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Coronavirus und Maskenpflicht: Wie Gehörlose unter der Krise leiden
Für ein Interview ist es ungewohnt still. Ab und an lächeln wir uns an, ansonsten sind die Blicke fest auf die Tastatur gerichtet. Cindy Klink sitzt in einem weiß gestrichenen Zimmer, hinter ihr hängt kein Wandschmuck – aber das ist nur der Teil des Raums, den ich über ihre Computerkamera sehen kann. Ihr Skype-Status sagt: „Wahre Schönheit kommt von innen. Der Rest ist Geometrie.“ Telefonieren können die 22-jährige Tiktokerin und ich nicht, Cindy ist aufgrund eines Gendefekts seit ihrem dritten Lebensjahr schwerhörig, und inzwischen nahezu gehörlos. Also chatten wir – mit Video, damit wir wenigstens ein wenig voneinander mitbekommen.
Vor der Kamera fühlt sich die junge Frau wohl. Sie betreibt nicht nur einen erfolgreichen Youtube-Kanal, sondern ist vor allem auf Tiktok mit über einer halben Million Follower*innen ein Star. Sie nutzt die Plattform, um über die besonderen Herausforderungen von Gehörlosen und Schwerhörigen aufzuklären, übersetzt Musik in Gebärdensprache, bringt den Leuten ein wenig Gebärden bei – und macht auch die üblichen Tiktok-Tänze und -Hypes mit. Über eines ihrer Videos wurde in den vergangenen Tagen viel in den Medien berichtet. Darin äußert sich Cindy unter Tränen gegen die kommende Maskenpflicht. Mit jetzt spricht sie darüber, was sie daran zum Weinen gebracht hat, was die Probleme Hörgeschädigter in der Corona-Zeit sind und wie es ist, auf Tiktok als Person mit Behinderung berühmt zu sein.
Tiktokerin Cindy Klink im Chat-Interview mit jetzt.
jetzt: Die Corona-Krise beschäftigt dich als Hörgeschädigte gerade sehr – zuletzt ging ein Video von dir viral, in dem du dich ziemlich aufgelöst zeigst, weil die Maskenpflicht kommt. Was ist dein Problem damit?
Cindy: Die Masken machen es für mich und andere Schwerhörige oder Gehörlose wahnsinnig schwer, zu verstehen, was um uns herum passiert. Ich bin, wenn ich mit jemandem rede, total fokussiert auf das Mundbild. Wenn die Mundbewegungen wegfallen, verstehe ich fast nichts mehr.
Ist dann die ganze Welt verstummt?
Es ist nicht immer gleich schlimm: Beim Einkaufen etwa brauche ich die Mundbewegungen eher weniger. Beim Arzt dagegen habe ich inzwischen schon Schwierigkeiten zu verstehen, was gesagt wird. Da muss ich aber aus gesundheitlichen Gründen so einmal die Woche hin. Die Maske runterzunehmen ist für meine Ärztin derzeit keine Option – das verstehe ich auch.
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Wenn alle Menschen Gebärdensprache könnten, wären Masken kein Problem, oder?
Klar gibt es Menschen, die sich in Gebärdensprache unterhalten und absolut kein Mundbild brauchen. Aber das ist eher eine Ausnahme. Das Mundbild ist eben auch in der Gebärdensprache ein wichtiger Bestandteil, weil es für eine Gebärde immer mehrere Bedeutungen gibt.
Wenn ich als Hörende mit jemandem spreche, der schlecht oder gar nicht hört – hilft es dann eigentlich, wenn ich den Mund extra stark bewege?
Nein, extra stark braucht es definitiv nicht zu sein. Einfach ganz normal. Außer man nuschelt, dann sollte man sich vielleicht ein bisschen mehr Mühe geben.
In deinem Video forderst du als Alternative Masken mit Sichtfenster. Die Vorsitzende des Gehörlosen Vereins München und Umland sieht dabei allerdings Hygiene- und Dichtheitsprobleme. Das eigentliche Problem sei für Schwerhörige und Gehörlose, dass sie derzeit nicht gut an Informationen kämen. Was sagst du dazu?
