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„Wenn eine Person einen Namen lernen kann, kann sie auch ein Pronomen lernen“

Das ist René_ Hornstein. Foto: Meike Watzlawik

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Dass sich René_ mit einem Unterstrich schreibt, ist Absicht. Denn René_ möchte weder die männliche Form des Namens („René“) noch die weibliche („Renée“) annehmen. René_ identifiziert sich als nicht-binär – also weder als Mann noch als Frau – und möchte deswegen auch nicht als „er“ oder „sie“ bezeichnet werden. Stattdessen wünscht René_ sich entweder gar kein Pronomen oder das geschlechtsneutrale Pronomen „em“. Dass es in Deutschland kein einheitliches Pronomen für nicht-binäre Menschen gibt, betrifft em nicht nur privat –  René_ forscht auch im Bereich der Genderwissenschaft und gibt Workshops zum Gebrauch geschlechtergerechter Sprache. Im Interview mit jetzt erzählt em, wie es ist, im Alltag ein nicht-binäres Pronomen zu verwenden und welche Hürden es in Deutschland noch zu überwinden gibt.

 

jetzt: Wie hat dein Umfeld auf dein Outing und den damit verbundenen Pronomenwechsel reagiert?

René_ Hornstein: Der Großteil meines Umfelds hatte kein Verständnis dafür. Relativ zu Beginn probierte ich das Pronomen „x“ aus. Darauf bekam ich heftige Reaktionen. Meine Ballettlehrerin zum Beispiel war völlig verständnislos, reagierte aggressiv und weigerte sich, es zu benutzen – ich verließ daraufhin die Ballettschule und sagte nachfolgenden Ballettlehrer*innen, dass sie das Pronomen einfach weglassen sollen. Auch meine Familie brauchte lange, um sich daran zu gewöhnen. Sie ist immer noch nicht so weit, dass ich zufrieden wäre. Zum Beispiel ist mir aufgefallen, dass sie untereinander immer noch oft „er“ sagen. Da wünsche ich mir, dass sie sich gegenseitig darauf hinweisen und gemeinsam den richtigen Pronomengebrauch üben. Aber sie versuchen es.

Wie gehst du damit um, wenn jemand das falsche Pronomen für dich verwendet?

Das hängt davon ab, ob die Person mir im Vorfeld signalisiert hat, dass sie respektvoll mit mir umgehen möchte. Gehe ich beispielsweise in eine neue ärztliche Praxis und werde mit „Herr Hornstein“ aufgerufen, obwohl ich davor gesagt habe, dass ich das nicht möchte, dann weise ich daraufhin. Bei Vorgesetzten, zu denen ich keine persönliche Beziehung aufgebaut habe, würde ich das aber eher nicht tun. Das wäre mir unangenehm, da ich nicht einschätzen kann, wie die Person in der Situation reagiert. Wichtig ist es mir vor allem im persönlichen Bereich. Wenn Menschen, mit denen ich viel Zeit verbringe, mich permanent falsch gendern, dann ist das schlimm für mich.

Neben dem Pronomen „x“, das du schon ausprobiert hast, gibt es noch weitere nicht-binäre Pronomen wie „xier“ oder „hen“. Wieso hast du dich letztendlich für „em“ entschieden?

In Gruppendiskussionen ist mir aufgefallen, dass andere Pronomen oft nicht wahrgenommen werden. Eine Zeit lang hatte ich zum Beispiel das Pronomen „w“. Wenn mich jemand falsch gegendert hat und ich „w“ dazwischen gerufen habe, um die Person zu korrigieren, wurde das oft überhört. „Em“ hat klanglich einen explosiveren Charakter und wird dadurch eher wahrgenommen. Also kann ich damit besser korrigieren – das klingt nach einer Kleinigkeit, ist aber ein guter Grund. Auch die Ekel- und Abwehrreaktionen, auf die ich mit „x“ gestoßen bin, haben Menschen bei „em“ nicht. Außerdem gibt es an dem Pronomen „x“ eine Rassismuskritik.

Wieso?

Das „x“ wird in südamerikanischen Kämpfen für geschlechtliche Gleichberechtigung und in der afroamerikanischen Bürger*innenrechtsbewegung in antirassistischer Weise verwendet. In Deutschland haben weiße Personen das Pronomen eingeführt, ohne hinreichend auf seine Geschichte hinzuweisen. Auch nach anhaltender Kritik durch Aktivist*innen of Color wurde darauf nicht ausreichend eingegangen. Für mich als weiße Person, die sich gegenüber rassistisch diskriminierten Menschen solidarisch zeigen möchte, kommt es daher nicht mehr in Frage, mir das Pronomen „x“ zu wünschen.

In den USA hat sich „they“ bereits als geschlechterneutrales Singularpronomen durchgesetzt. Warum gibt es in Deutschland noch kein einheitliches Pronomen für nicht-binäre Menschen?

