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Coronavirus: Was uns durch die zweite Welle bringt
Raphael und die Pasta-Maschine
Es begann mit einem Instagram-Account: Pasta Grannies. Der vielleicht beste Account der Welt. Sehr alte, sehr italienische Omis machen mit viel Geschick und noch mehr Ruhe unfassbar lecker-aussehende Pasta. Obwohl ich dem Account schon seit langer Zeit folge und sehr, sehr gerne koche, konnte ich mich nie überwinden, selbst Pasta zu machen. Zum einen bin ich nicht sehr geschickt und zum anderen bringt mich nichts so sehr aus der Ruhe wie meine eigene Ungeschicktheit. Aber neulich war ich in einem Supermarkt und im Angebot war eine Pasta-Maschine und ich hatte keine guten Ausreden mehr. Ich habe sie bereits einmal ausprobiert, das Endprodukt war extrem lecker. Aber der Weg dahin, nun ja, wie erwartet.
Als ich den Teig mit vollem Körpereinsatz in die richtige Konsistenz gebracht und ihn ein letztes Mal kräftig auf den Tisch werfen wollte, schlich sich eine Millisekunde Unaufmerksamkeit ein. Der Teig verfehlte den Tisch und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Küchenboden. Wenn ich schreiben würde, ich hätte diesen Anblick mit stoischer Ruhe hingenommen, würde ich gegen das journalistische Wahrheitsgebot verstoßen. Zum Glück war der Küchenboden extrem sauber und meine Gäste nicht zimperlich.
Seither habe ich die Pastamaschine nicht wieder ausgepackt, aber was gäbe es für einen besseren Zeitpunkt als eine zweite große Selbstisolation, um das zu ändern? Ich sollte vielleicht nur vorsichtshalber jetzt schon mal eine Packung Mehl kaufen, sonst fehlt mir wegen möglicher Panikkäufe neben Ruhe und Geschick die dritte essentielle Zutat, um irgendwann ein Pasta Granddad zu werden.
Sophie überlegt, sich eine gute, handliche Kamera zu kaufen
Wie gefühlt jeder Mensch gehe ich seit Beginn der Pandemie sehr viel mehr spazieren. Wo ich früher mit Freundinnen in einer Bar saß, sind wir jetzt oft nach Feierabend zusammen ein Stück laufen gegangen, an der Isar und im Englischen Garten, aber auch durch die Straßen. Mal mit Wegbier, mal mit heißer Schokolade, mal ohne Getränk. Dann sehe ich ständig etwas, das ich fotografieren möchte – wenn eine Haustür besonders aussieht, ein Schaufenster absurd trashig arrangiert wurde, wenn eine knallpinke Maske verloren auf dem Boden rumliegt oder das Licht besonders schöne Schatten auf eine Hauswand wirft.
Ich mag Alltagsfotografie. Leider habe ich dann meist nur mein Handy ohne wahnsinnig gute Kamera dabei. Deshalb schiebe ich es schon Monate vor mir her, mir einen besseren, gleichzeitig aber handlichen Fotoapparat zu kaufen, den ich gut in die Manteltasche stecken kann. Das könnte mich dann auch motivieren, mich weiter nach draußen zu wagen, wenn es bald richtig kalt wird.
Marcel hat sich Tony Hawk’s Pro Skater 1+2 für die Playstation 4 geholt
Man kann sich alte Fotos anschauen, um sich der Nostalgie seiner Jugend hinzugeben. Man kann die Narben begutachten, die da jetzt am Bein sind, weil man vor 15 Jahren einmal betrunken vom Zaun gestürzt ist. Am verlässlichsten aber funktioniert für mich die Zeitmaschine zurück in die sogenannte „unbeschwerte Jugend“, indem ich ein Videospiel spiele, das ich schon früher einmal gespielt habe. Vor einigen Wochen ist Tony Hawk’s Pro Skater 1+2 für die Playstation 4 erschienen, was für sich genommen gar nichts besonderes ist. Aber das Spiel wurde exakt noch einmal so produziert wie damals (mit besserer Grafik), als es zum ersten Mal erschienen war, vor fast 20 Jahren. Für etliche Millennials dürfte es kaum etwas geben, das nostalgischer macht.