Stimmt, generell haben Menschen mit Hörbehinderungen Schwierigkeiten, an aktuelle Informationen zu kommen. Bei politischen Bekanntmachungen gibt es etwa kaum Gebärdensprache-Dolmetscher. Manchmal wird zwar untertitelt, aber das ist bei Liveübertragung oft sehr, sehr miserabel. Auch wenn du pflegebedürftig bist und oft zum Arzt musst – so wie ich – hast du ein Problem: Dolmetscher können oft nicht kurzfristig. Und die Online-Übersetzungen sind auch nicht perfekt, da sie immer mit Kosten und Internet verbunden sind. Und dann gibt es auch noch ältere Menschen, die nicht mit dem Handy umgehen können. Die durchsichtige Maske ist da erst mal barrierefreier.
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Die Corona-Krise ist für Hörbehinderte also eine besondere Herausforderung. Für dich hat sie auf Tiktok aber noch einen speziellen Nebeneffekt: Du hast jetzt viel mehr Follower*innen als zuvor.
Oh ja. Vor dem Lockdown hatte ich ein halbes Jahr konstant etwa 270 000 Follower. Und jetzt plötzlich fast 560 000. Das ist einfach krass.
Verbringst du deine gesamte Lockdown-Zeit mit Influencen?
Haha, nein. So richtig im Lockdown bin ich gar nicht – seit Montag muss ich wieder ganz regulär zur Arbeit – was blöd ist, weil wir zu viert im Büro sitzen ... Ich bin nur nebenberuflich Influencerin, eigentlich arbeite ich in der Kommunalverwaltung als Personalsachbearbeiterin.
Man könnte ja meinen, dass man sich das Leben mit einem so erfolgreichen Account finanzieren kann …
Tiktok ist eben nicht Youtube. Die Plattform wird noch nicht als so heiß angesehen. Bisher denken viele, das wäre Schwachsinn. Genau, was die Leute früher über Youtube gedacht haben. Aber: Es klopfen mittlerweile schon Unternehmen wegen Kooperationen bei mir an. Das ist nur gerade durch die Corona-Krise etwas zurückgegangen.
„Die Angst habe ich auch: Als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden“
Es gibt Kritik an dir, weil du auch Musik von rechten Bands übersetzt hast, mit denen Manche rechtes Gedankengut verbinden, darunter auch Frei.Wild, Kärbholz und BRDigung.
Ich hab bislang immer Lieder übersetzt, die mich inhaltlich angesprochen haben, emotionale Liebeslieder etwa. Dummerweise habe ich mich nie politisch mit den Bands auseinandergesetzt. Das hätte ich machen sollen, das gebe ich zu, ein gravierender Fehler, den ich eingesehen habe. Ich finde, das ist das schlimmste Gerücht, das es über mich gibt: dass ich rechts und AfD-Wählerin sei. Ich habe lange gebraucht, um damit klarzukommen, dass solche Missverständnisse passieren können. Ich bin eigentlich generell so linksmittig orientiert, mehr für Grüne, Piraten und die Linke.
Du erzählst auf deinem Account, dass sich dein Hörvermögen gerade in den vergangenen beiden Jahren sehr verschlechtert hat und es sich noch weiter verschlechtern wird. Machst du dir Gedanken, dass du irgendwann gar nicht mehr tiktoken kannst – auf der Plattform ist ja alles sehr auf Musik und Sound ausgelegt.
Ja, auf der rechten Seite bin ich schon komplett taub, auf der linken höre ich noch etwas. Aber ich habe noch zusätzlich einen Tinnitus, der mich ständig nervt. Faktisch höre ich so gut wie nichts. Es ist also schon jetzt auf Tiktok schwierig. Ich löse aber auch hier vieles über Mundbewegungen, bei Musik etwa die von den Sänger*innen – und dann fange ich zeitgleich an zu gebärden. Es gibt für alles eine Lösung. Das war das einzige, was mich Mathe gelehrt hat.
Bist du eigentlich mit anderen Influencer*innen mit Behinderung auf Tiktok vernetzt?
Ja, zum Beispiel Brittlebonesking. Das ist ein Pärchen, wir sind mittlerweile sehr gut befreundet. Max hat Glasknochen. Und ich wurde dadurch auf neue Themen aufmerksam: Für Max ist etwa die Triage echt das Schlimmste, was ihm passieren könnte – also ein Auswahlsystem, nach dem im schlimmsten Fall entschieden wird, wer behandelt wird und wer nicht. Wenn er an Covid-19 erkranken würde und auf die Intensivstation müsste, würde seine Behandlung bei einer hohen Krankenhausauslastung hinten angestellt werden, weil seine Chancen generell geringer sind, die Krankheit zu überstehen. Das finde ich echt schlimm. Die Angst habe ich auch: Als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden, weil ich eine Behinderung habe.