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Unterwegs mit den Aktivisten vom Peng Collective

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Die Show beginnt um zehn Uhr morgens. Peng-Aktivist Ruben steht bei 32 Grad im schwarzen Anzug mit schwarzem Hemd vor dem Brandenburger Tor in der prallen Sonne. Ein RTL-Reporter hält Ruben ein Mikrofon ins Gesicht, überall wuseln Fotografen herum. Hinter dem Aktivisten steht ein kleines Podest mit EU-Flagge und Foto von Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission und heute „leider abwesend“, wie Ruben gespielt traurig sagt.

Dann spricht er Sätze wie: „Heute verleihen wir Fluchthelferinnen und Fluchthelfern das Europäische Verdienstkreuz am Bande, denn sie haben einen nötigen und wichtigen Akt des zivilen Ungehorsams für ein besseres Europa geleistet.“ Bei „besseres Europa“ zeichnet er mit der linken Hand einen großen Bogen in der Luft, wie das ein wichtiger Pressesprecher wohl auch tun würde.

Dieser Freitagmorgen ist nicht nur einer der heißesten Tage des Jahres, er ist auch der Höhepunkt eines auffällig politischen Sommers. Das „Zentrum für Politische Schönheit“, eine Berliner Künstlergruppe, war wochenlang in den Medien, weil es Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer gestorben sind, symbolisch vorm Kanzleramt bestatten lassen wollte. Im sächsischen Freital kaperte der Adbusting-Künstler „Dies Irae“ Werbeflächen mit Slogans wie „Nazis essen heimlich Falafel“, nachdem die Bewohner dort wochenlang gegen ein neues Asylbewerberheim demonstriert hatten. Und jetzt also seit vergangener Woche Montag eine neue Aktion vom „Peng-Collective“. 

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"Ich bin Fluchthelfer!": Ein Plakat des "Peng-Collective" in Berlin.

Fotos: Paul Lovis Wagner, Björn Kietzmann

In einer Plakat- und Online-Kampagne ruft die Berliner Künstlergruppe dazu auf, bei Urlaubsreisen Flüchtlinge im privaten PKW über die europäischen Grenzen zu fahren. „Für Einsteiger“ erst mal nur die Grenzen des Schengenraums, bei denen es für gewöhnlich keine Passkontrollen gibt. Aber auch Hilfe bei der generellen Einreise nach Europa begrüßen sie. Das Kollektiv nennt das „Fluchthilfe“ und beruft sich bei dem Begriff auf DDR-Zeiten – die Helfer von damals seien später schließlich auch als Helden gefeiert worden. Deshalb auch die Verleihung des fiktiven „Europäischen Verdienstkreuzes am Bande“.  

Das deutsche Aufenthaltsgesetz kennt einen anderen Begriff für das, was Peng fordert: „Einschleusen von Ausländern“. Wer mehrfach, mehr als eine Person oder für eine Gegenleistung Ausländer ohne Aufenthaltstitel nach Deutschland bringt, wird mit Freiheitsentzug oder einer Geldbuße bestraft. In anderen europäischen Ländern sind die Gesetze noch strenger. Die Aktion von Peng bewegt sich also am Rande der Legalität. Was zu der Frage führt: Warum machen die das?  

Einige Wochen zuvor in einem alten Fabrikgebäude in Berlin-Kreuzberg: Zehn Menschen sitzen im Kreis, in der Mitte eine geblümte Oma-Teekanne mit Wasser. Ein paar teilen sich Sterni-Bier. Hier wohnt Jean, Mitbegründer von Peng. Ein Typ, der dir mit einem Blick das Gefühl geben kann, die wichtigste Person im Raum zu sein. Charisma nennt man das wohl. Eigentlich nimmt Peng die Eigenbezeichnung „Collective“ sehr ernst. Es gibt flache Hierarchien, jeder darf mitmachen und wenn man auf ihrer Webseite auf „Team“ klickt, erscheinen bloß Stock-Fotos mit absurden Personenbeschreibungen. Man weiß also nie genau, wer hinter alldem steckt. Einzelne können damit schwerer für illegal vollplakatierte Innenstädte oder angebliche Verleumdungen verantwortlich gemacht werden.

