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Vergewaltigungen: Eine Ausstellung will zeigen, warum die Opfer keine Schuld trifft
Triggerwarnung: Im folgenden Text werden sexualisierte Gewalthandlungen und deren Folgen für die Betroffenen geschildert. Diese können belastend und retraumatisierend sein.
jetzt: Emely, du recherchierst zurzeit Geschichten von Opfern, die vergewaltigt wurden oder sexualisierte Gewalt erfahren haben. Diese Geschichten werden – anonym – ab Ende November in Kiel in deiner Ausstellung „Was hattest du an?“ inszeniert. Was wird dort genau ausgestellt?
Emely Egerland: Wir zeigen Outfits, die denen nachempfunden sind, welche die Opfer zum Zeitpunkt des Übergriffs getragen haben. Das ist nicht die Originalkleidung – aber ein Outfit, was dem sehr nah kommt. Es gibt Informationen, die die Umstände der Tat erklären. Außerdem gibt es Hilfestellungen für den Umgang mit Betroffenen, in einem anderen Bereich können die Besucher selbst ihre Gedanken, Wünsche und Erfahrungen teilen, so dass die Ausstellung mit den Besuchern wächst.
„Ich will dafür sorgen, dass man darüber redet. Außerdem bin ich selbst betroffen“
Was ist deine Motivation hinter der Ausstellung?
Ich habe das Gefühl, dass dieses Thema immer noch ein großes Gesprächstabu ist. Ich will dafür sorgen, dass man darüber redet. Außerdem bin ich selbst betroffen. Dementsprechend wichtig ist es mir, eine gewisse Hilfestellung für Betroffene zu schaffen. Sie sollen sich weniger allein fühlen.
Du selbst hast viele Jahre gewartet, bis du dich deiner Familie anvertraut hast. Warum?
Es kamen andere Schicksalsschläge dazwischen und es gab immer Dinge, die akuter waren. So habe ich das Ganze in meinem Unterbewusstsein weit nach hinten geschoben. Vielleicht bin ich im vergangenen Jahr an den Punkt gekommen, an dem ich soweit zur Ruhe gekommen war, dass dann das Unterbewusstsein wieder angeklopft hat und gesagt hat – so, jetzt kümmern wir uns mal um das, was wir da ewig weggeschoben haben.
Schließlich hast du dich deiner Familie anvertraut. Wie war dieser Moment für dich?
Es war ein sehr persönliches, emotionales und offenes Gespräch. Meine Eltern und Geschwister haben sehr viel Verständnis gezeigt. Die ganzen Gedanken, die ich mir vorher gemacht habe, ob eine Schuldzuweisung kommt, dass ich so lange damit gewartet habe – oder dass sie denken könnten, dass ich ihnen nicht genug vertraue – das war alles nicht der Fall. Es gab ganz viel Unterstützung, feste Umarmungen. Sie haben konkret gefragt, was ich möchte, was sie tun. Das war ein sehr gutes Erlebnis, auch wenn es unglaublich anstrengend war und mir viel Kraft abverlangt hat. Mit jedem Mal, dass ich es erzählt habe, wurde es einfacher und ich konnte besser darüber sprechen und habe weniger geweint.
Wie erlebst du die betroffenen Frauen, deren Geschichten du ausstellst, in den Gesprächen?
Die Frauen, mit denen ich bisher gesprochen habe, sind sehr gefasst. Wenn sie soweit sind, dass sie mit mir sprechen, dann sind sie zumindest dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Manche Frauen sind sehr entmutigt, frustriert und zum Teil sauer. Da ist viel Wut, Hilflosigkeit und Machtlosigkeit. Aber viele sind auch ganz stark. Sie haben für sich erkannt, dass sie die Tat nicht in der Hand hatten, aber dass sie jetzt entscheiden können, wie es weitergeht. Ich merke, dass da ganz viel Hoffnung ist.
Was aus den Gesprächen mit den Betroffenen ist dir besonders in Erinnerung geblieben bislang?
Eine Tat passierte im Alter von zwölf Jahren. In dem Fall war es so, dass sich der Großvater der besten Freundin im Urlaub an ihr vergangen hat, danach hat er sie dann bedroht, damit sie nichts erzählt. Als das Ganze herauskam, kam es zum Prozess. Aber der Täter wurde frühzeitig aus der Haft entlassen und hat auch danach die Schuld nicht bei sich gesehen. So eine Verhöhnung ist so schlimm für die Opfer. Das fand ich sehr heftig.
