziale Medien bieten uns dazu nur sehr viel mehr Möglichkeiten als früher. „Die Nutzer sozialer Medien können heute auf eine enorme Bandbreite an Informationen zugreifen, eine Masse an Vergleichspersonen heranziehen.“ Neben guten Freunden, Familienmitgliedern, Kommilitonen und Arbeitskollegen werden online auch ehemalige Schulfreunde, Ferienbekanntschaften, Politiker und Influencer zu potenziellen Vergleichsflächen.

Wer schneidet im Vergleich mit Greta Thunberg, Rezo oder Margarete Stokowski wirklich gut ab?

Das kann einen schon herunterziehen. Denn wer schneidet im Vergleich mit Greta Thunberg, Rezo oder Margarete Stokowski wirklich gut ab? Studien konnten bereits zeigen, dass das Betrachten von Bildern besonders attraktiver oder erfolgreicher Menschen die eigene Stimmung kurzfristig sinken lassen kann, weiß Johanna Schäwel. „Es ist aber nicht so, dass der Aufwärtsvergleich immer negative Auswirkungen hat“, sagt sie. „Das kommt ganz auf die Person an, die sich vergleicht, auf ihre persönlichen und individuellen Charakteristiken sowie ihre Lebensumstände.“

Jemand mit einem geringen Selbstwert, der generell stark an sich zweifelt und unzufrieden mit der eigenen Lebenssituation ist, könnte an den Urlaubsfotos und Familienbildern, die auf seinem Display erscheinen, also manchmal durchaus zu knabbern haben. Bei Menschen, die eine positive Meinung von sich haben, könne der Vergleich dagegen sogar vorteilhafte Folgen haben, sagt Johanna Schäwel.

„Soziale Medien laden zur optimierten Selbstdarstellung ein“

Was die anderen machen, wie sie sich kleiden, was sie lesen, für was oder wen sie sich engagieren, kann im besten Fall nicht nur unterhalten, sondern inspirieren und dazu motivieren, selbst aktiv zu werden. Das eigene Leben in die Hand zu nehmen und so zu gestalten, wie man es sich vorstellt. Tatsächlich joggen zu gehen oder ein Buch zu lesen. Mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren. Oder etwas Neues auszuprobieren, von dem man vorher noch nie gehört hat.

Wichtig ist, unter all den verschiedenen Lebensentwürfen den eigenen Weg zu finden. Einen, der zu einem passt, der den eigenen Talenten und Interessen entspricht. Und sich dabei nicht von den Fotos blenden zu lassen, die im Facebook- und Instagram-Feed erscheinen. Denn die zeigen selbst unsere Freunde nur so, wie sie gesehen werden wollen, sind meistens stark bearbeitet. „Soziale Medien laden zur optimierten Selbstdarstellung ein“, sagt Johanna Schäwel. „Ihre Nutzer sollten sich stets bewusst sein, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Online- und der Offline-Welt.“

Abgesehen davon kann uns der ständige Vergleich in den sozialen Medien tatsächlich dabei helfen, herauszufinden, was wir wirklich wollen. Indem sie uns immer wieder dazu bringen, unsere eigenen Entscheidungen zu hinterfragen und uns zu überlegen: Bin ich mit meinem Leben (noch) zufrieden? In welche Richtung möchte ich mich weiterentwickeln? Was möchte ich in nächster Zukunft haben oder erreichen? In meinem Fall bin ich sehr sicher: ein Baby ist es nicht.

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