Jean verkündete als falscher Pressesprecher von Vattenfall schon deren Aussteig aus der Braunkohle - live aus dem Foyer der Firmen-Zentrale

Trotzdem ist Jean so etwas wie das Gesicht des Kollektivs. Er steht meistens auf der Bühne, wenn Peng Lärm macht. Bei der ersten Aktion, im Dezember 2013, schlich er sich als Paul von Ribbek beim Shell Science Slam im Berliner Tempodrom ein, um eine Ölfontäne über die Bühne zu schießen. Bei der Re:publica im Folgejahr gaben er und eine Peng-Komplizin sich als Google-Mitarbeiter aus, die die neue Anwendung „Google Nest“ zur Speicherung der persönlichsten Daten vorstellten – Google schaltete daraufhin seine Anwälte ein. Im März dieses Jahres war Jean wiederum falscher Pressesprecher von Vattenfall und verkündete deren Ausstieg aus der Braunkohle – live aus dem Foyer der echten Vattenfall-Zentrale. Bei der aktuellen Aktion will er sich nun zurückhalten – auch, um den Kollektivgedanken nicht zu gefährden. 

Die Sitzung gerade in Kreuzberg leitet deshalb also Ruben, Jean sitzt in Jogginghose mit mehreren Leuten auf seinem Bett und hört zu. „Nächster Punkt auf der Tagesordnung: Was schreiben wir auf die Header für Facebook, damit andere die auch auf ihren Seiten einsetzen wollen?“, fragt Ruben in die Runde. Auf seinem Pullover steht „Freedom of Movement is everybody’s right“.

Ruben hat als Journalist schon einen selbstorganisierten Hilfstransport nach Syrien begleitet und wurde vergangenes Jahr in der Türkei verhaftet, als er über kurdische Proteste berichten wollte. „Fluchthilfe rettet Leben – so wie bei der Blutspende“, schlägt jemand vor. „Fluchthilfe ist kein Verbrechen“, sagt ein anderer. Jean schaltet sich vom Bett aus ein: „Das klingt zu negativ! Der Slogan muss positiv sein, damit die Leute Lust haben, Teil davon zu sein.“ Wäre dies kein verrauchtes WG-Zimmer, man wähnte sich in einer Werbeagentur.  

Eine, die sich der Positivkommunikation verschrieben hat: Anders als etwa beim Zentrum für Politische Schönheit, sieht man bei Peng keine Leichenteile und muss auch nicht zynisch entscheiden, welches Kind aus Syrien weiterleben darf. Stattdessen wird viel gelächelt: Die Menschen auf den geplanten Kampagnenmotiven, die in der kommenden Woche in ganz Deutschland verteilt werden sollen, sind Normalos. Typ Student, Typ Gymnasiallehrerin.

Auch das Video für die Webseite erinnert eher an eine Autowerbung als an politischen Aktivismus: Ein älteres Paar fährt in seinem VW-Kleinwagen durch eine Alpenlandschaft, Nahaufnahmen der Gesichter wechseln sich mit Drohnenbildern von den Bergen ab. Irgendwann sieht man, dass auf dem Rücksitz ein schwarzer junger Mann sitzt – sie bringen ihn über die Grenze nach Österreich. Am Ende des Films ploppt der Claim auf: „Werde Fluchthelfer.in“, versehen mit einer kleinen roten Taube.  

