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Wegen Corona: Flüge gestrichen, Visa ausgesetzt. Betroffene erzählen.
Anna lebt und arbeitet eigentlich in China, doch sie sitzt in der Küche ihrer Mutter in Tübingen. Seit fast zwei Monaten wohnt die 32-Jährige hier, gemeinsam mit ihrem Kind und ihrem Mann. Dabei wollten sie nur kurz bleiben, ihren Rückflug hatten sie ursprünglich Ende Januar geplant, Anna wollte wieder anfangen, als Kuratorin in ihrem eigenen Kunstraum zu arbeiten. Seitdem werden ihre Flüge aber wegen des Coronavirus immer wieder verschoben. „Wenn wir mehr Druck machen würden, könnten wir bestimmt irgendwie zurück, kleinere Fluggesellschaften fliegen Peking noch an“, sagt Anna. „Aber die Flüge werden ja nicht ohne Grund gestrichen.“ Wer derzeit in die Volksrepublik einreist, muss für zwei Wochen in Quarantäne und nicht jeder kann diese Zeit gemütlich zu Hause absitzen, sondern riskiert, in eine staatliche Notunterkunft zu kommen. Das würde Anna gerne vermeiden. „Dass sich die Regeln in China fast täglich ändern, macht es schwer zu planen.“
Anna gehört zu den Tausenden Menschen, die wegen Corona nicht zurück an ihren Wohnort reisen können.
Wie Anna sitzen Tausende Menschen weltweit in einem Land fest, aus dem sie eigentlich wieder raus wollen oder müssen. Denn die Atemwegserkrankung Covid-19 verbreitet sich inzwischen auf der ganzen Welt. Spätestens seitdem die Weltgesundheitsorganisation das Coronavirus am 11. März 2020 zur Pandemie erklärt hat, haben Regierungen weltweit drastische Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung einzudämmen: Länder wie Indien, Bhutan, El Salvador, Mongolei oder Oman lassen außer Staatsbürger*innen und Diplomat*innen vorerst niemanden einreisen. In Urlaubsländern wie Nepal werden die Visa-on-Arrival gestrichen, Israel fordert Tourist*innen zur Ausreise auf und die USA verhängten ein Einreiseverbot für Europäer*innen aus den Schengen-Ländern. Auch europäische Staaten haben ihre Grenze im Zuge der Coronavirus-Krise geschlossen: Slowakei, Tschechien, Italien, Dänemark und Polen zum Beispiel. Auch Deutschland zieht nun mit. Dazu kommt, dass immer mehr Fluglinien Routen streichen oder Flüge verschieben, da Passagiere fehlen. Da ist die Meldung, dass etwa 100 Deutsche die Malediven nicht verlassen können, nur eine von vielen.
So schnell wie möglich zurück nach China
„Ich würde gerne so schnell wie möglich zurück“, sagt Anna, „aber nur, wenn die Lage sicher scheint.“ Ein neues Abflugdatum hat sie, ob sie Deutschland Ende des Monats tatsächlich verlassen kann, weiß sie noch nicht. Das Ausmaß in China ist nach wie vor beispiellos: etwa 80 000 Corona-Betroffene wurden in China erfasst. Allerdings scheint China die Verbreitung des Coronavirus allmählich besser in den Griff zu bekommen. Währenddessen beobachtet Anna, wie sich die Fälle hierzulande häufen. „Ich fühle mich, als wäre ich im Auge des Sturms“, sagt Anna. „Besonders die Schwaben versuchen Corona so lange wie möglich zu ignorieren“, so glaubt sie. In China dagegen gingen die Behörden strikt vor, nachdem das Virus öffentlich bekannt wurde. Die Corona-Pandemie hat ihrem Kunstraum finanziell einen harten Schlag verpasst. „Auf Dauer wird es schwer zu überleben.“ Ebenso litten die Kulturinstitutionen, mit denen sie zusammenarbeitet. „Einerseits bin ich froh, dass wir in Deutschland sind, anderseits fühlt es sich seltsam an, so weit weg zu sein“, sagt sie.
Musiker Sina hatte keine andere Wahl, als Indien zu verlassen. Jetzt steckt er wegen des Coronavirus zu Hause fest.
Der Iraner Sina kann seit Wochen nicht mehr zu seinem Arbeitsplatz reisen. „Ich musste zurück in meine Heimat Iran, um mein Visum für Indien zu verlängern“, sagt der 33-jährige Musiker. Mitte Februar hob sein Flieger von Indien aus nach Iran ab. „Mir war zwar nicht klar, dass ich dann nicht mehr aus Iran rauskäme. Aber ich hätte soweiso keine andere Wahl gehabt.“ Seit seiner Ankunft hat er das Haus seiner Eltern, das in einem Vorort Teherans liegt, kaum verlassen.
Schon im Januar sind ihm Videos im Netz über Coronafälle im Iran aufgefallen. Doch es hieß von offizieller Seite, dass das alles nur Gerüchte seien. Nach seiner Ankunft im Land erzählte ihm seine Tante von Krankenhauspersonal im Raumfahrtanzug. Ein paar Tage später wurden zwei Todesfälle bekannt. Langsam wurde allen klar, dass es sich dabei um das Coronavirus handelt, das sich rasch im Land verbreitet.
