Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Wenn du als Frau ein großes Auto fährst ...

Foto: Privat

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Wenn ich mit meinem Bus in eine Werkstatt fahre, fühle ich mich wie in einem schlechten Werbespot. Diese Art von Werbung, wo eine Frau im kleinen Schwarzen, Highheels und Wind in den Haaren elegant die Straße entlangschreitet und alle Männer hinterhergaffen. Nur, dass ich Kapuzenpulli, Jogginghose und Turnschuhe trage und hinter dem Steuer einer qualmenden Vier-Tonnen-Maschine sitze, die gerade kurz davor ist, zusammenzubrechen. Ich würde meinen Auftritt also nicht als sonderlich grazil beschreiben. Trotzdem starren mich alle Männer sofort an.  

Die Werkstatt ist ein emanzipatorisches Minenfeld 

Die Werkstatt ist nur eines dieser emanzipatorischen Minenfelder, dafür aber ein sehr großes. Sogar wenn ich mit eigenem Werkzeug irgendwo ankomme, wo alle selbst an ihren Autos schrauben, und auch wenn ich eine sehr genaue Vorstellung davon habe, was ich abmontieren, schleifen oder lackieren will, werde ich förmlich mit Hilfsbereitschaft überschüttet. Das ist ja erstmal sehr nett und in der Vergangenheit habe ich von sehr sympathischen Männern auch sehr wichtige Dinge über mein Auto gelernt. Allerdings habe ich die auch danach gefragt. Wir haben uns verabredet und sie haben sich meinen Fragen gestellt. Auf Augenhöhe. 

frau mit grossem mann guckt unterm auto nach ob frau alles richtig gemacht hat eva text

Manchmal liegen auch nette Männer unter dem Auto unserer Autorin. Viele geben aber Tipps, ohne danach gefragt zu werden.

Foto: Privat

Wenn sich allerdings in einer Selbsthilfe-Werkstatt ein fremder Typ mit Blaumann ungefragt unter meinen Bus schmeißt und erst mal einen Monolog hält, was alles zu tun ist, dann werde ich das Gefühl nicht los, dass mir da gerade ein Haufen Kompetenz abgesprochen wird, den ich mir im letzten Jahr hart erarbeitet habe. Und dass das einem Mann nicht passieren würde.

Auf einer zweistündigen Fahrt werde ich bis zu zehn Mal angehupt 

Der Verdacht, dass es im Jahr 2018 scheinbar immer noch nicht normal ist, als Frau ein dickes Auto zu fahren, wächst mit jeder Reise: Auf einer Fahrt von zwei Stunden werde ich im Schnitt fünf bis zehn Mal angehupt. Anfangs habe ich mich dabei immer fast zu Tode erschreckt und panisch in den Rückspiegel geschaut, ob da gerade irgendein marodes Teil meines Busses über die Autobahn fliegt. Kann ja mal passieren, bei einem 40 Jahre alten Gefährt. Oder ich dachte, irgendetwas stimmt nicht mit meinem Fahrstil: Zerquetsche ich gleich einen Motorradfahrer im toten Winkel? Fahre ich zu langsam, zu schnell oder lasse mir sonst irgendetwas zu Schulden kommen, für das es sich lohnt, angehupt zu werden?

Nein. Die Huper wollen einfach nur „Hallo“ sagen. Dass das bei mir fast einen Herzinfarkt auslöst, ist ihnen scheinbar egal. Oft folgt darauf noch ein frenetisches Winken, ein hochgereckter Daumen oder noch mehr Gehupe. Immer sind es Männer, die mir auf diese archaische Weise ihre Anerkennung auf offener Straße mitteilen wollen. Anfangs hoffte ich noch, dass diese Männer einfach sehr passionierte Oldtimer-Fans sind und die übermäßige Aufmerksamkeit nichts mit mir als Frau hinterm Steuer zu tun hat.

Eigentlich habe ich nämlich gar keine Lust, in jedem Winkel des Alltags erst mal Sexismus zu vermuten. Deshalb unterziehe ich meinen Verdacht einer statistischen Probe: Um zu prüfen, ob ein Mann auf den Straßen und Autobahnen genauso befremdliche Situationen erleben würde wie ich, habe ich mich einfach mal auf den Beifahrersitz gesetzt und einen Freund beim Fahren meines Autos beobachtet. Vielleicht, dachte ich da, bilde ich mir die übermäßige Aufmerksamkeit ja auch nur ein. Zwei Stunden, drei Club Mate und sehr viele Kreuzungen und Kreisverkehre später, lässt mein Freund sich erschöpft in den Fahrersitz sinken und sagt „krass“. Er wurde kein einziges Mal angehupt. Er sieht darin aber auch kein Problem. „Ist doch nett gemeint“, sagt er und ich solle mich mal nicht so aufregen.

Klar gibt es Situationen, in denen mir der Sexismus sehr viel offener entgegenschlägt. Zum Beispiel, wenn mein Freund auf dem Beifahrersitz nach technischen Details meines Autos gefragt wird, dann sagt, dass er nicht mal einen Führerschein hat und der fragende Technikfreund das Gespräch damit für beendet hält, weil ihm gar nicht einfällt, mich (die Fahrzeughalterin!) zu fragen. Sowas regt mich auf und meinen Freund zum Glück auch. Genauso wie die unterirdischen Kommentare mancher männlicher Mitglieder in Facebookgruppen, die eigentlich zum technischen Austausch gedacht sind. Selbst Mario Barth würde gegenüber der Reaktion mancher Typen auf Technikkurs-Angebote für Frauen in dieser Gruppe als lupenreiner Feminist durchgehen:  

text fb frau mit grossem auto
Screenshot: facebook

Während ich auf solche Aussagen höchstens noch mit einem müden GIF reagieren kann, sind die eigentlich freundlich gedachten Situationen für mich viel schwieriger zu meistern. Sie sind Ausdruck omnipräsenter Stereotype und Vorurteile, die sich in einem „nett gemeint“ entladen und die deshalb besonders schwer zu bekämpfen sind. Die einzelnen Huper wissen ja vermutlich nicht, dass ich vor ihnen schon mit fünf anderen Typen die gleiche Szene erlebt habe. Meinen Impuls, den Mittelfinger aus dem Fenster zu recken, verdränge ich deshalb. Manchmal winke ich sogar freundlich zurück, wenn das Gehupe nicht zu aufdringlich war und hoffe, dass der Anblick einer Frau hinter einem großen Lenkrad dadurch für diese Männer ein bisschen normaler wird.

Auf der Straße lässt sich dieses Phänomen nicht lösen. Der Grat zwischen nett gemeinter Anerkennung und Sexismus ist schmal und solange mein männlicher Freund nicht genauso viel Aufmerksamkeit am Lenkrad bekommt wie ich, kann mir leider niemand erzählen, dass das nichts mit Geschlecht zu tun hätte. Deshalb fahre ich weiterhin allein in die große Werkstatt, auch wenn es Energie kostet. Denn das Einzige, was dabei hilft, dieses rückständige Bild abzubauen, ist der häufigere Anblick dieser „neuen“ Bilder. Dafür braucht es mehr Frauen in großen Autos, in Lkw und Bussen, aber auch mehr Männer, die einmal weniger auf die Hupe drücken und ihren Kumpels eine Nackenschelle geben, wenn die das nächste Mal einer Frau mit einem Mercedes-Bus in der Werkstatt hinterherpfeifen.     

Dieser  Text erschien erstmals am 22.05.2018 und wurde am 25.10.2020 aktualisiert.

  • teilen
  • schließen