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„Architektur ist unser zweiter Körper“

Wie wir wohnen, hat einen Einfluss darauf, wie es uns geht. Expertin Tanja Vollmer (nicht im Bild)  befasst sich mit der Wechselwirkung zwischen Gebäuden und menschlichem Verhalten.
Foto: Jake Jakab/imago images/Addictive Stock

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In einem geräumigen Zuhause, das nach unserem Geschmack eingerichtet ist, fühlen wir uns wohl. Betreten wir jedoch einen feuchten Keller oder ein steriles Krankenhaus, geht es den meisten von uns schlagartig anders. Und verbringen wir gar zu viel Zeit in einem kleinen Raum oder in einer sehr engen Wohnung, fällt schnell der Satz: „Mir fällt die Decke auf den Kopf.“ Wie kann das sein?

Tanja Vollmer ist Architekturpsychologin und befasst sich mit der Wechselwirkung zwischen Gebäuden und menschlichem Denken, Fühlen und Verhalten. Sie weiß, dass diese Redewendungen kein Zufall sind: Menschen spüren ihre Umgebung und Räume haben einen Einfluss auf unsere psychische Verfassung.

Im Interview erklärt die Architekturpsychologin, wie wir unser Zuhause gestalten können, damit es uns gut geht, und wie Architektur selbst bei schwerkranken Menschen eine Perspektive schaffen kann. 

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Tanja Vollmer hat unter anderem zum Einfluss von Räumlichkeiten auf das Wohlbefinden von Krebspatientinnen geforscht.

Foto: Rommen & Bravenboer

SZ Jetzt: Angenommen, ich bin Student:in und muss aufgrund des Wohnungsmangels zu einer Notlösung greifen: Mein Zimmer ist klein, dunkel und ungemütlich. Wie kann sich das auf meine psychische Gesundheit auswirken?

Tanja Vollmer: Als junge Student:in verbringt man wahrscheinlich viel Zeit auf Events, Partys, an der Uni, in der Bibliothek. In diesem Fall hätte das Zimmer keinen besonderen Einfluss. Anders sah es während der Corona-Pandemie aus, als diese Möglichkeiten wegfielen – dann schlägt die Wirkung des Zuhauses auf die Psyche. Im wahrsten Sinne fällt einem dann „die Decke auf den Kopf“. 

An solchen Sprichwörtern ist also was dran?

Ja. Dahinter verbirgt sich, dass man psychologisch die Raumgröße verändert wahrnimmt: Je mehr Zeit man in so einem kleinen Raum verbringt, desto kleiner kommt er einem vor. Man fühlt sich eingeengt, als würde man keine Luft mehr bekommen oder die Wände durchbrechen wollen. Die ganze eigene Welt wird plötzlich klein und unerträglich. Das führt zu Frustration und schadet somit der psychischen Gesundheit. 

Welche Auswirkungen kann das genau haben? 

Wir haben herausgefunden, dass das Gefühl von Enge das Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen negativ beeinflusst. Das wiederum kann enorme Auswirkungen darauf haben, ob junge Menschen sich trauen, sich auf Studienplätze und anspruchsvolle Berufe zu bewerben. Der Zusammenhang zwischen Raumproportionen und dem Selbstwertgefühl ist hochinteressant. Dabei spielt auch das Milieu eine Rolle: Wer ökonomisch schlechter aufgestellt ist, verbringt mehr Zeit in einer kleinen Wohnung. Kinder und Jugendliche, die so aufwachsen, haben aufgrund ihrer Wohnsituation häufiger psychische Probleme. 

Wer Kontrolle über die eigene Privatsphäre hat, fühlt sich zuhause wohler

Welche Faktoren im Raum beeinflussen unser Wohlbefinden?

Ein großer Faktor ist der Tageslichteinfall in den Räumen, in denen man sich am meisten aufhält. Also im Wohnzimmer zum Beispiel. Auch die Gestaltungsfreiheit spielt eine Rolle: Kann ich etwas verändern und mich ausdrücken, oder ist alles starr vorgegeben? Ist man inspiriert von der eigenen Wohnung, tut das der Seele gut. Ein dritter, ganz wichtiger Aspekt: Man muss sich sicher und privat in der eigenen Wohnung fühlen. 

Was bedeutet das genau? 

Privatheit bedeutet nicht nur Rückzug in den intimsten Raum. Sondern auch, dass man zu jeder Zeit selbst die Kontrolle hat, ob man gesehen oder gehört wird – und wen man sehen oder hören möchte. Das ist gar nicht so leicht: Tritt man auf den Balkon oder vor die Tür, sieht, hört und riecht man womöglich seinen Nachbarn, den man gar nicht sehen oder wahrnehmen möchte. Auch die Größe des Hauses hat einen Einfluss: Ein großes, anonymes Haus mit 15 anderen auf dem Gang beeinflusst einen stärker. Zudem ist es wichtig, dass wir uns zuhause sicher fühlen. Das betrifft zum Beispiel den Weg in die Wohnung, den Flur, das Treppenhaus oder die Garage, in die bestenfalls Tageslicht fällt und Übersicht herrscht. Wenn die negativen Gefühle und das Unbehagen in der eigenen Umgebung Überhand nehmen, entsteht permanenter Stress. Das gilt für Städte wie für Wohnungen. 

Wenn ich ein gutes Verhältnis zu meinen Nachbarn habe, geht es mir also besser?

