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Flüchtlinge auf Lesbos: Boat Refugee Foundation
Viele junge Menschen sind in den vergangenen Monaten dorthin aufgebrochen, wo Menschen in der Hoffnung auf ein besseres Leben stranden. Manche haben Lazarette in Griechenland aufgeschlagen, andere Winterkleidung für die Balkanroute gesammelt, während die nächsten Deutschkurse in der Flüchtlingsunterkunft um die Ecke organisieren. Vielleicht haben sie auch den Gedanken im Hinterkopf: Was bleibt noch übrig von Europa, wenn wir jetzt keine Solidarität zeigen?
Die beiden jungen Berliner Fotografen Philipp Külker, 29, und Kai von Kotze, 28, haben Anfang März beschlossen, diese neu entstehende, junge Solidarität zu porträtieren. Ihr ehrgeiziger Plan: In Griechenland starten und dann die Balkanroute bis Deutschland abfahren, und dabei möglichst viele verschiedene Hilfsprojekte abbilden. Wie so oft kamen aber die sich überschlagenden aktuellen Ereignisse dazwischen. In der Nacht zum 9. März schloss Slowenien seine Grenze zu Kroatien, andere Länder wie Ungarn hatten bereits angefangen, ihre Grenze abzusichern. Die Balkanroute war damit dicht, tausende Menschen hängen seither in Griechenland fest – in jenem Land, in dem Philipp und Kai sich zu diesem Zeitpunkt mit ihren Kameras befanden.
Entstanden sind dort Porträts über europäische Solidarität - von der Insel Lesbos bis Idomeni an der mazedonischen Grenze. Als "Projekt Heureka" soll diese Foto-Dokumentation gezeigt und regelmäßig erweitert werden.
Projekt Heureka Station 2: Die "Boat Refugee Foundation" auf der griechischen Insel Lesbos.
Blick auf das türkische Festland. Lesbos, März 2016. Seit im Sommer vergangenen Jahres mehr und mehr Geflüchtete an Lesbos’ Küsten landeten, kommen immer weniger Urlauber auf die Insel.
Reiseagenturen kündigten ihre Verträge mit Hotels. Trotzdem ist es Anfang März für uns schwer, ein Appartement zu finden. Viele Unterkünfte sind ausgebucht. Aber von wem? Das wird uns klar, als wir an der Rezeption begrüßt werden: „Seid ihr Freiwillige oder Journalisten?"
Viele der Geflüchteten erreichen die Insel am frühen Morgen. Die Boote bringen sie an die Strände entlang einer kleinen Küstenstraße – gegenüber liegt der Flughafen, auf dem wir gelandet sind. Entdecken die Helfer ein Boot, schreiben sie eine Nachricht in die eigens dafür eingerichtete Whatsapp-Gruppe. Kurz darauf parken die Freiwilligen ihre Autos im Sand. Mit einer Fahne aus Wärmefolie versuchen sie, das Boot an eine sichere Landestelle zu lotsen. Wasserflaschen und Einkaufstüten voll trockener Socken werden in den Sand gelegt.
Wir sehen, wie der schwarze Strich auf dem Wasser näher und näher kommt. Darauf viele orangefarbene Punkte. Das Boot ist keine 20 Meter entfernt. Einige Helfer haben Neoprenkleidung angezogen. Sie stehen Spalier. Dann jubeln sie. Die Menschen auf dem Boot winken.
Was dann passiert, ist für viele der Helfer Routine. Sie heben erst die Kinder, dann die Frauen von Bord. Wir haben sie vorher nicht gesehen, denn während der Fahrt sitzen sie in der Mitte des Bootes. Als auch die Männer das Boot verlassen haben, sehen wir, dass das Wasser im Boot 30 Zentimeter hoch steht. Die Überfahrt hat fast fünf Stunden gedauert.
Die Kinder zittern. Freiwillige der Boat Refugee Foundation, einer niederländischen NGO, schauen jedem Geflüchteten einzeln in die Augen. Sie wollen sehen: Wer ist unterkühlt, wer verletzt? Alle, die von einem Arzt behandelt werden müssen, werden erst in einen Erste-Hilfe-Wagen und dann ins Krankenhaus gebracht. An diesem Morgen muss der Wagen den Strand allerdings nicht verlassen.
Das Boot liegt seit fünf Minuten am Strand. Es ist still. Die Kinder sind ruhig, die Erwachsenen sprechen kaum. Teils wirken die Menschen apathisch, teils ist ihnen die Freude, dass sie die gefährliche Überfahrt überstanden haben, bereits anzusehen.
Die Neuankömmlinge bringen außer der Kleidung, die sie am Körper tragen, nur das Allernötigste mit über das Meer – ein kleiner Rucksack, Dokumente, Geld, Familienfotos. Viel mehr Gepäck lassen die Schmuggler am türkischen Strand nicht zu, um an Bord mehr Platz für die menschliche Fracht zu haben.
Geflüchtete am Strand von Lesbos, März 2016.
Ein weißer Reisebus parkt am Strand, am Heck kleben fünf Buchstaben: UNHCR. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen bringt die Menschen in die Berge oberhalb der Strände. Dort ist der Hotspot Moria, wo die Identität der Ankommenden geprüft wird. Noch im Herbst vergangenen Jahres mussten die Menschen selbst zur Registrierungsstelle laufen. Es gab keine Busse. Den Freiwilligen ist es verboten, Flüchtlinge zu transportieren, die noch nicht von den Behörden erfasst sind.
Es dauert eine halbe Stunde, dann sitzen alle Geflüchteten im Bus. Was bleibt, sind nasse Socken, Jeans und T-Shirts – ein bunter Berg, den später die „Dirty Girls of Lesbos“ abholen. Die Freiwilligen dieser Organisation werden die Kleidung waschen, trocknen, sortieren und an die nächsten verteilen, die Lesbos erreichen.
Anfang März können die Geflüchteten noch weiterreisen – täglich verlassen die Linienfähren den Hafen von Mytilini. Am Strand wurden die Menschen von der Boat Refugee Foundation begrüßt, jetzt verabschieden die Frauen sie auf dem Parkplatz des Hafens.
In Plastiktüten stehen Kleidung und Spielzeug zum Verteilen bereit. Ein Mädchen spielt mit einer Puppe, ein Mann probiert einen Pullover an. Dann verlässt die Fähre den Hafen. Sie wird erst Chios und dann Piräus, den Hafen von Athen, anlaufen.
Als wir auf Lesbos sind, wissen wir bereits, dass die Grenze zu Mazedonien nahe des Dorfes Idomeni geschlossen ist. Viele der Geflüchteten wissen das auch, sie erhalten Nachrichten aus dem Norden per Facebook und Whatsapp.
Dennoch reisen die Menschen weiter, jede Fähre bringt Hunderte von ihnen nach Athen. Busse fahren von dort nicht mehr, wir hören Geschichten von Menschen, die es dennoch versuchen. Sie wollen die 600 Kilometer zur Grenze laufen.
"Generation What" ist die größte europaweite Jugendstudie, die es je gab. Durchgeführt wird sie von einer Gruppe europäischer Rundfunksender, in Deutschland sind das der BR, der SWR und das ZDF. Erwartet werden etwa eine Million Teilnehmer aus ganz Europa. Auch wir sind als Kooperationspartner daran beteiligt und werden die Studie mit Berichterstattung und passenden Geschichten ergänzen und begleiten.