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„Sexuell verfügbar“: Caroline Rosales spricht über ihr neues Buch
Wie entsteht eine sexistische Gesellschaft? Die Journalistin und Autorin Caroline Rosales (36) geht dieser Frage nach, indem sie ihre eigene Geschichte als Mädchen und Frau analysiert und mit Studien und wissenschaftlicher Literatur verbindet. Ihr Buch „Sexuell verfügbar“ ist am 25. Januar bei Ullstein erschienen.
jetzt: In deinem Buch geht es darum, dass es kein „weibliches Wollen“ gibt, sondern nur ein „gewollt Werden“. Was genau meinst du damit?
Caroline Rosales: Das ist eine These, die nicht nur ich habe, sondern die auch wissenschaftlich bewiesen ist. Es geht darum, dass man durch seine Erziehung als Mädchen immer gelernt hat, zuvorkommend und höflich zu sein, anderen zu helfen, für Harmonie zu sorgen. Und sich schön zu machen und ein Objekt zu sein. Das kann man natürlich nicht auf alle beziehen, aber vielen Frauen aus meiner Generation achten sehr wenig auf ihre eigenen Bedürfnisse.
Auch in Bezug auf Sex?
In der Bravo wurde immer erklärt: Wie kann ich dem Typen einen Blowjob geben? Andersrum gab es das nie. Es ging immer nur darum, was die Frau für den Mann tut. In zeitgenössischen Pornos ist gegenseitiger Oralsex mittlerweile üblich, aber es hat lange gedauert, bis sich das geändert hat.
In deiner Einleitung schreibst du, dass wir „endlich offen über sexuelle Verfügbarkeit, den schmalen Grat zwischen unserer Erziehung, Feminismus und Missbrauch“ sprechen müssen. Wie definierst du diesen „schmalen Grat“?
In meinem Buch versuche ich deutlich zu machen, dass ich nichts Besonderes bin: Ich bin eine ganz normale Frau, in der gehobenen Mittelschicht aufgewachsen, mir ist nichts Schlimmes passiert. Aber ich kenne eben das Aufwachsen mit den Kleinigkeiten, bei denen man immer denkt: „Das ist ja nichts, das kann passieren“. Das fing schon auf dem Schulhof an, mit den Jungs, die denken, sie hätten das Recht, mich zu „ärgern“, und mir zwischen die Beine gegriffen haben. Später ist dann der Kollege oder der Vorgesetzte etwas übergriffig und man denkt: „Aber es geht mir doch gut.“ Wenn man all diese kleinen Teile zusammennimmt, spürt man den Grusel der Banalität, ein bisschen wie in den Filmen von Michael Haneke: Eigentlich ist nichts passiert, aber eigentlich passiert ganz viel. Wir erfahren im Alltag so viel Gewalt, so viele missbräuchliche Verhaltensweisen von Männern und von unserer Umgebung.
„Alle Mädchen meiner Generation haben nach ,Vanilla Kisses‘ gerochen, bevor sie überhaupt Achselschweiß hatten“
Das Buch ist extrem persönlich, du erzählt viele Geschichten aus deinem Leben. Warum glaubst du, dass es trotzdem einen Mehrwert für andere hat?
Ich wollte kein technokratisches und analytisches Buch schreiben, davon gibt es schon genug. Ich dachte: Wenn ich das nicht persönlich mache, wenn ich mir dabei nicht wehtue und kein Risiko eingehe, dann wird es am Ende ein egales Buch. Und ich finde nichts schlimmer, als egal zu sein. Ich hasse Mittelmäßigkeit und ich hasse es, wenn Schriftsteller – und bei deutschen Schriftstellern ist das sehr oft so – nicht auch mal persönlich werden. Wenn du deine eigene Geschichte nicht auf den Tisch legst und nicht genug zu erzählen hast, dann lass es. Und ich hoffe, dass meine Figur genug Projektionsfläche bietet und offen genug ist, dass andere sagen können: „Ich könnte auch diese Figur sein.“
Ein Thema, über das du schreibst, ist der gesellschaftliche und persönliche Umgang mit dem weiblichen Körper. Du erzählt zum Beispiel, wie du dir nach der Geburt deines zweiten Kindes die Brüste hast operieren lassen. Bist du da vor dem Schönheitsideal eingeknickt, dass du selbst kritisierst?
Ich habe die OP auch machen lassen, weil mich die Brüste beim Sport gestört haben und ich mehr körperliche Freiheit haben wollte. Aber ich stehe total dazu, dass mein Körper seit 30 Jahren ein Produkt der Schönheitsindustrie ist. Mit acht war ich pummelig, trug komische Klamotten und hatte unkämmbare Haare. Ich fand mich schwer in Ordnung – aber sonst niemand. Mein Eltern haben gesagt: „Versuch mal, nicht so viel zu essen.“ Die Tanten und Bekannten haben gesagt: „Du musst dich ein bisschen zurechtmachen, du wirkst sonst verschroben und komisch“. Die Zeitschriften und das Fernsehen haben auch dazu beigetragen. Alle Mädchen meiner Generation haben nach „Vanilla Kisses“ gerochen, bevor sie überhaupt Achselschweiß hatten, und bevor wir ein Achselhaar hatten, hatten wir Rasierer. Mit 14 war ich superdünn und habe kleine Miniröckchen getragen. Absurd. Wir standen auf Partys auf Boxen und haben mit dem Arsch gewackelt wie Christina Aguilera. Das war auch wichtig, denn die Alternative wäre gewesen, zu all den coolen Partys nicht eingeladen zu werden. Ich habe damals verstanden, dass es niemals reichen würde, was zu sagen zu haben, sondern dass ich immer erst gut aussehen musste, damit man mir zuhört. Absurderweise ist das lange so geblieben.