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Das „Europäischen Verdienstkreuzes am Bande“

Fotos: Paul Lovis Wagner, Björn Kietzmann

Die Seite, schick in rot und weiß gehalten, gibt dann sogar konkrete Tipps für eine gelungene Fluchthilfe: Besser Mittelklasse-Wagen nehmen als Hippie-Bus. Mit einem Pappschild den Mitfahrer als zufällig mitgenommenen Anhalter tarnen. Oder auch: Deutschlandflaggen-Merchandise von der letzten WM am Wagen anbringen. Es soll bald eine Crowdfunding-Kampagne geben, mit der das gemeinnützige Kollektiv seine Ausgaben wieder reinbekommt. Alles über 4000 Euro soll in einen Rechtsfonds für Flüchtlingshelfer gehen. Im Gegenzug bekommt man unter anderem Poster, Sticker und Jutebeutel. Direkt zwischen Flüchtlingen und Fahrern vermitteln will Peng bewusst nicht. Das wäre illegal.  

„Was steht denn jetzt eigentlich auf den fertigen Plakaten, Lou?“, ruft jemand aus der Runde. Lou, Regiestudentin mit platinblonden Strubbelhaaren, die sie meistens unter einer schwarzen Mütze versteckt, sitzt auf dem Boden. „Ich bin Fluchthelferin. Denn Fluchthilfe rettet Leben“, sagt sie ruhig. Dabei hat sie das vermutlich schon zehn Mal erzählt. Lou ist so etwas wie die Managerin von Peng – sie tut alles, redet aber nicht viel darüber. In den vergangenen Tagen hat sie gemeinsam mit Ruben in Österreich das Video für die Webseite gedreht, die Plakatmotive entwickelt und die geplante Aktion Flüchtlingen vorgestellt – ihr ist wichtig, dass dabei nicht nur über, sondern auch mit ihnen gesprochen wird. Lou trägt ein „Kein Mensch ist illegal“-T-Shirt und hat von den vergangenen Wochen schon dunkle Augenringe. Sie hofft, dass mit der Kampagne sowohl die bürgerliche Mitte als auch linke Aktivisten angesprochen werden: „Es wäre doch toll, wenn man da gemeinsam als Zivilgesellschaft an einer besseren Welt arbeitet, statt immer Wände hochzuziehen.“ Nicht umsonst hat Peng als internes Motto auch „Der Zivilgesellschaft die Zähne schleifen.“

Ein paar Tage später sitzen Lou und Ruben gemeinsam mit vier anderen in einem Kreuzberger Hinterhof – dem Büro von Peng. Die Aktivisten sind aufgeregt. Ständig klingelt irgendein Telefon. Heute Nacht ist die Seite „Fluchthelfer.in“ online gegangen. Und die Medien lieben die Aktion: „Peng Collective sucht Fluchthelfer“ titelt der Radiosender Puls als einer der ersten. Zeit Online, Spiegel Online und Tagesschau.de ziehen schnell nach. Die Kampagne wird im Mainstream wahrgenommen. Alle betten das Video ein, die Facebook-Seite „Fluchthilfe ist kein Verbrechen“ hat bereits mittags 500 Fans, am Ende der Woche werden es mehr als 3000 sein. Ein anonymer Spender füllt am ersten Tag die Crowdfunding-Kasse mit 10.000 Euro.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

 Und alle wollen Interviews. Irgendwer vom Kollektiv geht dann immer als „Max Thalbach“ oder „Anna Weissenfels“ ans Telefon. Pseudonyme, damit sich niemand mit einer falschen Wortwahl strafbar macht. Nur einmal nimmt Ruben einen Anruf mit seinem echten Namen an, um direkt zu korrigieren: „Ach Mist, Max Thalbach natürlich!“ Großes Gelächter im Raum. Auch, wenn Peng offen damit umgeht, schreiben nicht alle Journalisten später, dass Max Thalbach nicht existiert.  

Überhaupt fällt auf: Richtig kritisch will niemand die Peng-Aktion sehen. Viele Medien twittern später „Leiste Fluchthilfe“ und sprechen von einer „ehrenvollen Idee“. Zeit Online befragt zumindest noch einen Juristen, ob die rechtliche Einordnung der Aktion von Peng, dass Fluchthilfe in bestimmter Form legal sei, überhaupt stimme. Ansonsten: Applaus! Einzig Pegida-Anhänger bloggen Hasskommentare wegen der Überfremdung, zu der Peng angeblich aufruft. Aber das fällt ja auch eher unter Applaus. Woher kommt also dieser Konsens? Berührt uns das Thema Flüchtlinge wirklich so? Ist die Kampagne so geschickt? Oder sind wir insgeheim gar Liebhaber politischer Kunst?

