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Krankenpflegerin Nina Böhmer über den Corona-Pandemie-Alltag in den Krankenhäusern
Deutschland hat zu wenig Fachkräfte im Pflegebereich. Das ist schon sein Jahrzehnten so: Die Menschen werden immer älter, gleichzeitig kommen bei weitem nicht so viele Pfleger*innen nach wie benötigt. Vor allem wegen der oft sehr schlechten Arbeitsbedingungen, entscheiden sich immer weniger Menschen für einen Beruf in der Pflege. Bereits 2018 fehlten, nach Einschätzung der Gewerkschaft Verdi, in Deutschland 80 000 Pflegekräfte.
Die Corona-Pandemie hat das Problem verschärft. Es gibt immer mehr Patient*innen, aber auch die Zahl des mit Corona infizierten Personals hat sich mehr als vervierfacht. In mehreren Bundesländern wurden Fälle bekannt, in denen infiziertes Personal weiter auf der Corona-Station arbeiten musste – aufgrund von Personalmangel. Zuvor hatte Gesundheitsminister Jens Spahn für Proteste gesorgt, als er äußerte, dass es prinzipiell möglich sei, infiziertes Personal bei Versorgungsengpässen weiter arbeiten zu lassen.
Wir haben mit der 28-jährigen Nina Böhmer gesprochen. Sie ist als Krankenschwester bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt und erzählt in ihrem im Juli dieses Jahres erschienenen Buch „Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken“ von ihrem Alltag als Pflegerin während der Pandemie.
jetzt: Aufgrund des Personalmangels werden Pfleger*innen eingesetzt, die engen Kontakt mit Infizierten hatten oder selbst infiziert sind. Wie denkst du darüber?
Nina Böhmer: Ich finde es ziemlich fahrlässig, sowohl den Patient*innen, als auch dem Personal gegenüber. Es kann ja nicht immer garantiert werden, dass man sich zu hundert Prozent schützen kann. Wir Pfleger*innen sind zusammen im Aufenthaltsraum, da kann es schnell passieren, dass wir uns anstecken. Außerdem werden durch diese Fahrlässigkeit auch Leute außerhalb der Krankenhäuser gefährdet. Viele fahren mit der Bahn oder dem Bus zur Arbeit und können das Virus schnell verbreiten.
Warum setzt das Gesundheitssystem seine Mitarbeiter*innen und Patient*innen so einem Risiko aus?
Ich denke, weil sie mit dem Personalmangel überfordert sind und keine andere Lösung wissen. Aber wenn man die letzten Jahre nicht den Personalmangel ignoriert hätte, der nun kein Geheimnis war, dann müsste man jetzt nicht auf solche unangemessenen Maßnahmen zurückgreifen.
Hast du schon mal erlebt, dass jemand im Gesundheitssystem trotz Corona-Erkrankung arbeiten musste?
Ich habe zum Glück so etwas noch nicht erlebt, aber ich habe von einigen gehört, dass es durchaus schon öfter vorgekommen ist.
Wie beeinflussten solche Maßnahmen die Stimmung unter den Pfleger*innen?
Die Stimmung ist sehr angespannt. Wir Pfleger*innen wurden am Anfang der Pandemie sehr laut, weil wir hofften, dass sich dadurch etwas ändern würde. Doch im Moment sehe ich leider keine Änderungen. Die Forderung von Herrn Spahn, dass man infiziert weiterarbeiten soll, gab es ja am Anfang der Pandemie auch schon. Das sind alles Sachen, die wiederkommen. Das führt natürlich zu einer sehr großen Frustration unter den Pfleger*innen. Viele würden gerne streiken, aber das ist oft sehr schwierig für uns. Wir werden emotional erpresst, indem man sagt: „Wenn ihr streikt, wer versorgt dann die ganzen Patient*innen?“. Es gibt auch Einrichtungen, die machen den Mitarbeiter*innen Angst, dass sie dadurch ihren Job verlieren könnten.
„Da ich bei einer Zeitarbeitsfirma arbeite, sind meine Tage immer unterschiedlich“
Wie sieht dein Arbeitsalltag momentan aus?
Da ich bei einer Zeitarbeitsfirma arbeite, sind meine Tage immer unterschiedlich. Aktuell bin ich vier Tage die Woche in einer Einrichtung und mache dort Corona-Tests, vergangenen Freitag habe ich in einer Psychiatrie gearbeitet. Und am Wochenende arbeite ich wieder in der Notaufnahme.
Über ihren Alltag als Krankenpflegerin während der Corona-Pandemie hat Nina Böhmer ihr eigenes Buch geschrieben.