Ich habe mir das Spiel deshalb gleich am ersten Tag, als es in den Läden war, geholt. Schon in den letzten Wochen rollte ich dann, wie damals als Teenager, mit meinem Skateboard durch das virtuelle New York und über das Schulgelände, auf dem mir auch heute noch der wütende Hausmeister hinterher schimpft wie damals als 13-Jähriger. Ich machte die gleichen viel zu ambitionierten Tricks wie früher und flog genauso schmerzhaft auf die Knie. Ich hörte den gleichen Soundtrack, mit Rage Against The Machine und Papa Roach.
Nebenbei versuchte ich mir einzubilden, dass wir nicht das Jahr 2020 schreiben sondern das Jahr 2003. Es war das Jahr, in dem der Sommer so heiß war wie seit Jahrzehnten nicht – aber kaum jemand klagte über den Klimawandel, man sprach stattdessen vom „Märchensommer“. Es war das Jahr, in dem Xavier Naidoo mit „Ich kenne nichts” 45 Wochen lang in den Charts stand – aber noch niemand kannte Telegram. Und es war das Jahr, in dem ich sehr lange und oft Tony Hawk’s Pro Skater 2 spielte. Ich glaube, dass es nicht schaden kann, sich in diesem Winter nach diesem Jahr zurück zu sehnen, zumindest ab und zu, und bis die zweite Welle vorbei ist.
Lara hat sich Sportklamotten und eine neue Matte gekauft
Als im März der erste „Lockdown“ (der offiziell keiner war) kam und man in München nur noch raus sollte, wenn es wirklich nötig war, fing ich an, täglich zuhause Sport zu machen. Vorher reichte es mir, mit dem Rad ins Büro zu fahren und mal zum nächsten Café zu laufen. Dass selbst diese Bewegung in der Isolation wegfiel, machte mir erst bewusst, wie wichtig mir Sport am Ende doch ist. Seitdem habe ich einige neue Sport-BHs, zwei neue Fitness-Leggins, drei Sport-Oberteile, zwei Trainingsbänder und eine wirklich teure, aber wirklich gute Sportmatte gekauft, auf der ich vom einen zum anderen Ende springen kann, ohne mir den Hinterkopf aufzuschlagen, weil sie wegrutscht.
Weil irgendwann Läden und Restaurants wieder öffneten, schlief das Ganze zugegebenermaßen etwas ein. Aber mit steigenden Fallzahlen kehre ich doch wieder mehr in Richtung Selbstisolation zurück. Und ein bisschen beruhigt es mich schon, wenn ich meine Sportausrüstung für Zuhause sehe und mir denke: Für die zweite Welle bin ich eigentlich ganz gut ausgerüstet.
Kolja will die bösen Internet-Partikel aus dem Schlafzimmer vertreiben
Viele – auch ich – haben nach der ersten Welle verkündet, dass sie die Zeit der Isolation eigentlich ziemlich entspannt fanden. Ruhe, Aufatmen, Ich-Zeit. Aber Obacht! Gerade unter Corona-Bedingungen kann man schnell dem gefährlichen Irrglauben verfallen, man sei tatsächlich alleine in der eigenen Wohnung. Dabei ist so ein kuscheliges Quarantäne-Heim der ideale Nährboden für alle möglichen digitalen Ablagerungen und Wucherungen: Während man scheinbar ungestört seine neue Pastamaschine ausprobiert, sitzt hämisch meckernd der Alt-Right-Troll unterm Küchentisch, über dessen Kommentar man sich gestern aufgeregt hat.
Während man seelenruhig nach hippen Analog-Kameras googelt, krabbeln personalisierte Werbebanner über die Tastatur die Arme hoch und nisten sich unbemerkt in den Achselhöhlen ein. Oder am schlimmsten: Wenn selbst der Schlaf gestört wird, weil nachts irgendwo im Dunkeln diese sinnlosen Emojis aus dem Whatsapp-Familienchat rascheln. Mit anderen Worten: Der innere Frieden und die Schlafhygiene können während der Corona-Beschränkungen durch vermehrtes Starren auf Bildschirme massiv leiden. Deshalb haben meine Freundin und ich den Entschluss gefasst, wenigstens das Schlafzimmer zum Internet-freien Ort zu machen.
