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Was, wenn die Eltern Corona für eine Verschwörung halten?

Foto: kemai / photocase / Bearbeitung: jetzt

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Zur Corona-Pandemie gehört, dass eine Meldung, deren Inhalt vor drei Tagen noch zu Humbug erklärt wurde, heute auf einmal stimmt. Die Lage ist dynamisch und unübersichtlich. Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die gestern noch als übertrieben galten, sind am nächsten Tag plötzlich Realität. Ärzte irren sich. Politiker gestehen Fehler ein. Eltern und Großeltern wissen nicht mehr, welche Nachrichten man glauben soll – und man selbst ganz häufig auch nicht.

Gerade in sozialen Medien verbreiten sich deshalb Halbwahrheiten und Unwahrheiten im Eiltempo. Jüngere, die sehr viel Zeit im Internet verbringen, fallen darauf genauso herein wie die Oma oder der Onkel, die erst seit einem halben Jahr Whatsapp haben. Wir alle können uns irren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von einer „Infodemie“, weil es vielen Menschen schwerfällt, vertrauenswürdige Informationen zu finden und zu erkennen.

Die Wissenschaft weiß aber auch: Ältere sind anfälliger für Falschnachrichten im Internet. Eine Studie der Universitäten von New York und Princeton zeigte erst im vergangenen Jahr, dass Über-65-Jährige sieben Mal häufiger Falschnachrichten über Social Media teilen als 20- bis 29-Jährige; woran das liegt, weiß man nicht genau – vielleicht an der Medienkompetenz. Was man hingegen weiß und immer wieder hört, ist, wie der Großmutter oder der besten Freundin der Tante Kettenbriefe und Verschwörungstheorien zugeschickt werden, die sich über Whatsapp und Facebook schneller verbreiten als es offline je möglich wäre.

Wie also reagiert man darauf, wenn Falschnachrichten im Familienchat kursieren oder man sich selbst nicht sicher ist, was stimmt und was nicht? Wir haben Tobias Rothmund, Kommunikationspsychologe an der Universität Jena, und Margarete Boos, Sozialpsychologin an der Uni Göttingen, zu einer Einschätzung von drei Situationen gebeten.

 

Situation 1 – Der Kettenbrief

Meine Mutter leitet mir einen Kettenbrief auf Whatsapp weiter, in dem davon die Rede ist, dass Ibuprofen die Wirkung von Covid-19 verstärken soll. Wie erkläre ich ihr, dass sie lieber daran zweifeln sollte?“

Dubiose Kettenbriefe erleben derzeit einen Boom. Da ist die Sprachnachricht, in der eine unbekannte Frauenstimme davon abrät, Ibuprofen zu nehmen – denn das mache die Covid-19-Symptome nur noch schlimmer. Oder dieser sich schnell verbreitende Ratschlag, laut dem ja man ganz leicht einen Corona-Selbsttest machen könnte: Zehn Sekunden Luft anhalten, ohne husten zu müssen – das reiche aus, um Gewissheit zu haben. Beide Nachrichten sind seit Tagen widerlegt. Beide Nachrichten werden vermutlich dennoch weiterhin durch etliche Whatsapp-Chats und Facebook-Gruppen gereicht und bleiben unwidersprochen.

Tobias Rothmund von der Uni Jena rät dazu, die Skepsis in Fragen zu formulieren, wenn man selbst mit solch einem Kettenbrief konfroniert ist: „Die erste Frage sollte sein: Was ist die Quelle der Information?“ Auf diesem Weg können Fehlinformationen in der Regel zuverlässig identifiziert werden. Nachhaken sollte man, wenn es gar keine Quellen gibt, wenn die Quellen nicht nachvollziehbar sind oder wenn es sich nicht um seriöse Quellen handelt. Zu diesen zählen zum Beispiel ein verlässliches Medium, ein Ministerium oder ein Klinikum. Margarete Boos von der Uni Göttingen rät dazu, den Wahrheitsgehalt von Kettenbriefen grundsätzlich in Frage zu stellen: „Eine unpersönliche Form der Kommunikation in einem privaten Medium wie Whatsapp – das passt nicht zusammen.“ Wer sich selbst unsicher ist, was an einer kursierenden Nachricht dran ist, der kann den Inhalt bei Google prüfen – gibt es schon eine News zur Fake News? Oder man lässt sich vom Falschmeldungs-Tool von Correctiv weiterhelfen. Das Team dahinter prüft Gerüchte und Fake News auf ihren Wahrheitsgehalt. Mit diesen Fragen oder Entkräftungen sollte man auch diejenigen konfrontieren, die solche Kettenbriefe weiterleiten.