Wie kann man sich die Arbeit als Pflegekraft über eine Zeitarbeitsfirma vorstellen?
Ich schreibe meinen eigenen Plan, indem ich eintrage, wann ich arbeiten kann und gebe diesen in meiner Firma ab. Diese schickt mir Dienste zu und fragt, ob ich sie machen möchte oder nicht. Ich kann mir das also ganz gut aussuchen, aber muss natürlich auf meine Stunden kommen. Ich habe mich für eine Zeitarbeitsfirma entschieden, weil mein Freund und ich bis vor kurzem eine Fernbeziehung geführt haben und ich so flexibel bin und auch mal mehr als drei freie Tage am Stück nehmen kann. Ansonsten gibt es nicht viele Unterschiede, das Gehalt ist auch relativ gleich.
Zu Beginn der Pandemie saßt du aufgrund von Kurzarbeit in der Zeitarbeitsfirma zu Hause. Ist das nicht absurd, wenn man gleichzeitig überall von der drohenden Überlastung der Kliniken liest?
Zu Beginn der Pandemie wurde ich vermehrt gebucht, weil es hieß, dass die Krankenhäuser ihr Personal aufstocken sollen. Dann kam aber die Phase, in der viele OPs abgesagt wurden, was zu Folge hatte, dass mir einige Dienste abgesagt wurden – und ja, das war völlig absurd. Die Krankenhäuser haben dann erstmal ihr eigenes Personal eingeteilt. Es wäre schön gewesen, wenn man da gesagt hätte „Wir belassen das jetzt so, weil es auch nicht weh tut, mal mehr Personal zu haben.“ Man muss ja nicht immer am Limit arbeiten. Ich finde, man hätte die Leasingkräfte nicht stornieren müssen. Man hätte sozusagen mit dem gleichen Personal weniger Patient*innen versorgen können, was total angenehm gewesen wäre.
Was hätten die Kliniken deiner Meinung nach aus der ersten Welle konkret lernen können?
Man hätte viel mehr Krankenpfleger*innen an Beatmungsmaschinen schulen und die Pflegeheime besser mit Personal und Material ausstatten müssen. Das hätte mehr gebracht, als Schnelltests einzuführen, die nicht zu 100 Prozent zuverlässig sind. Es wurde gar nicht darüber nachgedacht, wer die Tests durchführt. Man hat erwartet, dass die Mitarbeiter*innen mit der gleichen Personalbesetzung noch zusätzlich die Test machen, was eine zusätzliche Belastung ist und noch viel zu viel Zeit kostet. Das ist unmöglich.
„Die Wertschätzung hat auf jeden Fall nachgelassen“
Woran liegt es, dass sich nichts verändert hat?
Die Politik hat nichts unternommen. Natürlich hätte man in den wenigen Monaten nicht Unmengen an Pflegekräfte herbeizaubern können. Aber es ist doch so, dass die Aussagen und Anordnungen der Politik das Gegenteil bewirken. Viele Pfleger*innen wollen sich das nicht länger gefallen lassen. Sie hören mit dem Job auf und somit werden es immer weniger statt mehr.
Von welchen Aussagen und Anordnungen sprichst du?
Zum Beispiel, dass wir infiziert weiterarbeiten sollen oder davon, dass uns ein Bonus versprochen wurde, der nie ausgezahlt wurde. Außerdem wurde in Niedersachsen die 12-Stunden Schicht eingeführt. Das ist alles kontraproduktiv.
Während der ersten Welle gingen viele Menschen auf ihre Balkone, um für das Pflegepersonal zu applaudieren. Wie viel ist von der Wertschätzung der Menschen deiner Meinung nach noch übrig?
Sie hat auf jeden Fall nachgelassen. Ich glaube das hängt damit zusammen, dass die Glaubwürdigkeit der Regierung, beziehungsweise die Ernsthaftigkeit, mit der die Corona-Maßnahmen eingehalten werden, nachgelassen hat. Es gibt immer mehr Leute, die das Virus infrage stellen oder leichtsinnig damit umgehen. Das sehe ich ständig in den Medien. Und es gibt wieder vermehrt Demonstrationen gegen die Maßnahmen. Wir Pflegekräfte sind leider nicht mehr so oft Thema und die Leute setzen sich nicht mehr so stark für uns ein. Wertschätzung ist aber auch ein schwieriger Begriff. Dass die Leute applaudiert haben, war natürlich nett gemeint, aber ich glaube auch - ohne die Deutschen beleidigen zu wollen - dass sie sich das ein bisschen von den Italiener*innen abgeguckt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man da von selbst drauf gekommen wäre.