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Corona-Virus-Quarantäne in Italien: So erleben junge Italiener*innen die Situation
In manchen Städten in Italiens Norden macht sich Panik breit. Seit Donnerstag ist die Zahl der Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind, rasant von vier auf mehr als 150 (Stand: Montagmorgen) gestiegen.
Vier Tote gibt es bislang – alle älter als 70 Jahre. Elf norditalienische Kleinstädte mit zusammengerechnet 50 000 Einwohnern stehen seit Samstag unter Quarantäne. Die Polizei bewacht alle Einfahrten und Ausfahrten des Gebiets, niemand kann unbefugt rein oder raus. Wer versucht, die Zone zu verlassen, muss Strafe zahlen oder kann mit Haft belegt werden.
Schulen und Universitäten bleiben kommende Woche geschlossen. Viele bereiten sich mit Großeinkäufen auf Lebensmittelengpässe vor. Auch Mundschutzmasken und Desinfektionsmittel werden massenweise gekauft. Die Kleinstadt Codogno, südöstlich von Mailand, hat bereits den Spitznamen „das italienische Wuhan“ bekommen. Ist das alles übertrieben oder bloß vorsichtig?
Jetzt hat mit jungen Italiener*innen, die in verschiedenen norditalienischen Städten leben, gesprochen und sie zur Situation befragt.
„Meine Eltern sind religiös und verfolgten heute den Gottesdienst via Streaming“
Lara, 25, wohnt in Casalpusterlengo und beschreibt die Quarantäne:
„Wir erkennen die Ernsthaftigkeit der Lage, aber nehmen die Sache trotzdem mit Humor: Meine Eltern sind religiös und verfolgten heute den Gottesdienst via Streaming. Das fand ich absurd und habe sehr gelacht, was sollte ich denn sonst tun? Ich verlasse das Haus, wenn ich mit meinem Hund Gassi gehe. Da halte ich mindestens zwei Meter Abstand von anderen Hundebesitzern und trage natürlich eine Maske. Meine Schwester hat es irgendwie geschafft, welche für uns zu kaufen. Trotzdem schauen wir, dass wir genau dem folgen, was unser Bürgermeister sagt. Ich vertraue im sehr. Es sind hier unglaublich viele Falschinformationen im Umlauf – vor allem auf Telegram oder Whatsapp. Besonders in Form von Sprachnachrichten, wo gesagt wird, dass eine bestimmte Straße gesperrt sei oder dass die Polizei durch die Häuser in einer bestimmten Gegend ziehe, um Gesundheitskontrollen zu machen. Das beunruhigt viele.“
„Die einzigen, die hier im Dorf Angst haben, sind ältere Menschen“
Stefano, 21, kommt aus Venetien und hat seine Rückkehr nach Mailand verschoben:
„In meinem Dorf in der Nähe von Vicenza sind von heute auf morgen alle Karnevalsfeste abgesagt worden. Vielleicht bin ich naiv, aber ich denke, das ist zu viel der Vorsichtsmaßnahmen. Ich besuche gerade meine Familie in Venetien und habe noch heute morgen eine E-Mail bekommen, in der steht, dass meine Uni in Mailand kommende Woche geschlossen bleibt. Mir wäre es lieber, die Uni würde offen bleiben. Es sollte jeder für sich entscheiden, ob er hingehen will oder nicht. Jetzt habe ich mein Zugticket storniert und bleibe hier, aber wer erstattet mir die Kosten dafür? Die einzigen, die hier im Dorf Angst haben, sind ältere Menschen. Viele von ihnen sind leider auch ein wenig rassistisch: Vor einiger Zeit hatten sie noch alle Angst vor muslimischen Menschen, jetzt sind es wegen des Coronavirus plötzlich die Chinesen. Das finde ich inakzeptabel.“
„Es stört mich, dass die Medien uns jetzt ,das italienische Wuhan‘ nennen“
Denise, 29, lebt in der verriegelten Stadt Codogno:
„Die Situation ist schon surreal: geschlossene Läden, wenige Menschen auf der Straße und die Tatsache, dass wir uns damit abfinden müssen. Es stört mich, dass die Medien uns jetzt ,das italienische Wuhan‘ nennen. Das klingt so, als würden hier Zombies leben oder als gäbe es kriegsähnliche Zustände. Wir haben uns doch nicht verändert, wir sind die gleichen Menschen wie noch vor wenigen Tagen. Morgen muss ich mich auf die Suche nach einem Mundschutz machen, weil ich sonst nicht in den Supermarkt reingelassen werde. Die nächsten zwei Wochen werde ich nicht in die Arbeit fahren. Ich bin im Austausch mit meinem Chef und hoffe, dass ich von zu Hause arbeiten kann. Ansonsten kann ich zu der Situation nur sagen: Ich liege gerne auf meiner Couch.“
„Die Leute sollten ruhig bleiben“
Tito, 26, wohnt in Venedig und besucht seit Samstag seine Familie in Casalpusterlengo. Die Kleinstadt ist fünf Kilometer entfernt von Codogno:
„Ich finde diese Panikmache absolut übertrieben. Es ist gar nicht so schlimm, wie alle denken. Klar, die Straßen sind leer und alle sprechen darüber. Ich informiere mich immer wieder beim Gesundheitsministerium über den aktuellen Stand und passe auf, dass ich niemandem zu nahe komme hier. Aber am Samstagabend bin ich zum Beispiel nach Mailand gefahren und war ganz normal feiern. Ich habe auch niemanden mit Maske rumlaufen gesehen. Hier in Casalpusterlengo finde ich die Quarantäne übertrieben und die Panik, die geschoben wird, hilft in dieser Situation nicht. Es gibt andere Orte, wenige Kilometer von hier, die nicht in der ,Zona rossa‘ sind, wo aber viele aus den verriegelten Orten arbeiten gehen. Ich frage mich, wie man das wirklich eindämmen kann? Die Leute sollten ruhig bleiben. Eine Freundin von mir arbeitet als Freiwillige beim Roten Kreuz und sie kriegen ständig Anrufe von Menschen, die glauben, sie hätten den Virus – nur weil sie ein wenig erkältet sind!“
„Zehn Masken für 200 Euro“
Elena, 30, wohnt in Monza (nördlich von Mailand) und hat online Schutzmasken bestellt:
„Ich bin schon sehr beunruhigt. Man kann hier nirgendwo mehr Desinfektionsmittel oder Masken kaufen. Ich habe gestern im Internet nach Mundschutzmasken geschaut … zehn Masken für 200 Euro! Ich weiß, das ist verrückt, aber ich habe sie trotzdem bestellt. Ich besuche öfter meine Tanten, die über 80 Jahre alt sind. Was ist, wenn ich sie anstecke? Ich frage mich, ob der italienische Staat genug gemacht hat. Ich meine, es sah so aus, als hätten wir alles unter Kontrolle. Aber wir sind von einem der gefühlt sichersten Ländern zu einem Entwicklungsland geworden, was Infektionszahlen angeht. Und das in nur drei Tagen. Niemals hätte ich gedacht, dass das so schnell passiert. Jetzt sind Kleinstädte in Quarantäne. Ich dachte immer, es würde höchstens große Städte wie Mailand oder Rom treffen.“
„Was soll ich denn glauben? “
Valeria, 28, lebt in Mailand und macht sich Sorgen um ihren Vater:
„Die missverständliche Berichterstattung macht mich stinksauer. Im Fernsehen laufen zuerst Berichte darüber, dass Masken ausverkauft sind und danach kommt ein Interview mit einem Virologen, der sagt, man solle nicht in Panik geraten. Was soll ich denn glauben? Zu Hause haben wir Angst um meinen Vater, der schon älter ist und auch gesundheitliche Probleme hat. Er fährt jeden Tag mit den Öffentlichen – was ist, wenn er sich ansteckt? Aber auch um meinen Bruder, der Medizin studiert und im Krankenhaus seine Praxisphase macht. Ich finde es heftig, dass der Bürgermeister dazu aufgerufen hat, weniger soziale Aktivitäten zu unternehmen. Sind wir jetzt auch in Quarantäne?“