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Widerständig trotz Diskriminierung: Protokolle von Hijabis
Ob in der Bahn oder beim Einkaufen – Frauen mit Hijab werden in Deutschland systematisch anders behandelt und diskriminiert. Der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung zeigte 2019, dass der Islam von den Befragten als deutlich weniger bereichernd empfunden wurde als andere Religionen. Etwas mehr als die Hälfte der nicht-muslimischen Befragten gaben zudem an, den Islam bedrohlich zu finden. Das merken auch junge Musliminnen, die in Deutschland einen Hijab tragen. Vier von ihnen erzählen, warum sie einen Hijab tragen, was er ihnen bedeutet und welche Erfahrungen sie als sichtbare Musliminnen in Deutschland machen.
Satralah, 24, Fulda, studiert internationale Betriebswirtschaftslehre
„Ich freue mich immer sehr, wenn Menschen genauer nachfragen, warum ich einen Hijab trage. Denn wenn mehr Menschen wüssten, was das Tragen des Hijabs heißt, hätten sie eine ganz andere Perspektive. Viele wissen nicht viel über den Islam und haben ein schlechtes Bild von der Religion, dadurch assoziieren sie meinen Hijab mit Unterdrückung. Das ist ein großes Problem in Deutschland. Wenn man nicht genug über ein bestimmtes Thema weiß, schafft das Vorurteile.
Mein Hijab war schon immer ein Teil von mir, da ich mich schon sehr früh dazu entschieden habe, ihn zu tragen, nämlich in der 5. Klasse. Und nein, ich wurde nicht gezwungen. Meine Eltern waren anfangs dagegen, da sie mich noch zu jung fanden. Sie haben mich davor gewarnt, dass sich mein zukünftiges Leben in Deutschland verändern würde und ich ganz andere Herausforderungen haben würde. Mittlerweile verstehe ich auch warum, denn ein Hijab heißt auch Verantwortung. Man repräsentiert damit den Islam.
Ich bin eine sehr extrovertierte und schlagfertige Person. Dennoch muss ich mir oft Bemerkungen wie ,Kopftuchtrulla‘ oder ,Gehen Sie doch in Ihr Land zurück‘ anhören. Die Bedeckung mit dem Hijab soll dazu dienen, nicht auf das Aussehen oder Schönheit reduziert zu werden. Doch leider werde ich hier auf mein Hijab reduziert.“
Clara, 27, Langen, ist gerade in Elternzeit
„Als Konvertierte in Deutschland merkt man erst, wie grausam die Welt sein kann. Seit ich einen Hijab trage, werde ich ständig gefragt, ob ich überhaupt Deutsch sprechen könnte. Eine Frage, die ich vorher noch nie gehört habe.
Ich bin 2017 konvertiert und trage seit März einen Hijab. Mit dem Hijab verbinde ich meine Religion, meine Verbindung zu Allah. Aber auch Religionsfreiheit, Selbstentscheidung und Freiheit über meinen eigenen Körper. Es gab Freunde, die sich für mich gefreut haben, andere haben ablehnend reagiert. Doch das nehme ich nicht persönlich, denn ich weiß: Der Hijab ist ihnen fremd, und alles, was fremd ist, macht Angst. Gerade die Deutschen in meinem Umfeld fühlen sich extrem gestört von meinem Erscheinungsbild. Dabei finde ich es jedes Mal wieder lustig, dass andere für mich entscheiden wollen, wie ich mich wohlzufühlen habe.
Die Blicke, die mir begegnen, haben sich seit März geändert. Viele assoziieren mit dem Hijab auch gleich Ausländerin. Das hat mir gezeigt, dass man nur einen anderen Kleidungsstil haben muss, um ganz anders von der Gesellschaft betrachtet und behandelt zu werden. Menschen nehmen sich mir gegenüber mehr raus, bei der Post drängeln sie sich vor, sie sind schneller genervt von mir und starren mich an. Einmal war ich mit meinen Kindern auf dem Spielplatz. Eine Frau hat mich angesprochen, ich habe sie in dem Moment nicht gehört und dann hat sie gesagt: ,Verstehen Sie überhaupt Deutsch, weil Sie nicht aussehen wie eine Deutsche‘. Danach habe ich mich gefragt: Wie sieht eine Deutsche überhaupt aus? Ich bin Deutsch und ich werde auch immer Deutsch bleiben, aber das heißt ja noch lange nicht, dass ich auch nicht Muslima sein kann.
In Deutschland musst du als Hijabi genug Stärke und Selbstbewusstsein haben, um zu überleben. Man sollte versuchen, den Islam neutral zu betrachten, denn eigentlich ist es eine friedliche Religion: Liebe für jeden, Hass für keinen.“
Meryem, 20, München, Auszubildende für Mode und Kommunikationsdesign
„Dann sind die auch noch alle hässlich” – Das musste ich mir in der S-Bahn von einem alten Mann anhören. Als wäre es für ihn nicht schon schlimm genug, dass ich einen Hijab trage, dann sei ich auch noch hässlich. Die Blicke von Außenstehenden kann ich mittlerweile einordnen, ob ein Blick herabwürdigend ist oder nicht, weiß man sofort. Beim Vorbeigehen ein Kopfschütteln, das unangenehme Anstarren und Demütigungen durch Lehrer:innen in Schulen sind, glaube ich, Standard-Erfahrungen als Hijabi.