Genau, denn Architektur ist unser zweiter Körper. Er beschützt uns, gibt uns Sicherheit, und mit ihm zeigen wir uns auch nach außen, schließen Kontakte oder verweigern sie. Wir öffnen ihn, wenn uns das soziale Gegenüber vertraut ist. Wenn wir unseren Nachbarn nicht vertrauen, dann schließen wir den Körper eher ab, nutzen ihn als Festung. Umgekehrt kann offene Architektur so auch einladen, Vertrauen und soziale Kontakte zu schaffen.  

In Ihrer Forschung haben Sie sich besonders mit Krebspatientinnen beschäftigt und der Architektur von Krankenhäusern. Was haben Sie dabei herausgefunden?

Wir haben vor Jahren eine große Studie in den Niederlanden durchgeführt, die Rotterdam-Studie, wo wir krebskranke Frauen und ihre Partner:innen über mehrere Monate durch ihre ambulante Therapie im Krankenhaus begleitet haben. Dabei haben wir festgestellt, dass sich ihre Raumwahrnehmung veränderte. Sie erlebten Räume, die wir als normal belichtet wahrnehmen würden, als signifikant dunkler, enger und überfüllter. Diese drei Parameter waren also verändert. Das konnten wir sehr gut gegenüber ihren gesunden Partner:innen messen, die das alles nicht so erlebt hatten, obwohl sie immer dabei waren. Der Stress der Patientinnen, den wir permanent gemessen hatten, verstärkte sich enorm, wenn, sie sich in Warteräumen ohne Tageslicht aufhalten mussten, oder in Sprechzimmern, die klein und eng waren, mit kleinen oder zum Teil ohne Fenster. 

Wie äußerte sich das?

Die gemessenen Stressparameter, wie Herzschlag und Schweißentwicklung, stiegen an. Sie bekamen Panikattacken und entwickelten große Ängste, wodurch ihre Therapien beeinflusst wurden. Ihnen wurde übel, obwohl ihnen gar nicht übel werden musste, also aus rein medizinischer Sicht. 

Und was geschah mit ihrer Raumwahrnehmung, als sie wieder zuhause waren? 

Es hat uns wahnsinnig überrascht, dass diese Effekte anhielten. Die betroffenen Frauen haben ihre Umgebung immer noch dunkler, enger und überfüllter erlebt. Sie berichteten, wie sie jeden Tag das Gefühl hatten, den Hammer nehmen zu wollen, um die Wand herauszuschlagen. Andere hatten schon Umzugspläne geschmiedet. Dieses überfüllte und enge Gefühl nennt sich „Crowding“: Es kann in diesem Fall als Symptom einer hohen psychischen Belastung gewertet werden.

Viele Menschen empfinden Weitsicht als heilsam – das muss nicht ins Grüne sein 

Lassen sich daraus allgemeine Schlüsse ziehen?

Anhand unserer Erkenntnisse haben wir sieben Faktoren identifiziert, die die Stresswahrnehmung von Schwerkranken beeinflussen: Orientierung, Geruchkulisse, Geräuschkulisse, Aussicht und Weitsicht, Privatheit und Rückzugsraum, sogenannte Powerpoints, also Haltepunkte, an denen schwerkranke Menschen Ruhe und Kraft tanken können, um sich von ihren schwersten Gedanken abzulenken, und das menschliche Maß. Letzteres beschreibt die Raumproportionen, weil wir uns permanent mit unserem eigenen Körper in Relation zum Raum setzen. Wir nennen diese Faktoren die „heilenden Sieben“, weil sie über das Stresserleben eine Auswirkung auf das Heilungsgeschehen von schwerkranken Menschen haben. 

Was heißt das nun für Krebspatient:innen und ihr Zuhause? 

Wenn ihnen gelingt, Faktoren aus der Reihe der Sieben zuhause auf kleinstem Raum zu realisieren, dann hat das einen positiven Einfluss auf ihre psychische Gesundheit, die wiederum die körperliche unterstützt. Viele der Patientinnen haben sich zum Beispiel Meditationsräume eingerichtet, wohin sie sich komplett zurückziehen können und nicht von den Gerüchen und Geräuschen der restlichen Familie beeinträchtigt sind. Ganz wichtig ist auch die Weitsicht, viele haben es als sehr wohltuend erlebt, freie Aussicht zu haben. Das musste nicht unbedingt ins Grüne sein.

Denn wenn man einmal mit dem Tod und dem Ende des Lebens konfrontiert wurde – mit dieser „aussichtslosen Situation“ – und dieses Gefühl auch noch durch die Architektur verstärkt wirkt, dann verstärken sich Todesangst und Stress. Wenn man jedoch durch die Architektur eine Aussicht, eine Perspektive kreiert, hat man große Chancen, diesem Leid zu entkommen. 

Mit all diesem Wissen wäre es jetzt natürlich interessant, zu erfahren, wie Sie ihr Zuhause gestaltet haben. 

Ich wohne noch lange nicht so, wie ich es mir wünschen würde. Das liegt auch daran, dass ich viel unterwegs bin – so wie die Studentin, auf die wir uns am Anfang des Gesprächs bezogen haben. Daher macht mich das im Moment weder unglücklich noch krank. Aber wenn ich mir heute einen Wunsch erfüllen könnte, dann wäre das eine Loggia im Sonnenschein mit einer Hängematte, in der ich mit „Weitblick“ meine Bücher schreiben könnte. Und merke, dass es gleich vier Wünsche wären. (lacht)

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