„Ich wollte zeigen, wie oft Frauen keinen Sex wollen, aber mitmachen, weil sie denken, dass die Situation es erfordert“
Wie lange?
Ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass ich alle meine ersten Jobs nur über Aussehen bekomme habe. Ich wurde mit Anfang 20 eingestellt oder habe Aufträge bekommen, ohne dass jemand auch nur eine Zeile von mir gelesen hatte. Auf eine Art ist das frustrierend, wenn man jahrelang studiert und volontiert hat. Das war in meiner Branche so, aber anderswo ist das natürlich nicht anders. Man hat immer bessere Karten, wenn man gut aussieht. Das Kapital des Aussehens nimmt dann mit der Zeit ab und man kann es mit Intellekt und Erfahrung ausgleichen. Aber wenn ich heute dick wäre und mich nicht schminken würde, würde mich immer noch kein Mensch in eine Talkshow einladen.
Im Kapitel „Dunkelheit“ schilderst du ein Erlebnis mit einem älteren Journalisten, den du den „Chef“ nennst“. Du warst Anfang 20, er Mitte 40, er hat sich an dich rangemacht und es kam zu einem sexuellen Kontakt, der dir sehr unangenehm war. Heute schreibst du: „Zehn Jahre später denke ich, dass es vielleicht sogar okay war, dass ich diese Erfahrung gemacht habe.“ Warum?
Weil diese Erfahrung sehr ins Detail geht. Es war ja nicht so, dass ich auf dem Heimweg vergewaltigt wurde – das wäre der schlimmste Fall. Mir ist es ganz wichtig, dass es in diesem Kapitel nicht um Vergewaltigung geht, sondern um alle Stufen davor. Ich wollte zeigen, wie oft Frauen gar keinen Sex wollen, aber doch irgendwie mitmachen, weil sie denken, dass die Situation es erfordert.
Warum hast du nicht „nein“ gesagt?
Manchmal verpasst man einfach den richtigen Moment, „nein“ zu sagen, und dann ist der Aufwand, das Ganze wieder abzumoderieren, größer, genauso wie die Angst vor einer gewissen männlichen Wut, die es entfachen könnte, wenn man nicht mitmacht. Darum sagt man sich selbst: „Okay, wenn ich nicht ,Vergewaltigung’, ,Belästigung’ oder ,Missbrauch’ schreie, dann hat das nicht stattgefunden.“ Und dann lächelt man das so weg. Dadurch schützt man sich selbst. Ich glaube, die Geschichte mit dem Chef tut auch ein bisschen weh, wenn man sie liest, und macht manche Frauen vielleicht auch wütend. Und das soll auch so sein, damit man anfängt, darüber nachzudenken. Wir reden zu wenig über genau diese Kleinigkeiten.
„Ich will keine Uniabschluss haben müssen, um bei feministischen Debatten mitmachen zu können“
Du kritisierst auch, dass wir gerade viel über sexuelle Belästigung sprechen, aber zu wenig über weibliche sexuelle Selbstbestimmung.
Über Belästigung sprechen ist gut, aber vielleicht sollte man dem auch ganz viel weibliche Power entgegensetzen. Es ist nicht nur wichtig zu sagen, was wir nicht wollen, sondern auch, was wir wollen. Ich habe ein paar Freundinnen, die ganz offen über Sexualität sprechen, auch viele US-Comedians machen das, die reden über Vaginalschleim, über ihre Scheide, übers Kinderkriegen und wie es danach da unten aussieht, und das erzeugt ein befreiendes Lachen. Früher war das nicht möglich, da wäre man eine Schlampe gewesen. Es gab ja nicht mal ein Wort dafür: Es war peinlich, „Scheide“ zu sagen, aber „Vagina“ wollte man auch nicht sagen. Es fühlt sich gut an, dass sich das ändert – und es muss noch viel selbstverständlicher werden.
Du übst auch Kritik am Feminismus und der feministischen Debatte. Was stört dich daran?
Dass es zu theoretisch ist. Ich will keine Uniabschluss haben müssen, um bei feministischen Debatten mitmachen zu können. Manchmal gibt es Texte oder Interviews, die nur aus „-ismen“, Fremd- und Fachwörtern bestehen. Da steige ich komplett aus und frage mich: „Worüber reden die eigentlich?“ Ich hasse auch das Bashing untereinander: Die „Emma“ legt sich mit denen an, die wiederum mit wem anders. Da will man wie bei einer Kindergartengruppe sagen: „Hey, wir wollen doch alle denselben Pfannkuchen! Warum teilen wir ihn dann nicht?“ Dieser Streit ist kontraproduktiv und wir machen uns damit lächerlich. Mir wäre es am liebsten, wenn alle schwesterlich zusammenhalten und erstmal für eine gemeinsame Sache kämpfen.