Ich habe zum ersten Mal in der Grundschule einen Hijab getragen, da ich es unbedingt mal ausprobieren wollte. Meine Mutter hat mir mein Kopftuch gebunden und mir versichert, dass ich ihn wieder ausziehen darf, sobald ich möchte. Doch das Gefühl war super angenehm und ich war sehr glücklich. Bis mich meine Rektorin aus der Klasse gezogen hat und mir erklären wollte, dass ein Hijab für ältere Frauen sei und ich meine schönen Haare nicht verdecken brauche. Ich habe ihn dennoch weiterhin getragen. In der elften Klasse stand ich ganz normal an der Bushaltestelle. Vor mir war ein Mann auf einem Fahrrad, sein Blick war voller Hass. Aus dem Nichts ist er auf mich losgefahren, er hat dabei ,Scheiß Muslima‘ gerufen und ist ganz knapp vor mir abgebogen. Ich war so unter Schock, dass ich mich nicht mal bewegen konnte. Danach hatte ich vor Fahrradfahrern sehr oft Angst und habe mich ständig gefragt, wann mir das noch einmal passieren könnte.
Ich bin eher eine zurückhaltende Person, deswegen bin ich für viele ein noch leichteres Ziel. Als Hijabi darfst du anderen Menschen genau dieses Gefühl nicht geben. Man muss mit allem rechnen. Das Problem ist, dass du täglich diskriminiert wirst. In solchen Momenten muss man sich verteidigen, sonst gewöhnen sich diese Menschen daran, andere so zu behandeln.“
Ssega, 22, Bielefeld, bewirbt sich nach einigen Semestern Wirtschaftsrecht jetzt auf andere Studiengänge
„Was soll ich denn noch tun, um in der Gesellschaft akzeptiert zu werden? Darauf habe ich leider keine Antwort. Ich kann die Sprache fließend sprechen. Ich habe meine Schule beendet und studiere. Trotzdem werde ich nicht von der Gesellschaft akzeptiert und muss mir von Menschen Worte wie ,Kopftuchschlampe‘ anhören.
Bei dem Thema Feminismus ist jeder inkludiert, nur bei Hijabis hört es jedes Mal auf. Für ein Praktikum habe ich mich bestimmt bei 80 Kanzleien beworben. Von den meisten kam gar keine Rückmeldung. Ich habe nur drei Absagen bekommen, bei zwei Kanzleien war ich vor Ort und dort hieß es dann: ,Aber das Ding da ziehen Sie aus.‘ Solche Erfahrungen bestärken meine Zukunftsängste. Es ist total schwierig, einen Job zu finden. Bevor ich mich auf einen Studiengang beworben habe, habe ich mich jedes Mal gefragt: Bekomme ich in der Branche auch einen Job?
In der Schule gab es immer ein riesiges Theater: Um mich, mein Hijab und meine Eltern. Sogar das Jugendamt war da. Zuerst wurde ich abgetastet, sie wollten sichergehen, dass meine Eltern mich nicht geschlagen und gezwungen haben. Bis zum letzten Tag in der Schule musste ich mich als Hijabi rechtfertigen.
An die Blicke und Reaktionen habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Es passiert so oft, dass es mich gar nicht mehr interessiert. Trotzdem bleiben einige Situationen im Kopf: Einmal hat ein Mann vor mich gespuckt und voller Hass in mein Gesicht gesagt: ,Kopftuchschlampe‘. Einmal wollte mich eine alte Frau mit ihrem Gehstock schlagen und hat mich rassistisch beschimpft. Und weißt du, was das Traurigste an der ganzen Situation war? Niemand hat mir geholfen und dieses Gefühl habe ich ständig.
Der Rassismus hier in Deutschland ist einfach nur hasserfüllt. Einerseits heißt es, die Ausländer würden sich nicht genug integrieren und auf Kosten des Staates leben. Wenn wir dann erfolgreich sind, heißt es, wir würden anderen die Jobs wegnehmen. Ich glaube, dass eigentlich jede:r Ausländer:in eine Geschichte darüber erzählen könnte, was für Rassismuserfahrungen ihm oder ihr widerfahren sind. Das finde ich traurig. Wer möchte bitte in so einer hasserfüllten Gesellschaft leben? Wir brauchen mehr Toleranz und Akzeptanz. Es muss mehr über die Religion und die damit verbundene Diskriminierung gesprochen werden. Für mich ist das wichtigste Ziel, Frauen mit Hijab zu normalisieren.“