Situation 2 – Fake News, die plötzlich stimmen

Vor zwei Wochen hieß es noch, es werde keine Schulschließungen geben. Das stimmt nicht, hieß es. Nun stimmt es doch. Mein Vater fühlt sich dadurch im Vertrauen in seinen Facebook-Feed bestärkt. Wie reagiere man darauf?“

Dass in Deutschland wegen des Coronavirus die Schulen geschlossen bleiben, ist seit einer Woche eine Tatsache. Wenige Tage zuvor wurde diese Meldung noch von Fact-Checkern zur Falschnachricht erklärt. Die Welt im Corona-Modus, das heißt mitunter auch: Was gestern falsch war, ist heute richtig. Nun ist die Absicht derjenigen, die Falschnachrichten in die Welt setzen, mindestens fahrlässig, vermutlich sogar bösartig. Aber die Tatsache, dass der Kern der Nachricht wenige Tage später ja dann doch stimmt, macht es noch komplizierter, mit Eltern und Großeltern über Social-Media-Fake-News zu reden.

Tobias Rothmund empfiehlt, nachsichtig zu sein: „Wenn in sozialen Medien vor drastischen Maßnahmen gewarnt wird, dann handelt es sich dabei im Grunde nicht um Fake News. Es wird ja nicht behauptet, dass diese Maßnahmen bereits beschlossen sind, sondern eher, dass diese in den nächsten Tagen drohen könnten.“ Vielleicht ist es also gar nicht schlecht, wenn sich mancher schon mit einem Worst-Case-Szenario oder einer weiteren Einschränkung arrangiert (sofern man nicht hysterisch wird). Und wenn es dann doch nicht so schlimm kommt – umso besser. „Manches Gerücht ist keine Hysterie, sondern hat einen sachlichen Hintergrund“, sagt Margarte Boos.

Situation 3 – Runtergespielte Gefahr

Meine Großeltern nehmen Corona auf die leichte Schulter. Sie gehen weiterhin unbekümmert auf die Straße und wollen verreisen. Mein Vater geht weiterhin arbeiten, obwohl er dort ständig Kontakt mit vielen Menschen hat. Was kann ich tun?“

Nach dem, was man weiß, hat nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Menschen schwere Symptome bei einer Covid-19-Erkrankung. Noch weniger Menschen haben so schwere Symptome, dass es lebensgefährlich werden könnte. Das führt dazu, dass viele glauben: Bei einer guten körperlichen Verfassung und einer guten Portion Optimismus wird es für einen selbst so schlimm schon nicht werden.

Wie reagiert man also auf solchen Leichtsinn, wenn es auch noch die Eltern oder Großeltern sind? Vorschriften zu machen oder zu bevormunden, ist dabei selten eine gute Idee. Unter Umständen löst es Trotz und Abweisung aus. Margarete Boos rät lieber dazu, sachlich über die Risiken aufzuklären: „Man sollte darauf hinweisen, dass die Person zur Risikogruppe gehört, also an ihre Betroffenheit appelieren. Und damit an ihren Egoismus.“ Und egoistisch sein und auf sich aufpassen sollten gar nicht so wenige Menschen. Die Risikogruppe ist groß: Laut Bundesgesundheitsministerium gehören dazu alle Menschen, die älter sind als 50 Jahre. Aber auch Raucherinnen und Raucher sowie Menschen mit einer Diabetes-Erkrankung gehören zu den besonders Gefährdeten.

 

Situation 4 – Die Weltverschwörung

„Mein Onkel verschickt Youtube-Videos, in denen von einer großen Verschwörung die Rede ist. Das Coronavirus sei von der Regierung in die Welt gesetzt worden, um die Freiheiten der Menschen einzuschränken. Wie argumentiert man gegen so etwas?“

„Da steckt ein Plan dahinter, die wollen uns konrollieren“, raunte ein bekannter deutscher Youtuber erst vor ein paar Tagen – Hundertausende schauen ihm dabei zu. Mal geben Verschwörungstheoretiker der deutschen Regierung die Schuld, mal dem chinesischen Staat, mal den Juden, mal Bill Gates.

Dabei sollte es in der Theorie recht einfach sein, eine Corona-Verschwörungstheorie zu widerlegen. „Es handelt sich um eine weltweite Krise“, sagt Tobias Rothmund, „welche Regierung sollte hier verantwortlich sein?“ China und Japan, Deutschland und Frankreich, Israel und Iran, Costa Rica und Honduras – so gut wie jedes Land der Erde ist von der Pandemie betroffen, unabhängig vom politischen Standpunkt der Regierung. Und wenn jemand dennoch hartnäckig daran glaubt? Tobias Rothmund rät: „Ich würde fragen, ob es eine Art von Information gibt, die in der Lage ist, die Theorie zu widerlegen. Mit anderen Worten: Könnte die Person überzeugt werden, dass die Verschwörungstheorie falsch ist und wenn ja, wie?“ Wenn auch dies nicht möglich ist, wird es schwierig. Denn dann wird sichtbar, dass es sich um eine Überzeugung handelt, die nicht durch Beobachtungen oder Erfahrungen geformt wurde – sondern Ausdruck eines „pseudoreligiösen Glaubenssatzes“ ist.

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