Der Titel der Ausstellung „Was hattest du an?“ spielt auf den Vorwurf an, dass das Opfer selbst Schuld sei an der Tat, zum Beispiel durch aufreizende Kleidung. Kam die Frage tatsächlich bei deinen Protagonistinnen auf?
Ja. Besonders bei denen, die das ganze zur Anzeige gebracht haben, wurde das im Ermittlungsprozess von der Polizei gefragt. Aber bei einigen haben tatsächlich auch im persönlichen Umfeld die Eltern oder Freunde so etwas geäußert.
„Es gab auch die Fragen: Wie viele Sexpartner hatten Sie? Waren Sie betrunken?“
Was hat das aus deiner Sicht mit den Frauen gemacht?
So eine Reaktion sorgt für große Schuldgefühle und dafür, sich wieder in das Schneckenhaus zurückziehen zu wollen. Auch kann dadurch Einsamkeit ausgelöst werden und das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden. Man fragt sich, was man selbst falsch gemacht hat. Das Resultat kann sein, dass man das Ganze nicht optimal verarbeiten kann.
Welche Erfahrungen im Umgang mit der Polizei haben dich erschrocken?
Zum Teil gab es Unterstellungen, die blauen Flecken oder Verletzungen, die man davongetragen hat, seien von favorisierten Sexpraktiken. Oder es gab auch die Fragen: Wie viele Sexpartner hatten Sie? Waren Sie betrunken? Und natürlich die Frage nach der Kleidung. Allerdings gibt es bei den Ermittlungen natürlich Momente, in denen diese Frage gerechtfertigt ist. Wenn es zum Beispiel darum geht, Spuren sichern zu müssen oder Überwachungskamera-Material auszuwerten, dann muss man wissen, was getragen wurde. Ein sehr schmaler Grat. Das sind aber natürlich alles Erzählungen von den Betroffenen. Ich weiß nicht, inwieweit das repräsentativ ist.
Was sind deine Ratschläge, wie kann man seine eigene Unsicherheit im Umgang mit Betroffenen handhaben?
Ein Schema F gibt es da nicht. Generell ist es hilfreich, wenn Angehörige bedingungsloses Verständnis zeigen. Das gibt den Betroffenen ganz viel Mut und Energie. Und natürlich sollten Schuldzuweisungen vermieden werden. Vielmehr sollte man Betroffenen immer wieder bestätigen, dass es nicht ihre Schuld war und sie das auch nicht verdient haben. Wenn etwas unklar ist, kann man fragen und sollte gleichzeitig respektieren, wenn Fragen nicht beantwortet werden. Außerdem sehe ich es als goldene Regel, niemals mit jemandem anderen darüber zu sprechen, ohne vorher ein Einverständnis dafür erhalten zu haben.
„Das hilft mir sehr. Eventuell ist das eine Art Therapie“
Inwieweit hilft dir die Arbeit an der Ausstellung auch persönlich, das zu verarbeiten, was du erlebt hast?
Das hilft mir sehr. Eventuell ist das eine Art Therapie. Vielleicht kann ich so das Erlebte verarbeiten und nicht nur die negativen Erinnerungen an die Tat haben, sondern das jetzt mit ganz viel Positivem verknüpfen. Aber gleichzeitig kann ich nicht abschätzen, was das perspektivisch mit mir macht.
Du stellst den Betroffenen am Ende der Gespräche immer die Frage, was sie sich für die Zukunft wünschen. Was wünschst du dir für deine Ausstellung?
Generell wünsche ich mir langfristige Aufmerksamkeit für dieses Thema und einen möglichst sensiblen Umgang mit Betroffenen. Wenn das Projekt dafür sorgt, dass nur eine Person sich traut, darüber zu sprechen, dann haben wir ganz viel erreicht. Ich wünsche mir, dass wir dafür sorgen können, dass im kleinsten, privatesten Raum Dinge besser ablaufen, als sie es bisher tun.
Vom 28. November bis 19. Dezember 2020 wird die Ausstellung erstmalig im Pop-Up Pavillon am Alten Markt in Kiel gezeigt.