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Sophia hat Endometriose

Illustration: Daniela Rudolf / Foto: freepik

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Sophia ist 27 Jahre alt und kennt kein Leben mehr, in dem es mal nicht wehtut. Es krampft und brennt im Bauch, es zieht im Rücken, es sticht in den Brüsten und hämmert im Kopf. Sie ist müde. Sie hat Schmerzen beim Sex. Und sie hat Angst, keine Kinder bekommen zu können. Sophia ist krank. Sie will kein Mitleid. Aber manchmal wünscht sie sich nichts mehr, als endlich verstanden zu werden.

„Meine Schmerzen sind für andere unsichtbar“, sagt Sophia, die eigentlich anders heißt, ihren Namen aber nicht für immer im Internet mit der Krankheit verbunden sehen möchte. Dass ihr niemand die Schmerzen ansehen könne, sei Teil des Problems. Selbst ihre Freunde vergessen ab und zu, was sie genau hat. Sie muss sich rechtfertigen, wenn sie eine Party absagt oder schlecht drauf ist. Als Sophia vor wenigen Sommern auf einem Festival arbeitete und vor Schmerz nicht mehr lächeln konnte, sagte ihre Freundin: „Hör mal auf, so eine Fresse zu ziehen und steiger dich nicht so rein!“

Sophia leidet an Endometriose. Und obwohl das eine der am häufigsten auftretenden gynäkologischen Krankheiten ist, haben die meisten Menschen noch nie von ihr gehört. Es gibt verschiedene Schätzungen, wie viele Frauen an Endometriose leiden. Die Techniker Krankenkasse gibt an, dass zwischen zwei und 50 Prozent der Frauen Endometriose-Herde habe, die sie nicht spüren, bei Frauen mit starken Regelschmerzen wird davon ausgegangen, dass 40 bis 60 Prozent eine Endometriose haben. Die Endometriose-Vereinigung Deutschland schreibt, dass etwa sieben bis 15 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter an Endometriose leiden. „Allein in Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 40.000 Frauen“, sagt Sylvia Mechsner vom Endometriosezentrum der Berliner Charité.

Bei einer Endometriose siedeln sich Zellen, die der Gebärmutterschleimhaut sehr ähnlich sind, außerhalb der Gebärmutter an und bilden eine „verirrte“ Schleimhaut. Die Zellen können überall im Körper wachsen – meistens bilden sich Endometrioseherde aber im kleinen Becken auf dem Bauchfell und an Organen wie der Gebärmutter, an den Eierstöcken, den Eileitern, in der Blase oder im Darm aus. Oft werden die Schmerzen zunächst als starke Regelschmerzen wahrgenommen, da das Gewebe wie die Gebärmutterschleimhaut selbst auf den Hormonzyklus reagiert. Im Laufe eines Zyklus ist das verirrte Gewebe ebenfalls aktiv. Oft sind die Schmerzen während der Menstruation am stärksten – oder kommen nur während der Periode vor. Noch rätselt die Forschung, was die Krankheit auslöst.

Bei Sophia fangen die extremen Bauchschmerzen mit der ersten Periode an. Damals geht sie zu mehreren Frauenärzten. Die Diagnose: normale Regelschmerzen. In ihrer Jugend bekommt Sophia dann zehn Darmspiegelungen. Als sie 15 wird, beschließt sie, sich zwei Jahre glutenfrei zu ernähren, weil Ärzte eine Intoleranz vermuten. Es hilft nichts. Nichts hilft. „Ich dachte, dass ich mir das alles einfach einbilde“, sagt Sophia heute. „Irgendwann wollte ich schon nicht mehr zum Arzt gehen, weil es mir so peinlich war.“

Als sie ihrem Frauenarzt von Schmerzen beim Sex erzählt, empfiehlt der, „weniger Schokolade zu essen“

Im Durchschnitt dauert es für Frauen in Deutschland zehn Jahre von den ersten Schmerzen bis  zur Diagnose Endometriose. „Viele Frauenärzte sind offensichtlich nicht gut darin geschult, Endometriose zu erkennen“, sagt Sylvia Mechsner. „Und bei Symptomen wie starken Regelschmerzen fehlt es oft an Zeit, zu differenzieren, ob die Schmerzen außergewöhnlich sind.“ Außerdem verlaufe die Krankheit von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Eine Endometriose kann Symptome wie Verdauungsprobleme, Rücken-, Kopf- und Beinschmerzen, Schmerzen beim Wasserlassen, beim Stuhlgang oder beim Sex hervorrufen. „Wenn eine Patientin während ihrer Periode mit Schmerzmitteln im Bett liegen muss, sollte das für Ärzte ein Hinweis auf Endometriose sein“, sagt Mechsner. In ihrem Endometriosezentrum an der Charité nimmt sie sich für jede neue Patientin eine Stunde Zeit, um über Schmerzen zu reden. „Oft kommt es auch schon vorher in der Familie zu einer Verharmlosung“, sagt Mechsner, „wenn die Mutter ihrer Tochter sagt: Regelschmerzen haben wir alle, da musst du jetzt durch.“

Bei Sophia sind die Schmerzen mit der Zeit immer stärker geworden. Mit 21 hat sie auf einmal auch Schmerzen beim Sex. Als sie das ihrem Frauenarzt anvertraut, empfiehlt der ihr bloß, „weniger Schokolade zu essen“. Es ist Sophias Mutter, die irgendwann etwas über Endometriose liest und den Verdacht ausspricht. Tatsächlich bekommt Sophia kurz darauf von einem Spezialisten die Diagnose. „Ich war froh, endlich zu wissen, was ich habe“, sagt sie heute. Der Arzt rät ihr zu einer Operation. Doch auch nach der Operation, bei der die „verirrte“ Schleimhaut aus Bauch und Unterleib entfernt wird, bleiben die Schmerzen.