Ein Professor über die Kunst von Peng: "Man ist mit einem Fuß Künstler, mit dem anderen Popstar."

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, muss man nicht einmal Berlin verlassen: Professor Karlheinz Lüdeking lehrt an der Universität der Künste Kunstwissenschaft und Ästhetik. Lüdekings Seminare umfassen auch schon mal Jay-Zs Song „Picasso Baby“. Vor moderner Kunst hat er also keine Angst. Er hat zu dem Treffen an der Mensa den Studenten Nils Fischer, 27, mitgebracht, denn: Lüdeking findet, „dass nicht nur die Meinung eines Professors zu dem Thema interessant ist“.

Bei Obstsalat entspinnt sich also ein Dialog:  

Lüdeking: „Das Ausmaß politischer Kunst erinnert mich an die 68er-Generation. Aber diese Kunst ist anders. Konstruktiver. Früher ging es um den Umsturz des Systems, heute darum, das bestehende System zu verbessern. Ein hochkapitalistischer Gedanke, eigentlich. Passenderweise wird er oft mit Werbeästhetik umgesetzt.“  

Fischer: „Politische Kunst erstarkt doch aber gerade, weil das System nicht mehr funktioniert. Wenn man einen Ort sucht, an dem man sich aufgehoben fühlen kann, dann muss man sich den selber bauen – zum Beispiel in Form eines Kollektivs.“  

Lüdeking: „Aber diese Kunst funktioniert nur mit medialer Aufmerksamkeit. Man ist dann mit einem Fuß Künstler, mit dem anderen Popstar. Außerdem ist sie oft selbstreferenziell: Diese Krisen interessieren uns ja auch nur, weil die Grenzen, um die es geht, auf einmal sehr nah sind.“  

Fischer: Aber es ist doch gut, wenn die Kollektive diese Strukturen aufzeigen und gemeinsam dagegen vorgehen wollen. Das sind doch Ideale, die lange untergangen waren?“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lüdeking ist sich da nicht so sicher. Er sagt aber auch, dass man Kollektive wie Peng natürlich automatisch sympathisch finden müsse. „Da würde niemand öffentlich sagen ‚Das ist großer Mist‘.“ Zum Abschied hat er noch einen Gedanken: „Besonders gut funktioniert Kunst, wenn man selbst die Hoheit über die Bilder hat, die dazu in Umlauf gebracht werden.“  

 

Noch mal zurück zum Brandenburger Tor also. 18 potenzielle Fluchthelfer haben sich bisher bei Peng gemeldet. Acht haben bereits Fluchthilfe geleistet und sollen heute ausgezeichnet werden. Viele Journalisten sind da. Normale Bürger kaum. Nur ein paar Touristen. Auf der Bühne steht eine Peng-Aktivistin und hält eine Laudatio auf Dora, eine Griechin, die sich spontan entschlossen hat, auf der Insel Lesbos zwei Männer mit Babys und zwei Frauen in ihrem Auto zur 65 Kilometer entfernten Polizeiregistrierungsstelle mitzunehmen. Eine der Frauen war schwanger. Sie wäre sonst zu Fuß gelaufen. Obwohl Dora dabei keine Grenze überschritten hat, wurde sie eine Nacht inhaftiert. Gänsehaut im Publikum. Dann tritt Dora einen Schritt vor, um den Orden anzunehmen. Klacken. 15 Journalisten drücken auf ihren Kameras gleichzeitig den Auslöseknopf.

 

Korrektur: In einer ersten Version dieses Textes hieß es, bei der Crowdfunding-Kampagne ginge alles ab 10 000 Euro in einen Rechtshilfefond. Richtig ist allerdings, dass die Grenze bereits bei 4000 Euro liegt.  

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