Im Schlafzimmer sind keine Handys, Laptops oder sonstiges Teufelszeug erlaubt. Eine einzige, schlichte Pflanze dient der seelischen Erdung. Am wichtigsten ist aber der überteuerte digital-Detox-Wecker, den wir gekauft haben. Er ändert Lichtintensität und Farbton je nach Tageszeit, simuliert geschickt Abenddämmerung und weckt einen ganz langsam, sanft und mittels Lichtänderung und diverser Wald- und Wiesen-Sounds. Wenn man jetzt noch Spotify damit empfangen könnte. Oder Podcasts. Oder wenigstens eine winzig kleine Push-Nachricht…
Sandra möchte anfangen zu stricken
Als ich noch darüber nachdachte, wie ich vor einem möglichen zweiten Lockdown noch einen Friseurtermin zu bekommen, blieb mein Blick an den selbstgestrickten Socken meiner Oma an meinen Füßen hängen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, stricken könne eine sinnvolle Beschäftigung während der zweiten Welle sein. Mit einer Tasse Tee auf dem Sofa sitzen, eine „Berieselungs-Serie“ auf Netflix und nebenbei die Nadeln schwingen, erschien mir als der ideale Corona-Zeitvertreib.
Ich bin mir sicher, dass mein Handykonsum es mir danken wird, schließlich haben meine Hände dann endlich etwas zu tun. Worüber ich hingegen unsicher bin, ist mein Strick-Talent. Aber da liegt mein Vertrauen in Youtube-Anleitungen und den Genen meiner Oma, die sie mir hoffentlich weitergegeben hat. Für die zweite Welle schaffe ich mir also Stricksachen an und freue mich jetzt schon darauf, mir ein paar schöne Farben auszusuchen, die ich dann an meinen Füßen tragen kann. Statt mit einem missglückten Haarschnitt, meistere ich die Isolation mit warmen Füßen. Und ganz nebenbei habe ich – wenn ich mich ranhalte – auch endlich das Weihnachtsgeschenkeproblem gelöst und meine Freund*innen bekommen einfach ein paar selbstgestrickte Socken.
Charlotte hat sich einen Beamer gekauft
Mit kleinem Kind und ohne dauerverfügbare Babysitter*in ist Streaming eine der wenigen Freuden, die mir noch bleibt. Wir haben eine Bar unten im Haus, zu der das Babyfon gerade noch reicht, aber das hat sich dieses Jahr quasi auch erledigt. Also gabs eine Investition ins Heimkino Erlebnis: Ein Beamer, etwas unprofessionell mit Holzleisten und Schraubzwingen in die Mitte des Raumes gezimmert, weil so groß ist der leider auch nicht. Der Sound ist zwar besser als der Beamer, aber immerhin: Mit Bier in der Hand und Popcorn aus der Tüte fühlt es sich ein bisschen mehr nach Kino an als schief mit Laptop unter die Bettdecke gemuddelt. Jetzt dürfen nur Netflix und Prime Video nicht leergehen.
Mayank wird spirituell
Seit Anbeginn der menschlichen Geistesgeschichte gibt es die Unterscheidung des Materiellen und Geistigen. Auf der einen Seite stehen die leiblichen, weltlichen Angelegenheiten, auf der anderen Seite steht die Kontemplation, die geistige Betrachtung in der Ruhe. Wenn das Weltliche über einem zusammenbricht und die meisten Aspekte entfallen, die bisher unser Leben mit Freude erfüllten, was bleibt da anderes als spirituell zu werden?
Schon Platon wusste: Den Leidenschaften und materiellen Erscheinungen der sinnlich erfahrbaren Welt ist nicht zu trauen. Sie sind einem andauernden Wandel unterworfen und machen das Leben unstet. Das Einzige was bleibt ist demnach die Hingabe an die Spiritualität. Der Vorteil liegt auf der Hand: Man braucht keinen Gegenstand, der einen durch die Krise bringt.