Endometriose ist nicht heilbar. Jede bislang bekannte wirksame Therapie verlangsamt die Krankheit bloß. Den meisten Frauen wird empfohlen, die Menstruation zu unterdrücken – meist hormonell mittels Antibabypille, die sie im Langzyklus durchnehmen. Das heißt, dass nach der 21-tägigen Einnahme der Pille keine siebentägige Pause mehr folgt, in der die Regel einsetzen würde. Für Sophia ist das aber keine Option: „Ich musste zwischen Pest und Cholera wählen“, sagt sie „Die Hormonbehandlung macht mich so depressiv, dass ich mich gegen die Pille entschieden habe.“ Und selbst wenn Sophia die Pille nehmen würde, könnte die Endometriose weiter wachsen.

Sophia wurde dreimal erfolglos operiert, lebt immer noch mit den Schmerzen. Heute studiert sie Psychologie. Die Vorlesungen nimmt sie mit ihrem Handy auf, weil sie von den Entzündungen in ihrem Körper oft zu müde ist, um sich auf den Dozenten zu konzentrieren. Vor Kurzem haben sie und ihr Freund Schluss gemacht. „Wir lieben uns, aber so ging es nicht weiter“, sagt sie. „Manchmal kann ich fünf Tage lang die Wohnung nicht verlassen.“ Für ihren Freund sei das anstrengend gewesen. Dann die ständigen Schmerzen beim Sex. „Es ist verdammt scheiße, was das mit deinem Selbstwertgefühl macht“, sagt Sophia. „Ich bin ja jung, und Sex ist so etwas Schönes.“

Sophia will nur verstanden werden und sich nicht mehr rechtfertigen müssen

Sophia hat jetzt Angst, nie einen Partner zu finden, der mit ihrer Krankheit wirklich klarkommt. Und auch der Gedanke ans Kinderkriegen macht ihr Sorgen. Mit 22 wollte ein Frauenarzt schon ihre Gebärmutter herausnehmen. „Das wäre Körperverletzung gewesen“, sagt Sylvia Mechsner. Sophia ist froh, dass sie sich damals dagegen entschieden hat. „Ich will auf jeden Fall Kinder bekommen“, sagt sie. Bei bis zu 70 Prozent der Frauen, die wegen Unfruchtbarkeit behandelt werden, wird Endometriose festgestellt.

In der Gesellschaft gibt es noch kein Bewusstsein für die Krankheit. Oft wird sie nicht ernst genommen und einfach mit starken Regelschmerzen gleichgesetzt. Selbst viele Frauenärzte sagen ihren Patientinnen immer noch, sie sollen sich nicht so anstellen. „Das liegt auch daran, dass viele Betroffene darüber nicht reden möchten“, sagt Sylvia Mechsner. „Es ist ein weibliches und sehr privates Thema und Frauen haben Angst, dass alle wissen, dass sie vielleicht Schmerzen beim Geschlechtsverkehr haben oder nicht schwanger werden können.“

Erst seit Kurzem bekommt Endometriose mehr Aufmerksamkeit, auch, weil Prominente wie die US-Schauspielerin Lena Dunham oder Lilly Becker öffentlich über die Krankheit reden. Dunham ließ sich nach fünf erfolglosen Operationen die Gebärmutter herausnehmen, im Alter von 31 Jahren, und schrieb Anfang des Jahres in der Vogue einen viel beachteten Text über ihre Entscheidung. „Mit solchen Schmerzen wäre ich niemals in der Lage, Mutter eines Kindes zu sein“, heißt es darin. Trotzdem haben Sophia und andere Betroffene noch Angst vor einem Stigma. „Schon in alten Doktorarbeiten zur Endometriose werden die Frauen als ‚kinderlose Frauenzimmer‘ bezeichnet und die Schmerzen als Hysterie abgetan“, sagt Mechsner.

Sophia möchte es bald nochmal mit einer Operation versuchen, bei anderen Ärzten, in der Hoffnung, dass es diesmal hilft. Sie betont immer wieder, dass sie nicht rumjammern möchte. Sophia will nur verstanden werden. Sie will sich nicht mehr rechtfertigen müssen. Sie will, dass ihre Krankheit ernst genommen wird. „Ich hasse mich manchmal selbst“, sagt sie. Sie fühle sich dann wie in einem Gefängnis. Alle anderen könnten jederzeit gehen, „nur ich komme nicht raus“.

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