Viele wünschen sich eine offizielle Lösung, aber es gibt kein Community-Organ, das solch eine Empfehlung herausgeben könnte. Ich bezweifle daher, dass sich das in naher Zukunft umsetzen lässt. Es gibt allerdings verschiedene Organisationen, die Listen sammeln, und es gibt mittlerweile richtig viele Pronomen. Das finde ich gut. Denn wenn eine Person einen Namen lernen kann, kann sie auch ein Pronomen lernen.

In der Theorie schon, in der Praxis fällt das aber schwer. Woran liegt das deiner Meinung nach?

In der deutschen Gesellschaft fehlt die Übung darin, nicht-binär inklusiv zu sprechen und zu schreiben. Hinzu kommt, dass nicht-binäre Menschen strukturell von der Teilnahme an Politik, Medien, Literatur und anderen gesellschaftlichen Teilbereichen ausgeschlossen werden. Beides führt dazu, dass es Menschen in Deutschland schwer fällt, nicht-binäre Menschen in ihren Sprachgebrauch miteinzubeziehen. Allgemein wird geschlechtergerechte Sprache nicht als wichtig genug erachtet, sonst wäre sie verbreiteter. Dafür braucht es einen Wertewandel.

 

„Ich bin optimistisch, dass sich das weiter verändern wird“

 

Glaubst du, dass es auf lange Sicht dazu kommen wird?

Ja. Mit AfD, CDU und CSU gibt es zwar bedrohende Faktoren, weil diese Parteien sich nicht für die Gleichberechtigung und Inklusion von Trans*menschen einsetzen, beziehungsweise im Fall der AfD ein Hindernis dafür darstellen. Außerdem gäbe es natürlich begünstigende Faktoren, die aber nicht realistisch sind – beispielsweise ein entsprechendes Regierungsprogramm. Aber trotzdem passiert jetzt schon sehr viel. Menschen, die nicht diskriminieren wollen, setzen sich mit dem Thema auseinander. Es gibt unter anderem eine riesige Nachfrage an Sensibilisierungs-Workshops. Außerdem sind viele Redaktionen zu dem Schluss gekommen, dass geschlechtergerechte Sprache ihnen wichtig ist. Das ist ein bedeutender Schritt, denn das sind die Menschen, die den Diskurs prägen. Ich bin optimistisch, dass sich das weiter verändern wird.

 

Aber findet das nicht hauptsächlich in einem kleinen Teil der Gesellschaft statt?

Nein. Es gibt verschiedene Berufsgruppen, die sich damit beschäftigen müssen: Psychotherapeut*innen, Psychiater*innen, Mediziner*innen, Lehrer*innen, Jurist*innen, Pressepersonen. Das wird den gesellschaftlichen Wandel auf jeden Fall beeinflussen.

Du gibst Sensibilisierungs-Workshops zum Thema geschlechtergerechte Sprache. Gibt es deiner Erfahrung nach Personengruppen, die damit weniger Schwierigkeiten haben als andere?

Manche Berufsgruppen haben durch ihren Ausbildungsinhalt weniger Schwierigkeiten damit, gesellschaftliche Machtverhältnisse zu reflektieren, weil sie sich schon mit Diskriminierung auseinandergesetzt haben. Das ist besonders im Bereich der sozialen Arbeit der Fall. Generell lernen Menschen in meinen Workshops leichter, die Erfahrung mit Marginalisierung gemacht haben und die diese Erfahrung reflektieren können. Das sind aber auch die Menschen, die hauptsächlich in meine Workshops kommen. Größtenteils unterrichte ich feministisch eingestellte Frauen, Männer unterrichte ich selten. Wenn doch, sind sie meistens schwul. Dadurch können sie das, was sie an Homosexuellenfeindlichkeit erlebt haben, mobilisieren. Einmal war ein heterosexueller älterer Mann in Führungsposition in meinem Workshop, der viele transfeindliche Sachen gesagt hat. In solchen Situationen muss ich bei Null anfangen.

Wie war das bei dir? Fiel es dir leicht, deine Sprachgewohnheiten zu ändern?

Nein. Mein Outing war im Januar 2013 und ich hatte schon drei Jahre davor damit angefangen, meine Sprachgewohnheiten zu überdenken. Trotzdem passiert es mir immer noch, dass ich Menschen falsch gendere, wenn ich nicht aufpasse. Dass ich von der Problematik betroffen bin, heißt nicht, dass es mir leichter fällt. Dieser Irrglaube ist mir auch schon in Schulungen aufgefallen. Ich habe dieselben schlechten Sprachgewohnheiten, schließlich bin durch dieselben gesellschaftlichen Strukturen sozialisiert wie alle anderen. 

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