Inzwischen gibt Sina kleine Konzerte und Musikunterricht via Instagram und Skype
Mittlerweile gibt es etwa 16 000 bestätigte Fälle in Iran, die zweitmeisten außerhalb Chinas, gleich nach Italien. „Die indische Botschaft nimmt keine Visaanträge mehr an“, sagt Sina am Telefon. Seitdem steckt er fest. Er hofft, dass möglichst viele Menschen zu Hause bleiben, damit sich der Erreger nicht weiter ausbreitet. „Wir stehen alle unter Quarantäne“, aber nicht jeder halte sich daran. Bei einer Autofahrt sah er, wie viele noch draußen auf den Straßen unterwegs sind.
Immerhin kann Sina der Lage auch Gutes abgewinnen: Er hat schon lange nicht mehr viel Zeit mit seiner Familie verbracht. Sie backen Brot zu Hause, essen eingefrorene Vorräte. Lebensmittelgeschäfte seien offen, doch die meiden sie noch. „Ich bin froh, dass ich mit ihnen festsitze“, sonst würde er sich Sorgen machen. Die Lage im Land ist währenddessen tatsächlich besorgniserregend. Das gilt vor allem für die Menschen, die auf ihren täglichen Lohn angewiesen sind, um sich das Nötigste zu leisten. Und für diejenigen, die mit dem Coronavirus infiziert sind und schwer darunter leiden.
Trotz all des Chaos bleibt Sina optimistisch. Er sieht Solidarität: Geld wurde gesammelt, um Menschen auf Kaution aus den Gefängnissen mit wenig Schutz zu holen, private Initiativen schickten Lebensmittel und Medikamente in den Süden des Landes. Inzwischen gibt er kleine Konzerte und Musikunterricht via Instagram und Skype, den Rest seiner Zeit widmet er seiner Doktorarbeit, denn die muss er bis zum Sommer in Indien einreichen.
Luca ist als freiberuflicher Journalist darauf angewiesen zu reisen. Corona bedeutet für ihn auch verlorenes Gehalt.
Genau wie Sina sitzt auch Luca in seiner Heimat fest, obwohl er eigentlich im Ausland arbeitet. „Ich war gerade in Syrien auf Recherche, als sich die Lage in Norditalien drastisch verschlimmerte“, sagt der Mailänder. „Ich musste mir deshalb wirklich Sorgen machen, ob ich überhaupt wieder zurück nach Italien kann. Ich wollte in Zeiten der Krise aber in der Nähe meiner Familie sein und zurückfliegen.“ Der 30-Jährige musste dafür zunächst in den Libanon kommen, um von dort aus mit dem Flugzeug zurückzureisen. Allerdings hätte ihn das Land als Italiener schon gar nicht mehr einreisen lassen. Glück für Luca, dass er auch die Schweizer Staatsbürgerschaft hat – und so doch noch einreisen durfte.
Die Schlangen vor Lebensmittelgeschäften erinnern Luca an Filmszenen einer DDR-Dokumentation
Er saß also nicht in Syrien fest – anders als einige Mitarbeiter*innen der UN oder des Roten Kreuzes, die vor Ort tätig sind und einen italienischen Pass besitzen, sagt er. Als Luca abreiste, konnte er sich kaum schützen. Im Libanon gab es keine Masken, auch in Italien bei der Ankunft nicht.
Seit Lucas Ankunft ist die Zahl der Coronafälle weiter gestiegen: Mehr als 31 000 Menschen haben sich nach dem Coronavirus Resource Center in Italien nachgewiesen angesteckt. Unterdessen starben mehr als 2000 Menschen an den Folgen. Seit Luca wieder in Mailand ist, bleibt er, wie die meisten Italiener*innen, zu Hause und wartet ab, was Premierminister Conte am Abend im TV verkündet. Die Schlangen vor Lebensmittelgeschäften erinnern ihn an Filmszenen einer DDR-Dokumentation, die er einmal gesehen hat. Nachts ist es dunkel, nur das grüne Licht der Apothekenschilder leuchtet. Für die kommenden Wochen sieht er keine Besserung.
Jetzt sitzt auch Luca also fest. Als Journalist darf er sich trotz des Lockdowns draußen bewegen, doch er bemüht sich, möglichst wenig Menschen zu treffen. Was per Telefon oder Internet geht, erledigt er so. Aufgrund der Ansteckungsgefahr sind Büros und Produktionsstätten geschlossen. Nur einige wenige Geschäfte dürfen geöffnet sein. Durch den Ausbruch des Coronavirus sind Lucas geplante Aufträge als Auslandsreporter auf unbestimmte Zeit verschoben. Jetzt versucht er, statt Reportagen aus Krisengebieten im Nahen Osten mit der Berichterstattung über das abgeschottete Italien seinen Unterhalt zu verdienen. Doch: „Als Freiberufler hat man keine Garantien“, sagt Luca. Vor allem dann nicht, wenn man aufs Reisen angewiesen ist.
Momentan verlässt die Verfasserin des Artikels Indien ebenso nicht, denn die Sicherheitsmaßnahmen wurden verschärft. Wer als Ausländer*in ausreist, riskiert, nicht wieder einreisen zu können.